Das Projekt «Zauberwald» – der Plan für eine gelungene Transformation?
Manuel Pestalozzi
3. outubro 2023
Herzstück der neuen Überbauung soll ein Innenhof mit vielen Bäumen und einem Gartenpavillon werden. Anders als die Industriehallen bleibt ein alter Kamin als Zeuge der industriellen Vergangenheit erhalten. (Situation: © Daniel Cavelti Architektur)
Heute ist Bischofszells Laumann-Areal noch eine Industriebrache, doch bis 2028 soll es sich in ein Wohnquartier verwandeln. Das Ostschweizer Büro Daniel Cavelti Architektur hat den Studienauftrag gewonnen.
Die Transformation einstiger Industriebrachen zu neuen Stadtquartieren ist eine knifflige Aufgabe für Architekt*innen, Planer*innen, Eigentümerschaften und die Politik. Längst nicht immer gelingt es, Urbanität zu schaffen und Zeugen der industriellen Vergangenheit zu erhalten. Doch in der Schweiz gibt es hervorragende Beispiele, die internationale Beachtung finden und das Potenzial der Bauaufgabe aufzeigen – so etwa das Sulzer-Areal in Winterthur, dessen Umgestaltung ein langer, wechselvoller Planungsprozess vorausging.
Auch in Bischofszell steht die Umgestaltung einer früheren Industrieanlage an: Bis vor einigen Jahren stellte die Malzfabrik und Fruchtpresserei Laumann & Co auf dem Schützengütli-Areal südwestlich des Bahnhofs Essenzen und Sirupe her. Doch mittlerweile rentiert die Produktion nicht mehr, und die Fabrikhallen stehen leer. Das Bau- und Immobilienunternehmen Halter kaufte das Gelände, um dort eine Wohnanlage zu erstellen, in die es 20 bis 30 Millionen Franken investieren möchte. Das Areal liegt nämlich günstig unweit des Bahnhofs zwischen Filialen von Coop und Migros. Im Februar dieses Jahres trat der revidierte Bau- und Zonenplan der Stadt Bischofszell in Kraft, der künftig eine Wohnbebauung erlaubt und eine Gestaltungsplanpflicht für das Areal festlegt.
Halter schrieb daraufhin ein zweistufiges, digitales Studienauftragsverfahren aus, an dem sechs Teams teilnahmen. Gewonnen hat es schlussendlich das St.Galler Büro Daniel Cavelti Architektur mit seinem Vorschlag «Zauberwald». Die Entscheidung der Jury fiel dabei einstimmig.
Die geplante Anlage besteht aus sechs Wohnhäusern, drei davon entlang der Schützengütlistrasse (im Vordergrund). Hinzu kommt ein Bau an den Gleisen, der unter anderem Ateliers aufnimmt. Die Wohnbauten fassen einen baumbestandenen Hofraum, der zum sozialen Zentrum der Überbauung werden könnte. (Visualisierung: © Raumgleiter)
Ein baumbestandener Innenhof als ZentrumWo sich heute noch Industriehallen befinden, sollen sechs neue Wohnhäuser entstehen, die zwei Zeilen entlang der Schützengütli- und der Neugütlistrasse bilden und einen begrünten Innenhof fassen. Sie nehmen 54 Wohnungen unterschiedlicher Grössen und Typologien für rund 120 Menschen auf.
Zur Bahnlinie, die nordwestlich des Areals verläuft, weisen die Bauten fünf bis sechs Geschosse auf und sind in der Höhe gestaffelt. Die drei Häuser auf der gegenüberliegenden Seite des Gevierts sind etwas kleiner, sie besitzen jeweils drei Vollgeschosse und ein Attikageschoss. So nehmen sie die Traufhöhe der benachbarten Einfamilienhäuser auf. Die von Halter präsentierten Visualisierungen zeigen zudem, dass die Häuser entlang der Schützengütlistrasse teilweise Balkone besitzen. Zum Innenhof hin sind die Bauten mit einer Laubengangerschliessung beziehungsweise aussenliegenden Treppenaufgängen ausgestattet. Zusätzlich wird bei den Gleisen ein Volumen entstehen, das Abstellplätze für Autos aufnimmt und Ateliers beherbergt.
Der grüne Innenhof mit vielen Bäumen gibt dem Projekt seinen Namen: «Zauberwald». Auf Tiefbauten soll in diesem Bereich weitestgehend verzichtet werden, damit die Pflanzen ungehindert wachsen können. Zudem sehen die Architekten im Hof einen Gartenpavillon als künftigen Gemeinschaftsraum für die Bewohner*innen der Häuser vor. Zu dem Grünraum wird auch ein Kamin der einstigen Fabrik gehören, der als Verweis auf die frühere industrielle Nutzung des Areals erhalten bleiben soll.
Der Entwurf muss nun weiter ausgearbeitet werden. So sind zum Beispiel Details der Energieversorgung, der Fassadengestaltung, des Lärmschutzes und der Parkmöglichkeiten zu klären. Ausserdem muss überprüft werden, ob das Projekt dem Gestaltungsplan genügt. Gelingt all das reibungslos und ohne Rechtsmittelverfahren, könnten die Bauarbeiten 2026 beginnen und die Wohnungen 2028 bezogen werden. Bis zur Verwirklichung des Vorhabens ist es also noch ein langer Weg, wie der Bischofszeller Stadtpräsident Thomas Weingart denn auch der Presse sagte.
Für eine fundierte Bewertung des Projekts ist es freilich noch etwas früh. Doch es stellen sich einige Fragen, die für den Erfolg des Vorhabens entscheidend sein werden: Wie hoch werden die Mietkosten sein und wie heterogen die Zusammensetzung der Bewohnerschaft? Reicht der Erhalt des historischen Kamins schon aus, um die Erinnerung an die Geschichte des Areals wachzuhalten und Identität zu stiften? Und hätte sich nicht doch ein Teil der Bestandsbauten gewinnbringend umbauen lassen, statt sie zu ersetzen?