Aussen herrscht eine strenge Ordnung, innen ein bunter Forschungsmix
Daniela Meyer
9. novembro 2023
Golden, bronzen oder braungrün: Je nach Lichteinfall ändert sich der Farbton der opaken Glaselemente. (Foto: © Studio Willen)
Ende Jahr schliessen Stücheli Architekten die Sanierung und Erweiterung des Forschungs- und Lehrgebäudes HIF der ETH Zürich ab. Ein Blick in ein Gebäude, das nicht verrät, was sich hinter seiner Fassade verbirgt.
Das Wandstück sieht mitgenommen aus: Die Oberfläche aus Gips bröckelt, und einzelne Backsteine sind zerborsten. Ein paar Meter weiter stehen Kabelrollen, Holzplatten und Dämmmaterial inmitten der lichtdurchfluteten, rund 13 Meter hohen Halle. Die Rede ist dabei nicht von einem vernachlässigten Haus oder einer unordentlichen Baustelle, sondern von einem Belastungsversuch am Institut für Baustatik und Konstruktion der ETH Zürich, der in einer Versuchshalle auf dem Campus Hönggerberg stattfindet. Das Wandstück befindet sich in der Gewalt der Prüfmaschine LUSET – einem sogenannten «Large Universal Shell Element Tester» –, deren hydraulische Pressen von allen Seiten auf das Element einwirken.
Die zentrale Ausstellungshalle wurde mit einer Galerie ergänzt und bildet den Dreh- und Angelpunkt zwischen dem Labor- und Bürotrakt, der Versuchshalle und den Werkstätten. (Foto: © Studio Willen)
Unauffällige ErweiterungLUSET ist nur eine von vielen hochspezialisierten Maschinen, die sich im Forschungs- und Lehrgebäude HIF verbergen. 1976 durch die Architekten Erik Lanter und Max Ziegler erstellt, haben die Studierenden und Doktorierenden des Departements Bau, Umwelt und Geomatik darin seither unzählige Versuche durchgeführt. Dabei stand das Gebäude stets im Schatten seines höheren Nachbarn, dem zeitgleich erstellten HIL. Letzteres liegt prominent an der Haupterschliessungsachse, die geradlinig durch den Campus führt, und verweist das HIF in die zweite Reihe.
Der Campus am Rande Zürichs ist längst zu einer kleinen Stadt angewachsen und erfährt derzeit eine starke Verdichtung. Stücheli Architekten respektierten bei der Sanierung des HIF die vorhandene Hierarchie und erweiterten das Gebäude horizontal, indem der bestehende Labor- und Bürotrakt verlängert wurde. So erhält der Baukörper eine symmetrische Grundfigur, die sich in die Bebauungs- und Freiraumstruktur des Masterplans einordnet. Momentan klafft vor dem hinzugefügten Trakt des HIF eine Baulücke, doch schon bald wird das Gebäude wieder in den Hintergrund rücken.
Blick in den zentralen Korridor des sanierten Labortrakts (Foto: © Studio Willen)
Im Erweiterungsbau ist der Korridor exzentrisch angeordnet. Auf der einen Seite liegen die Versuchslabors, auf der anderen die Auswertungsräume. (Foto: © Studio Willen)
Zeitgemässe Räume für die ForschungAus diesem Grund legten die Architekturschaffenden viel Wert auf eine klare Adressierung. Der neue Haupteingang ist zwischen dem Bestand und dem Neubautrakt angeordnet. Er grenzt an eine zentrale Ausstellungshalle, die den Dreh- und Angelpunkt zwischen dem Labor- und Bürotrakt, der Versuchshalle und den dazwischen liegenden Werkstätten bildet. Die zweigeschossige Halle und das darin enthaltene Galeriegeschoss fungieren als räumliches Bindeglied und ermöglichen Sichtbeziehungen über die Stockwerke und die verschiedenen Nutzungen hinweg. Neue visuelle Bezüge und Wegführungen wirken dem introvertierten Charakter des Ursprungsgebäudes entgegen und fördern den Austausch zwischen den Forschenden. Pausenräume und offene Aufenthaltsbereiche unterbrechen die langen Korridore und laden zum ungezwungenen Verweilen ein.
Für die etappenweise Sanierung, die unter Betrieb erfolgte, wurden die einzelnen Gebäudetrakte bis auf den Rohbau zurückgeführt. In der Betonstruktur des Labortrakts sind erneut Labors angesiedelt, ergänzt um Büroflächen. Die neuen Versuchslabors befinden sich im Erweiterungsbau. Sämtliche Räume zeichnen sich durch rohe, naturbelassene Materialien aus. Die originale Konstruktion aus Beton und Stahl wurde freigelegt und im Erweiterungsbau fortgeführt. Markant ist sie in der Ausstellungs- und der Versuchshalle, wo ein türkisblauer Anstrich seit jeher die Struktur aus Stahlstützen und -trägern betont. Neue Elemente, die zur Verstärkung der Tragstruktur hinzugekommen sind, zeichnen sich durch eine leichte Abweichung des Farbtons aus. OSB-Platten verkleiden die Wände und verleihen den Hallen, Werkstätten und Büros eine warme Atmosphäre.
Während das Bauvorhaben in erster Linie das Ziel verfolgte, zeitgemässe Labors zu erstellen, galt es auch, neue Spezialräume unterzubringen. Von der bestehenden Versuchshalle führt eine Treppe ins erste Untergeschoss, wo sich nun eine der weltweit grössten Zentrifugen verbirgt. Sie weist einen Durchmesser von 9.5 Metern auf und ist in einen 245 Tonnen schweren Betonzylinder eingebaut. Beim Betreten dieses unscheinbaren Gehäuses kann man einen Blick in den Zwischenraum werfen, wo vier riesige Federn angebracht sind, auf denen der Zylinder lagert. Sie dienen dazu, Vibrationen, die sich auf benachbarte Gebäude und die dort stattfindenden Experimente auswirken könnten, abzufangen.
Blick in die Versuchshalle, wo bloss die Fassade erneuert wurde. (Foto: © Studio Willen)
Fassade vereint Alt und NeuEine Versuchshalle mit tonnenschweren Prüfmaschinen, Werkstätten und zahlreiche Speziallabors, dazu Seminarräume und Büros: Der Nutzungsplan des HIF ist kunterbunt. Über 240 Räume befinden sich hinter der vollständig erneuerten Fassade. Doch dies ist dem Gebäude nicht anzusehen. Bronzefarbene Lisenen aus Aluminium folgen einem rigiden Raster und prägen das Erscheinungsbild mit ihrem dichten Rhythmus. Inspiriert von der wissenschaftlichen Forschung, suchten Stücheli Architekten nach einer Ordnung, die das bisweilen chaotisch anmutende Innenleben zu einem Ganzen fasst und Unterschiede zwischen dem Bestand und dem Erweiterungsbau unauffällig überspielt. Die Hülle aus Aluminium und opaken Glaselementen schimmert golden, bronzen oder braungrün – abhängig vom Lichteinfall. Den Abschluss bildet das silberne, konkav geschwungene Dachgeschoss. So tritt das Gebäude zurückhaltend auf und verrät wie die übrigen Bauten der kleinen Forschungsstadt nicht, was sich hinter der Fassade verbirgt.