Århus ist die europäische Kulturhauptstadt 2017

Little Big Town

Ulf Meyer
9. maart 2017
Havneholmen Housing, C.F. Møller Architects. Bild: Julian Weyer

Als wirtschaftliches Zentrum Jütlands, einer Metropolregion mit fast 1,4 Millionen Einwohnern und Dänemarks grösstem Containerterminal platzt Århus aus allen Nähten und hat sich städtebaulich und architektonisch neu erfunden. Das Stadtbild wirkt durch das schnelle urbane Wachstum unharmonisch, aber ungemein entdeckenswert ist die Architektur dieser Stadt umso mehr.

Die Stadt Århus hat zwei Probleme – und viele Vorzüge. Die Probleme heißen «Å» und «Kopenhagen». Zum ersten Fallstrick: Ausländer wissen einfach nicht, wie man den Namen der Stadt ausspricht. Im Jahr 2010 beschloss der Stadtrat von Århus den Ort in Aarhusumzubenennen. Mit gemischtem Erfolg, denn auch ein Doppel-AA am Wortanfang ist für Angelsachsen schwer auszusprechen. Nicht per Beschluss beheben lässt sich das zweite «Problem»: Kopenhagen ist so attraktiv und nah und bekommt fast die gesamte internationale Medien-Aufmerksamkeit, die dänischen Städten zuteil wird. Für die mit etwa 260'000 Einwohnern zweitgrösste Stadt Dänemarks ist das ein Fluch und Segen zugleich: Einerseits beneidet man die eitle Kapitale, die regelmässig zur lebenswertesten Stadt der Welt gewählt wird. Andererseits bietet auch Århus alle Qualitäten einer reichen, dänischen Grossstadt – ohne den Hype und die Touristenpreise der politischen Hauptstadt.


Neue Monolithen am Hafen
Wer mit dem Schnellboot aus Gotland kommend auf Århus zufährt, erkennt die Stadt nicht mehr wieder: Ihre Silhouette zum Meer hin wird nun nicht mehr von Kirchtürmen oder Hafenkränen bestimmt, sondern von drei brandneuen Monolithen am Hafen: Das Navitas-Gebäude (Kjær & Richter, 2014) ist das grösste der drei. Es soll die «Kooperation zwischen Forschung, Lehre und Betriebswirtschaft» befördern, denn es dient den Ingenieursfächern der Universität Århus, der Århus School of Marine and Technical Engineering sowie dem INCUBA Science Park, die sich Kantine, Fitness-Raum und Konferenzräume teilen. Das im Grundriss sternförmige siebengeschossige Gebäude entwickelt wegen seiner enormen Grösse städtebauliche Präsenz am Hafen von Århus. Der Grundriss soll ein «Drehkreuz» symbolisieren. Seine Riegel symbolisieren die einzelnen Disziplinen. Am anderen Ende der neuen architektonischen Perlenkette an der Waterkant von Århus liegt das DOKK 1 genannte Kulturzentrum, das nach Entwurf von Schmidt Hammer Lassen 2015 eingeweiht wurde. Es beherbergt Skandinaviens grösste öffentliche Bücherei und ein Bürgerzentrum. Die hellgraue Fassade des polygonalen Gebäudes dreht, bricht und wendet sich und definiert weder Vorder- noch Rückseite. Horizontal gliedert sich der Bau in drei Teile: In der oberen Etage, die wie ein unregelmässiger metallischer Diskus wirkt, liegen Büros, im mittleren Teil Veranstaltungssäle und die Bibliothek mit Rundumblick.

Eingerahmt von seinen beiden prominenten Nachbarn liegt in der Mitte der neuen Uferkante das Bestseller-Kontorhus mit einer grauen Natursteinfassade von C.F. Møller, ebenfalls 2015 fertiggestellt. Der Firmensitz einer sehr erfolgreichen örtlichen Mode- und Designfirma enthält Fotostudios, Showrooms, Catwalks und ein Auditorium. Über einem Sockel verzweigt sich der Bau in fünf Riegel, von denen der höchste zwölf Geschosse hoch ist. Eine «interne Strasse» endet in der Kantine mit Rundum-Blick auf das Meer. Die Atmosphäre der Innenräume ist vom hölzernen Treppen und begrünten Terrassen geprägt.
 

Bürokomplex Bestseller, C.F. Møller Architects. Bild: Adam Moerk
Harbor Houses, ADEPT and Luplau & Poulsen Architects. Bild: Luplau & Poulsen

Die neue Insel Ø
Von der neuen innerstädtischen Wasserkante ist es nicht weit nach «Ø» – dem neuesten Stadtviertel von Århus, das ganz auf spektakuläre Einzelbauten setzt. Eine «Letbane» («leichte Bahn», eine moderne Stadtbahn) soll schon 2017 die beiden Areale miteinander und anderen wichtigen Punkten der Stadt verbinden. Århus wächst jährlich um durchschnittlich 4'000 Einwohner und deshalb hat die Stadt ihren Hafen verlegt und das Gelände «Ø», entwickelt, in dem bald 25'000 Menschen wohnen und arbeiten werden. Auf der Ø-Insel schossen in den letzten Jahren spektakuläre Wohnanlage von berühmten Architekten wie Pilze aus dem Boden. Die Wohnanlage Havneholmen (C.F. Møller, 2016) beispielsweise mit fast 400 Wohnungen liegt direkt am Hafen mit Blick über die Bucht von Århus. Die Reihe von schlanken hohen Scheiben wird von Stahlträgern bekrönt, von denen die Balkone abgehängt zu sein scheinen und die an die alten Hafenkräne erinnern. Das Lighthouse von 3XN nebenan spielt ebenfalls auf maritime Motive an: Die Lage am Rand des Neubauviertels weckt Assoziation an einen Leuchtturm. Die umlaufenden Fassaden haben keine «Rückseiten». Sie sind homogen mit Bögen zwischen den Etagen gestaltet, und jeder Balkon ist individuell ausgeprägt. Das geschwungene Muster der Fassaden soll an die Reflektion von Licht auf einer Wasseroberfläche erinnern. Da das geplante Hochhaus nebenan einstweilen noch auf sich warten lässt, haben die Nachbarn kurzerhand einen städtischen Garten aus dem Grundstück gemacht und Hochbeete für Gemüse, Blumen, und Kräuter angelegt. Ebenso improvisiert wirkt der neue Strand von Ø mit Liegestühlen aus Holz-Paletten und einer zusammengezimmerten Strandbar. Das Neubauviertel mag «nah am Wasser gebaut» sein, aber auf seine unregelmässigen Entwicklungsschübe reagieren die Dänen ganz gelassen und pragmatisch. Da Århus eine Studentenstadt – mit einer berühmten Architekturschule – sowie die grösste Stadt in Jütland ist und die Anzahl der wohnungssuchenden Studenten stark zugenommen hat, wurden auch vier Studenten-Wohnheime im teuren Neubauviertel gebaut. Sie helfen mit, die soziale Mischung zu fördern.

Das beliebteste - und wohl auch teuerste Wohnhaus in Ø - liegt direkt nebenan: Das Z-Huset von SAHL Arkitekter ist ein zu einem «Z» aufgelöster Häuserblock. Die beiden dreieckigen Höfe werden von den drei Wohnriegeln gerahmt. Alle Fassaden sind gleissend weiss und die Terrassen sind nach Westen orientiert: Weg vom Meer, aber mit Orientierung zur Innenstadt und Abendsonne. Die Balkone und Dachgärten sind riesig.

Isbjerget, Cebra Architects

Das neue Hafenviertel
Der Isbjerget (zu deutsch Eisberg) von CEBRA entworfen, bildete den ersten Baustein des neuen Hafenviertels und wurde wegen seiner extravaganten Form und Platzierung zum neuen Wahrzeichen der Stadt Århus. Seine vier L-förmige Wohnblöcke orientieren ganz sich zum Wasser. Um das Tageslicht geschickt auszunutzen und überall Ausblicke auf die Bucht zu ermöglichen, haben die Häuser spitze Formen: Ihre Dächer steigen schräg auf und die weissen Fassaden sind in ein unregelmässiges Raster aus Dreiecken geteilt, das an einigen Stellen durch weit auskragende Balkone durchbrochen wird, die mit kristallblauem Glas verkleidet sind – eine Anspielung auf den Blauschimmer kantiger Eisberge. Das Housing for All genannte Wohnhaus am Nordhavn, im Jahr 2013 nach Entwurf von ADEPT und Luplau & Poulsen fertiggestellt, schafft die soziale Balance zum exklusiven Eisberg. Es bietet 238 Wohnungen für Familien, Senioren und Studenten und auf seinen Dächern befinden sich statt schicker Designer-Grills eher gemeinschaftlich genutzte Gewächshäuser, Gründächer und Solarpaneele. Die Architekten wollten sowohl dem riesigen Massstab der Nachbarbebauungen als auch der Tendenz zur «Star-chitektur» im Viertel ringsum einen eigenen Ansatz entgegensetzen und wählten für ihren Entwurf eine Variante der Blockrandbebauung mit begrünten Höfen. Die abgetreppten Gebäudehöhen reagieren auf den Massstab der umgebenden Neubauten am Hafen. Projekte wie dieses geben Århus‘ neuestem Stadtviertel breiteren gesellschaftlichen Appeal und beweisen, dass in Skandinavien high «design» kein Privileg der Reichen sein muss.
 


Weitere Informationen zur diesjährigen Kulturhauptstadt und Details zum Jahresprogramm: www.aarhus2017.dk

Dieser Artikel erschien ursprünglich am 25. Januar 2017 auf german-architects.

Ulf Meyer hat in Berlin und Chicago Architektur studiert. Er arbeitete bei Shigeru Ban Architects in Tokyo und unterrichtete an der Kansas State University, der University of Nebraska-Lincoln und der Tamkang University in Taiwan. Heute lebt und arbeitet Meyer als Architekturjournalist in Berlin.

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