Ressourcenschonende Leichtigkeit und architektonischer Reichtum
Katinka Corts
4. juni 2024
Blick ins Atelier der neuen Architekturschule (Visualisierung: © FAKT+Gustav Düsing)
Die Architekturfakultät der Universität Siegen zieht von der Peripherie ins Stadtzentrum. Dafür wird eine frühere Druckerei umgebaut – nach einem Entwurf von FAKT und Gustav Düsing aus Berlin, die den Wettbewerb mit einem ästhetischen Leichtbau gewinnen.
Der Campus der Universität Siegen liegt etwa fünf Kilometer nördlich des Hauptbahnhofs der Stadt, hier ist bislang auch die Architekturfakultät angesiedelt. Die Lage im Grünen ist schön, doch für die an sich wohlhabende Grossstadt im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen, deren Zentrum zunehmend an Geschäften und damit auch an Publikumsverkehr verliert, stellt sie keine ideale Situation dar. Mit der Idee, einen Stadtcampus zu entwickeln und so studentisches Leben in die Innenstadt zu holen, suchte die Universität zuletzt nach Standorten für die Umsiedlung ihrer Fakultäten.
Einer der identifizierten Orte ist das frühere Druckhaus der Siegener Zeitung. Das Gebäude am Häutebachweg ist fast 50 Jahre alt. Die nutzungsbedingt sehr belastbare Konstruktion des Zweigeschossers ermöglicht, das unscheinbare Gebäude mit Waschbetonfassade um bis zu zwei Etagen aufzustocken und es zu einem wichtigen bildungspolitischen Fixpunkt im Stadtzentrum zu gestalten. Mit den bis zu sechs Meter hohen Räumen und einer Grundfläche von etwa 20 × 50 Metern ist der Stahlbetonskelettbau prädestiniert für einen Umbau, eine Erweiterung in sich selbst und eine nachhaltige Weiternutzung.
Modellfoto: © FAKT+Gustav Düsing
Im vergangenen August veranstaltete das Department Architektur eine Summer School zum Auftakt des Planungsverfahrens. Es beteiligten sich sechs Architekturbüros, die zuvor aus 30 Bewerbungen ausgewählt worden waren. Sie alle sind bekannt für ihr Interesse an nachhaltigem und zirkulärem Bauen: ADEPT aus Kopenhagen, AgwA aus Brüssel, das Kollektiv Assemble aus London sowie die Berliner Teams FAKT+Gustav Düsing, ZRS coopdisco und Hütten und Paläste.
An der Summer School nahmen Dutzende Studierende aus Deutschland und Österreich teil. Gemeinsam mit den Architekten befassten sie sich in ihren Konzepten nicht nur mit dem Bau an sich und den zu verwendenden Materialien, sie untersuchten vielmehr auch die neue Lage im Stadtzentrum und setzten sich mit den Möglichkeiten auseinander, die Schule überregional zu vernetzen. «Es war mit den vielen Leuten vor Ort manchmal etwas chaotisch, aber an sich war es ein guter Live-Test für einen späteren Fakultätsbetrieb vor Ort», erinnert sich Architekt Gustav Düsing an diese Phase.
Auf den Dialogprozess mit Stadt und Universität sowie den Lehrenden und Studierenden des Departments Architektur folgte die weitere Ausarbeitung der Entwürfe. Während sich das Team ZRS/coopdisco bis dahin mehr mit der schrittweisen Neunutzung bis 2030 beschäftigt hatte, zeigte ADEPT in seinem Entwurf bereits mögliche Gebäude- und Platzsituationen, die sich an der bekannten Architekturschule im dänischen Aarhus orientierten. FAKT und Gustav Düsing wiederum formulierten in ihrem Beitrag das Ziel, möglichst sparsam mit Material umzugehen und lediglich schlanke, feine Ergänzungen entstehen zu lassen – ein Ansatz, der bereits von Düsings Arbeiten in Braunschweig und Tel Aviv vertraut ist und sich ebenso in den bisherigen Projekten von FAKT wiederfinden lässt.
Der neu hinzugefügte Gebäudeteil bekommt ein abgehängtes Holzdach. (Visualisierung: © FAKT+Gustav Düsing)
Blick auf den Eingangsbereich und die Erdgeschosszone (Visualisierung: © FAKT+Gustav Düsing)
Visualisierung: © FAKT+Gustav Düsing
Das siegreiche Team: FAKT und Gustav Düsing. Sie erweitern das Bestandsgebäude mit Leichtbaumaterialien und stocken es um zwei Etagen auf. Der Aufbau erhält ein materialsparendes Hängedach aus Holz. Die zusätzlichen Bauteillasten werden über die Primärstruktur auf Fassadenebene abgetragen, weshalb keine weiteren Fundamente nötig sind. Die Parabolform des Daches fällt auf und macht aus dem bislang schlichten und unscheinbaren Druckhaus auch aus der Ferne eine Besonderheit im Stadtraum.
Das offene Erdgeschoss und das freie Obergeschoss lösen die Form auf, der vor die Bestandsfassade gesetzte neue Randbereich wird als Pufferzone später nicht beheizt, ist aber nutzbar. Auch darin findet sich also ein Element wieder, das bereits im siegreichen Wettbewerbsbeitrag des Gewinners des diesjährigen EU Mies Awards für das Residenzgebäude der deutschen Botschaft in Tel Aviv zu sehen war: Vorgesehen ist dort, mit einer vorgehängten Metallfassade eine klimatische Zwischenzone für ergänzende Nutzungen zu schaffen. In einem Interview mit unserem deutschen Partnermagazin beschrieb Düsing diesen Transfer jüngst so: «Immer wieder werden Themen, die wir im vorherigen Projekt nur anreissen konnten, im nächsten Entwurf tiefer entwickelt.» In Siegen wird die Rohbaustruktur des Baus erhalten, nicht mehr benötigte Fassadenelemente werden recycelt und bekommen eine neue Funktion als Sitzgelegenheiten.
Vom nun ausgewählten Entwurf erhoffen sich die Verantwortlichen der Universität einen gewissen Modellcharakter für «neue Formen des universitären Zusammenlebens, aber auch für den Umgang mit Bestandsbauten». Mit dem Erweiterungsbau, aber auch dank der neuen Lage in der Innenstadt, könnte das ähnlich funktionieren wie an der TU Braunschweig, in deren Studierendenhaus heute reges Leben herrscht. Trotz aller Möglichkeiten des digitalen Lernens scheint mit dem dortigen Neubau ein Weg gefunden, wie Gemeinschaft und analoge Zusammenarbeit wieder wesentlich mehr in den Fokus rücken können.