Visionär, Wegbereiter, Schlüsselfigur – zum Tod von Günther Feuerstein

Elias Baumgarten
15. december 2021
Foto: David Pasek via Wikimedia Commons, PD
«Günther war der beste Lehrer – nicht nur für meine Generation. Damals noch Assistent bei Schwanzer (und immer im weissen Mantel) war er es, der fast im amerikanischen Stil die seiner Meinung nach begabtesten Studenten um sich versammelte im sogenannten ‹Club Seminar›. Und in Gesprächen, die weit über die technisierte Vorlesung von damals hinausgingen, erläuterte er, dass Architektur mehr ist als der 7,50 Meter Raster. Ich werde die persönlichen Gespräche – damals noch Korrektur genannt – in seinem Assistentenzimmer nicht vergessen. Seine Kommentare waren zu unseren Projekten immer freundlich. Er konnte auch manchmal sehr resch sein, aber seine Anmerkung ‹ohne Modelle kein Gespräch› hat in meinem Lehrstil und meiner Arbeit an Projekten bis heute Nachhall gefunden.»

Wolf D. Prix

Allüren waren Günther Feuerstein fremd. Er hatte grosse Freude an der Wirkung seiner Arbeit als Lehrer. Auf den Erfolg seiner Schüler war er stolz. Stets trat er bescheiden auf, immer wirkte er gut gelaunt und positiv. Er war kritisch, doch Realist, ein kluger Kopf, der etwas erreichen wollte. Als er 1961 Assistent von Karl Schwanzer (1918–1975) am Institut für Gebäudelehre und Entwerfen der TU Wien wurde, fand er ein bedrückend konservatives Klima vor, wie es zu jener Zeit an vielen europäischen Hochschulen herrschte. Und auch die bauliche Situation in der österreichischen Hauptstadt war wenig überzeugend: Der Massenwohnungsbau der Nachkriegszeit war architektonisch unbefriedigend und bot viel Anlass zur Kritik. Doch während etliche von Feuersteins Zeitgenossen zur Revolution aufriefen, Parolen schmetterten und mit Maximalforderungen weite Teile der bürgerlich geprägten Gesellschaft gegen sich aufbrachten, wählte er eine andere Strategie: Statt sich vom Bauen ganz auf die Politik zu verlegen wie insbesondere einige seiner deutschen Gesinnungsgenossen, setzte er lieber auf konkrete Projekte, theoretische Texte und Architekturkritiken. Das unterschied ihn auch von seinem Freund Peter Cook, der wie die übrigen Mitglieder von Archigram vorwiegend zeichnete und diskutierte. Zwar interessierte Feuerstein sich durchaus für revolutionäre Ansätze, doch glaube er nicht an deren Durchsetzbarkeit. Lieber suchten er und seine Mitstreiter mit konstruktiver Kritik die Öffentlichkeit. Das Ziel war eine «Erweiterung der Gesellschaft», weniger eine radikale Umwälzung.

«Wir wollten etwas erreichen und haben gesehen, dass man mit den linkstheoretischen, plakativen Ansätzen auf Dauer nicht weiterkommt. Wir hingegen sind mit unserer Strategie schon weitergekommen – einer Strategie, die sich teilweise an die Politik, aber auch sehr stark an die Medien wendete.»

Günther Feuerstein

Trotzdem, das soll hier nicht vergessen gehen, eckte auch Feuerstein bisweilen gehörig an. Mit seiner Haltung, seinem Auftreten und seinen neuen Ansätzen in der Lehre war er den konservativen Professoren ein Dorn im Auge. Es habe «saftige Kämpfe» gegeben, erinnerte er sich 2018 in einem Interview mit Alexa Baumgartner und Alexandra Angerer. Tatsächlich wollte man ihn loswerden. Und 1968 lieferte er tatsächlich einen Anlass, woraufhin ihn die TU Wien prompt entliess: Er hatte in seinem Bestreben, performative und theatralische Formate in die Lehre einzubinden, den Kommunarden Otto Mühl (1925–2013) eingeladen. Auch der Protest der Studierenden gegen seinen Rausschmiss änderte an der Entscheidung der Hochschule nichts. Immerhin wurde inzwischen der Hörsaal 14a in «Günther Feuerstein Saal» umbenannt – eine späte Anerkennung.

«Haus-Rucker-Co jetzt Ortner & Ortner, CHBL, Zünd-Up, Salz der Erde und entfernt Missing Link wären ohne seine Lehre nicht möglich gewesen.»

Wolf D. Prix

Der Förderer

Mit seinem kritischen Geist, aber auch seinem Realismus wurde Günther Feuerstein zu einer der einflussreichsten Persönlichkeiten der österreichischen Avantgarde der 1960er- und 1970er-Jahre. Er unterrichtete unter anderem Wolf D. Prix und Laurids Ortner. Intensiv förderte er die wichtigsten Avantgarde-Gruppen wie Coop Himmelb(l)au, Haus-Rucker-Co und Zünd-Up. Sein «Klubseminar der Architekturstudenten» bot wertvollen intellektuellen Freiraum, eine Möglichkeit zum Experimentieren. Es wurde zur Keimzelle für avantgardistische Architektur. Nicht umsonst sagte Wolf D. Prix einmal, er habe alles Günther Feuerstein zu verdanken.

Nach seiner erwähnten Entlassung in Wien unterrichtete Feuerstein von 1973 bis 1996 als Professor für Umraumgestaltung in Linz. Unausgesetzt suchte er in seiner Lehre den Brückenschlag zur Kunst. 2008 wechselte er an das Institut für experimentelle Architektur ./studio3 der Architekturfakultät der Universität Innsbruck, die ihm voriges Jahr den Ehrendoktortitel verlieh. In diesem Jahr wurde er ausserdem mit dem Hans-Hollein-Kunstpreis für Architektur ausgezeichnet.

Von 1962 bis 2000 betrieb Feuerstein neben seiner Tätigkeit als Lehrer und Autor ein eigenes Büro in Wien: das Atelier für Entwurf, Planung, Forschung. Zu seinen wichtigsten Bauten zählen die Siedlung in Hörsching bei Linz (1967–1979) und das Wohnprojekt in Hirschstetten (1985–1987), das er gemeinsam mit Rob Krier und Monika Stein entwickelte.

Trauer und tief empfundene Dankbarkeit

Am 4. Dezember 2021 ist Günther Feuerstein im Alter von 96 Jahren verstorben. Er arbeitete bis zuletzt. Noch im vergangenen Herbst präsentierte er im Architekturzentrum Wien sein neuestes Buch. Der Titel: «Zeitzeuge Günther Feuerstein. 100 Jahre Moderne Architektur. 100 Menschen. 100 Bauten». Zeitzeuge passt dabei zwar wundbar zu seiner sympathischen Bescheidenheit, doch das Wort ist eine starke Untertreibung: Als Architekt, Lehrer, Förderer und Autor hat Günther Feuerstein enorm viel bewegt. Ohne ihn wären die grossen Leistungen der österreichischen Architektur in den letzten Jahrzehnten so nicht möglich gewesen. Er war eine Schlüsselfigur.


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