Cheesefunding, anybody?
Manuel Pestalozzi
5. juni 2017
Kein Hafenkran, aber eine Hebebühne, immerhin. Der Fassadenschmuck ist schon fast komplett übertüncht. Bild: Volker Dörken, www.wp.de
An einem Käsegraffiti in Münster entzündete sich der Architektenzorn. Es musste entfernt werden. Eine Geschichte aus dem Grossen Kanton, der einem hiesigen Seldwyla würdig wäre.
Mein Vater hatte ein Patenkind aus dem Grossen Kanton, eine Architektentochter. Von ihr ging die Anekdote um, dass sie als kleines Kind auf Besuch vor einem Bild in die Hände klatschte und sagte: «Ach, ist das schön!» Um gleich anschliessend die Stirne zu runzeln und rückzufragen: «Oder ist es Kitsch?»
Es ist nicht absolut auszuschliessen, dass Kitsch schön sein kann oder zumindest die Kraft hat, etwas Freude zu spenden. In der kreisfreien Stadt Münster in Westfalen sorgt er aber für rote Architektenköpfe, wie der Redaktor aus der Westfalenpost erfahren hat. Die marode Docklandbebauung am Dortmund-Ems-Kanal «aufpimpen» und mit einer «Hafenkäserei» ergänzen, mag noch angehen. Dass die Bio-Manufaktur aber zwei junge Graffiti-Künstler beauftragte, die «triste Betonwand, die zum Hafenbecken blickt», in ein farbenfroh anarchisches Tableau zu verwandeln, mit dem aufgesprayten Motto «Make cheese not war», war des Guten zuviel.
Der fidele, pfeifenrauchende Seemann mit dem Käseklops-Kopf mobilisierte den Bund Deutscher Architekten Münster-Münsterland. Die plakativen Bilder verletzten nicht nur das Urheberrecht der Architekten, sondern sie führten auch dazu, dass sich angesichts der bevorstehenden «Skulptur Projekte» die Stadt Münster vor der internationalen Kunstwelt blamiere, monierte der Fachverband. Dass ein Hafenkäse noch keinen Hafenkran macht, äusserte sich auch im Bedenken, Journalisten der grossen Kunstmagazine würden sich «über die absurde Verhunzung einer ambitionierten Architektur als Zielpunkt des «Skulptur Projekte»-Stegs belustigen.» Auweia!
Man kann sich vorstellen, dass nicht ganz Münster diese Ansicht teilte. Aber die Meinung der Öffentlichkeit und das Urheberrecht sind zweierlei Ding. Das Landgericht Bielefeld wurde bemüht, und die Urheber-Architekten einigten sich dort mit den Eigentümern des Hafenkäse-Gebäudes. Hurtig wurde «Make cheese not war» übertüncht. Die Hafen-Ästhetik ist fürs Erste gerettet. Vielleicht sei die bisher gelaufene Debatte ja eine gute Gelegenheit, einen Dialog zwischen verschiedenen Kreativen zu suchen, sinniert die Jungunternehmerin Ann-Paulin Söbbeck, die das Graffiti in Auftrag gegeben hatte. Beim nächsten Anlauf ist ihr ein breit abgestütztes Cheesefunding zu empfehlen.