Er hat den Architekturdiskurs geprägt. Nun schreibt Hans van Dijk nicht mehr

Bart Lootsma
9. september 2021
Illustration: world-architects.com

Hans van Dijk starb am Donnerstag, den 26. August. In der Tat war er der wichtigste Architekturkritiker, den die Niederlande je hatten, wie Piet Vollaard zu Recht schrieb. Als Kritiker und Redaktor von Wonen TA/BK (Tijdschrift voor Architectuur en Beeldende Kunst) war er in den 1970er- und 1980er-Jahren mein grösstes Vorbild – später zusammen mit Dietmar Steiner, der voriges Jahr verstorben ist. Und das gilt nicht nur für mich, sondern auch für viele Kollegen. Damals war die Architektur noch ein nationales Phänomen. Man schrieb über sie nur in der jeweiligen Landessprache, sodass ausländische Bauten und Debatten vielen verschlossen blieben. Hans hat die wichtigsten internationalen Projekte auf Niederländisch besprochen und so für ein niederländisches Publikum zugänglich gemacht. Daneben hat er natürlich auch über die Situation in den Niederlanden geschrieben. Er war einer der wichtigsten Faktoren in den 1970er- und 1980er-Jahren, die es der niederländischen Architektur ermöglichten, in den 1990er-Jahren wieder aufzublühen. Natürlich hat er den Aufstieg von Rem Koolhaas und OMA aufmerksam verfolgt. Es hiess, er könne «Delirious New York» komplett auswendig rezitieren. Die endgültige Internationalisierung der Architektur und der Architekturkritik fand erst in den 1990er-Jahren statt. Leider hatte Hans zu diesem Zeitpunkt ARCHIS, wie Wonen TA/BK damals hiess, bereits verlassen und war zunächst an das Niederländische Architekturinstitut und dann an die Technische Universität Delft gewechselt. 

Hans war sehr belesen und reiste ausgiebig. Ich bin froh, dass wir regelmässig zusammen unterwegs waren. Zum Beispiel besuchten wir für eine Sonderausgabe von ARCHIS Wien. Frau Jenewein, Hans Holleins strenge Sekretärin, wusste genau, wer er war, und forderte einige Dias zurück, die Hans sich vor Jahren geborgt hatte. Darüber haben wir oft gelacht. Er kannte jeden, der in der Welt der Architektur von Bedeutung war. Wir reisten mit dem BKVB-Fonds nach Japan und in andere Teile Asiens, mit der Zementindustrie nach Norditalien und mehrmals zur Biennale nach Venedig. Gemeinsam mit Hans Ibelings sind wir für das Architektur-Jahrbuch der Niederlande durch unsere Heimat gefahren.

«Hans schreibt nicht mehr», heisst es auf seiner Trauerkarte, unter seinem Namen steht Architekturkritiker. Und das zu Recht. Er sah sich in erster Linie als Journalist, worüber sich einige, insbesondere an der TU Delft, zu Unrecht wunderten – man musste ihrer Meinung nach Historiker oder Theoretiker sein. Aber gerade deshalb war er in den 1970er- und 1980er-Jahren für viele so wichtig. 

Hans war auch Redaktor, eine Rolle, die immer unterschätzt wird, die aber die Debatte mehr prägen kann als die des Kritikers. Der Redaktor schreibt nicht unbedingt selbst, sondern lässt andere zu Wort kommen, und das war eine Rolle, die Hans perfekt passte. Wonen TA/BK, die Zeitschrift der Stichting Wonen, die ursprünglich als Goed Wonen herausgegeben wurde, das Sprachrohr der gleichnamigen Stiftung, die nach dem Zweiten Weltkrieg die Aufgabe hatte, «das Wohnen in den Niederlanden durch die Verbesserung der Wohnungseinrichtung im weitesten Sinne des Wortes auf ein höheres Niveau zu heben», war in den 1960er- und 1970er-Jahren in die Hände von Soziologen und Stadtsanierern gefallen. Die illustrierten ihre düsteren Ideen mit dunklen Schwarz-Weiss-Fotos. Hans änderte den Kurs der Zeitschrift, die alle vierzehn Tage erschien. Er richtete ihren Fokus auf die Architektur. Später war er für den Übergang von Wonen zur Monatszeitschrift ARCHIS verantwortlich, die auch in Farbe erschien. Die Themenwahl von Wonen und ARCHIS war immer geschickt und die Ausarbeitung der einzelnen Hefte stets sehr präzise. Es wurden auch Risiken eingegangen: Ich selbst war erst 24 oder 25 und hatte bis dato nur in einer lokalen Kunstzeitung veröffentlicht, als ich auf Empfehlung von Geert Bekaert eine ganze Ausgabe dem «Poème Électronique» von Le Corbusier, Edgard Varèse und Iannis Xenakis widmen durfte. Alle Schreibaufträge wurden immer sehr genau formuliert und besprochen. 

In beiden Funktionen – als Kritiker und noch mehr als Redaktor – hatte Hans einen scharfen Blick für Debatten, die explizit oder implizit in der Architektur geführt wurden. In einem schönen Interview von Arjen Oosterman in Volume – dem noch internationaler ausgerichteten Nachfolger von ARCHIS – erzählt Hans, wie er sich bei der Erstellung des Profils von Wonen TA/BK von Peter Eisenmans Journal Oppositions inspirieren liess; aber noch mehr als das waren es wohl die heftigen Debatten an der TU Delft zwischen Aldo van Eyck, Herman Hertzberger und Carel Weeber in den späten 1970er- und frühen 1980er-Jahren, über die Hans ein breites Publikum informierte, auch im NRC Handelsblad, ohne gleich Partei zu ergreifen. Damals war es mutig, nicht Partei zu ergreifen.

Hans war bescheiden, aber er war sich seiner Rolle sehr bewusst. Saskia van Stein erinnerte mich kürzlich daran, dass Hans den Architekturkritiker als «denjenigen sieht, der den Weg für die Geschichtsschreibung im zeitgenössischen Dschungel ebnet». Die Zeit als Herausgeber von Wonen TA/BK und ARCHIS bezeichnete er als die glücklichste seines Lebens. Später wurde er Verantwortlicher für Sonderprojekte am Niederländischen Architekturinstitut und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Delft. Die erste Stelle war in gewissem Sinne eine Belohnung für seine frühere Arbeit, aber sie war auch etwas ganz anderes. Und weil er nie einen Abschluss gemacht hatte, konnte er nie Professor werden – im Gegensatz zu den Menschen, die er so sehr inspirierte. Wir vergessen manchmal, dass die Architekturkritik in der Zeit bevor sie – oft fälschlicherweise mit der kritischen Theorie verwechselt – zu einer fast ausschliesslichen Domäne der Akademiker wurde, einen viel grösseren Einfluss hatte. Für Hans war es wichtig, als Kritiker die von ihm begutachteten Gebäude persönlich besichtigt zu haben.

Vor allem aber war die Architekturkritik für ihn eine Lebenseinstellung, die er sehr genoss. Und er war in der Lage, dies zu vermitteln – nicht nur schriftlich. Er hatte grossen Spass daran und ahmte gerne bekannte Persönlichkeiten nach, die sich über Architektur unterhielten. Ich bin froh, dass wir ihn noch ein paar Mal zur Biennale einladen konnten und dass wir ihn kürzlich bei der Vorbesichtigung der Ausstellung «Radical Austria: Everything is Architecture» im Design Museum in Den Bosch gesehen haben. Wir werden seine Neugier und seine Freude an der Architektur ebenso vermissen wie seine Fröhlichkeit bis zuletzt. Als ich ihn kürzlich fragte, ob er bis Ende September durchhalten würde, damit wir uns sehen können, sagte er, er würde die Herausforderung annehmen. Leider sollte es nicht sein. 

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