Relikte aus der Zukunft

Susanna Koeberle
10. januari 2020
Blick in die Ausstellung «Empty Things» mit Keramiken von Masaomi Yasunaga bei Complete Works. (Foto: Arnaud Christin)

Häufig hat die Instagram-Bilderflut bei mir eine Art Abhakungseffekt: gesehen. Dann lege ich die Bilder irgendwo ab, sei es auf dem Computer oder sonst in einer Ecke des körpereigenen Speichers und damit ist die Sache gestorben (meistens…). In seltenen Fällen lösen sie bei mir den Wunsch aus, die Sachen auch in natura zu sehen. So war das, als ich auf dem Bildschirm die Einladung zur Ausstellung «Empty Things» mit Keramiken von Masaomi Yasunaga sah. Diese erschienen mir als so überirdisch schön, geheimnisvoll und verwirrend zugleich, dass ich die Stücke mit eigenen Augen sehen musste. Solche euphorischen Anwandlungen können auch zu Enttäuschungen führen. Merkwürdigerweise befürchtete ich in diesem Fall keine Sekunde eine Desillusionierung. Ich wusste, die Objekte würden nichts an ihrer Ausstrahlung einbüssen, wenn ich vor ihnen stehen würde. Das mag jetzt arg esoterisch klingen, hat aber mehr mit Erfahrungswerten zu tun. Einordnen konnte ich die Stücke dennoch nicht, zu heterogen erschienen sie. Wie sind diese Keramiken gemacht, fragte ich mich. Woraus bestehen sie eigentlich? Warum sehen sie wie archäologische Relikte aus, die man aus einem Gewässer gefischt hat? Oder noch eher wie Fundstücke von einem anderen Planeten? Die Artefakte wirkten vertraut und fremd zugleich.

Manche Gefässe haben Tierformen. (Foto: Arnaud Christin)

Vor Ort erklärt mir Fabienne Stephan, die Kuratorin der Schau, die sich neben dem Architekten Arnaud Christin um die Ausstellungen bei «Complete Works» kümmert, die unkonventionelle und radikale Herstellungsmethode des japanischen Keramikers. Auch sie war, als sie Yasunagas Arbeit in der Galerie Nonaka-Hill in Los Angeles entdeckte, sofort fasziniert von den aussergewöhnlichen Stücken des Kunsthandwerkers und beschloss, diese in der Schweiz zu zeigen. So entstand der Kontakt zu Masaomi Yasunaga. 1982 in Osaka geboren, gehört er einer Schule von Handwerkskünstlern an, die mit der Tradition Tabula rasa machen wollten. Dass dabei auch die Spannung zwischen funktionalem Objekt und nutzlosem Kunstwerk ausgelotet wird, gehört zum Konzept. Die neusten Arbeiten Yasunagas treiben dieses Unterfangen zum Äussersten, denn in Wahrheit bestehen die Stücke gar nicht aus Ton! 

Deswegen können sie streng genommen gar nicht als Keramiken bezeichnet werden. Tatsächlich formt der Künstler diese aus Glasur, dem Material, mit dem Keramiken üblicherweise am Schluss überzogen werden. Diese ungewöhnliche Technik hat zum einen Folgen für seine Arbeitsweise, zum anderen trägt sie zum fragilen und unregelmässigen Aussehen der Gefässe bei. Diese sind stellenweise so dünn, dass sie auseinander zu fallen drohen. Durch den Brennvorgang schmilzt die Glasur und verbindet sich mit den anderen verwendeten Bestandteilen wie etwa Steinen, Feldspat, Glas oder Metallpulver. Da sich die Glasur relativ schnell verfestigt, ist zudem schnelles Formen notwendig. Gerade bei den gröberen Stücken spürt man die Handgriffe des Künstlers an den rudimentären Formen, die so aussehen, als hätte der Zahn der Zeit bereits an ihnen genagt. Diese Ambivalenz zwischen archetypischer Einfachheit und komplexem künstlerischen Ausdruck steigert die magische Strahlkraft der Objekte. Häufig haben die Gefässe Tierformen, was ihnen zwar etwas Vertrautes verleiht, sie aber zugleich in eine mystisch-magische Sphäre entrückt. 

Das schnelle Formen mit der Glasur widerspiegelt sich in der groben Struktur der Stücke. (Foto: Arnaud Christin)

Es ist eine zauberhafte Welt, zu der Menschen den Zugang verloren haben. Verschulden sie diese Entfremdung durch ihr zerstörerisches Handeln nicht selbst? Als Fabienne Stephan Yasunagas Inspirationsquelle nennt, einen frühen Anime von Hayao Miyazaki, fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Natürlich, das sind doch Wesen aus «Nausicaä»! Der Film spielt in einer postapokalyptischen Zukunft, in der ein Grossteil der Erde vom «Meer der Fäulnis» bedeckt ist, einem riesigen giftigen Pilzwald. Erst die Hauptfigur des Films, Prinzessin Nausicaä, entdeckt, dass das Gift eine Folge des verseuchten Erdbodens ist und der Pilzwald im Gegenteil die Rettung der Erde bedeuten könnte. Der Anime stammt notabene aus dem Jahr 1984! Es sind nicht nur die zauberhaften Mischwesen aus diesem Anime, die in den Stücken Yasunagas anklingen. Die Gefässe lösen dieselbe staunende Ehrfurcht vor der Natur aus, die auch Nausicaä und ihr Tun erfüllt. Es müssen Taten her, um die vom Klimawandel und seinen Folgen bedrohte Menschheit zu retten. Aber Kunst kann uns immerhin sensibilisieren für die Schönheit dieser Erde. Sie wird es auch geben, wenn wir nicht mehr da sind.

Die Gefässe loten die Grenze zwischen funktionalem Objekt und «nutzlosem» Artefakt aus. (Foto: Arnaud Christin)

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