«Sacro e profano» – Mario Bottas Architektur

Ulf Meyer
6. april 2022
Chiesa di San Giovanni Battista, Mogno, Valle Maggia, 1986–1996 (Foto: Pino Musi)


Trotz der Studentenunruhen 1968 verliess Mario Botta die Universität im «ungebrochenen Glauben an die Architektur». Nachdem er ein eigenes Büro in Lugano gegründet hatte, manifestierte sich dies auch alsbald in seinen Bauten. Bottas erste Entwürfe wie das berühmte Haus Bianchi in Riva San Vitale im Tessin zeigen kompakte Baukörper, die trotz ihrer Massivität fein ausgestaltet sind. Botta verfeinerte sein Repertoire zusehends, aber selbst kleine Bauaufgaben gerieten bei ihm zu Monumenten. In den 1980er-Jahren folgten Aufträge für Schulen, Kirchen, Banken und Museen sowie öffentliche Gebäude und Behörden – auch in Italien, Deutschland, den Vereinigten Staaten, Israel, Griechenland und Frankreich. 

Für Bauaufgaben in Grossstädten, die ihm um die Jahrtausendwende vermehrt gestellt wurden, schien seine Architektur zunächst ungeeignet: Für das Museum of Modern Art in San Francisco etwa, für ein Bürohochhaus in Seoul oder ein Kunsthaus in Tokio musste Botta sich neu erfinden. Denn in den Zentren ausländischer Metropolen konnte er sich nicht mehr auf Schweizer Planungs- und Handwerksqualität verlassen; auch den Charme des kleinen Massstabs konnte er nicht mehr ausspielen. Bottas Erfolg in Asien begann mit dem «Watari-um» (1990), einem Privatmuseum in Tokios Ausgehviertel Shibuya. Dort musste er beweisen, dass seine im Südkanton entwickelte Architektursprache auch im Durcheinander einer Megacity ihre Kraft behält. Als er mit dem Kyobo Tower in Seoul (2003) beauftragt wurde, entwarf Botta ein Hochhaus mit zwei Türmen, das über dem Stadtteil Seocho-dong thront und eine Fassade aus Ziegeln besitzt, deren unterschiedliche Farbtöne die Turmscheiben wie auf einem Sockel ruhend erscheinen lassen. Aber wo der Ort «schwach» ist, fehlt Bottas Architektur ihr Anknüpfungspunkt. Denn der städtebauliche Kontext in ausufernden Megacitys ist so heterogen und vergänglich, dass eine Bezugnahme darauf zum Scheitern verurteilt wäre. Die Stadt wird dann zum Hintergrund für Bottas Architektur wie die Bergwelt bei seinen monumentalen Kirchen. Die Firmitas, die Einheitlichkeit und die starken Gesten seiner Entwürfe geben Städten Halt. Wie auch Bottas Sakralräume kommen sie ohne Bilder und Symbole aus und sind dennoch kraftvoll. Plastizität, die Ablehnung des Flüchtigen und die sinnlich taktile Textur, die vom Spiel von Licht und Schatten lebt, geben Mario Bottas besten Bauten zeitlose Qualitäten. 

 

San Carlino, Lugano, 1999–2003 (abgebrochen) (Foto: Enrico Cano)

Zu erleben ist Mario Bottas Werk ab dem 8. April in einer grossen Ausstellung in Rom. Unter dem Titel «Nature» lädt das MAXXI (Museo nazionale delle arti del XXI secolo) im Rahmen einer Reihe monografischer Architekturausstellungen bekannte Architekten ein, ihre Arbeit zu zeigen. Die Schau über Mario Bottas Architektur trägt den Titel «Sacro e profano». Die beiden Pole sakral und profan wollen die Kuratoren Margherita Guccione und Pippo Ciorra im Sinne von «Heiligkeit, Reinheit der Materialien und Sensibilität für den Kontext» verstanden wissen. 

Mario Botta geniesst in Italien hohes Ansehen und erhielt den prestigeträchtigen Auftrag, im Palazzo San Felice in Rom, der zum italienischen Regierungssitz gehört, eine Bibliothek einzurichten. Mit der Schau im MAXXI wird er aufgrund seiner biografischen und gestalterischen Bezüge zu Italien fast als italienischer Architekt «adoptiert». Tatsächlich war Como für ihn während seiner Jugend ein sehr wichtiger Ort. Italien war ihm näher als «Bern». Botta passt nicht ins Bild des protestantisch-nüchternen Minimalismus, der in der Deutschschweizer Architektur zur Perfektion getrieben wurde. Er ist auch kein Alumnus der ETH Zürich. Botta studierte lieber in Venedig und diplomierte bei Carlo Scarpa und Giuseppe Mazzariol. Mit Aurelio Galfetti gründete er die Accademia di architettura in Mendrisio als eigene Tessiner Architekturschule mit eigenständigem Konzept und durchaus in Abgrenzung zu anderen Universitäten. Heute ist sie längst international anerkannt und zieht auch viele Studierende aus dem Ausland an.

 

Synagoge und Zentrum für das hebräische Erbe, Tel Aviv, Israel, 1996–1998 (Foto: Pino Musi)

Botta hat Arbeiten auf der ganzen Welt realisiert, darunter das Tinguely Museum in Basel, die Kathedrale in Évry bei Paris, die Cymbalista-Synagoge in Tel Aviv und das Centre Dürrenmatt in Neuchâtel sowie das MART (Museo di arte moderna e contemporanea di Trento e Rovereto). An der Accademia di architettura realisierte er das Teatro dell’architettura – ein Ort, an dem Architektur diskutiert werden soll. Die Kuratoren sagen denn auch, ihre Ausstellung spiegle Bottas Interesse an der Inszenierung von Architektur wider.

In den Räumlichkeiten des MAXXI, die von Zaha Hadid entworfen wurden, werden Ausstellungsstücke von einem Pavillon im Massstab 1:1 über den Prototyp einer Fassade bis hin zu Modellen, Skizzen und Fotografien zu sehen sein. Die Schau in Rom ist für Mario Botta eine grosse Ehre. Aus einfachen Verhältnissen stammend, hat er es zu einem der bekanntesten Architekten seiner Generation geschafft. Auch wenn seine Architektur zuweilen polarisiert, durfte Botta bereits auf drei Kontinenten bauen. Er ist nach wie vor einer der erfolgreichsten zeitgenössischen Architekten der Schweiz. 

 

Bechtler Art Museum, Charlotte, North Carolina, USA, 2000–2009 (Foto: Enrico Cano)

Wichtige Impulse gab Botta die Auseinandersetzung mit dem subtraktiven Entwerfen Louis Kahns und Le Corbusiers. Von ihnen hat er den Mut zur Geometrie und zur Monumentalität gelernt. Doch ein eigenständiges Œuvre konnte Botta erst durch seine Disziplin, seine Treue zu sich selbst, seine Leidenschaft für die Architektur und seine Liebe zum Detail entwickeln. Gemein ist ihm mit Kahn und Le Corbusier eine auf wenige Elemente reduzierten Formensprache und die Art der Verbindung der Bauten mit dem Ort. Naturstein, Klinker oder Beton fügt Botta zu strengen Kuben und Zylindern mit massiven Wänden, die mit Fensterschlitzen und tiefen Einschnitten gegliedert werden. Tageslicht wird meist über Oberlichter in die Interieurs geführt, wodurch die nur sparsam mit Fenstern versehenen Gebäude wie Gefässe wirken. Die monolithischen Fassaden sind meist mit Fassadenbändern gegliedert. Die Ausstellung in Rom zeigt diese Phänomene erstmalig im Überblick.

Zu der monografischen Schau, die bis zum 4. September dieses Jahres laufen wird, erscheint ein Katalog mit Essays von Botta selbst über seine Inspirationsquellen, einem Interview von Fulvio Irace mit ihm und Beschreibungen seiner Bauten.

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