Jenseits von Planung
Sonja Lüthi
6. januari 2011
Flyer zur Reihe (Fotos: Hannes Henz)
Welche nicht sichtbaren Mechanismen stecken hinter den Strukturen unserer Städte und Lebensräume? Und welche Konsequenzen müssen wir daraus für unsere Planungspraxis ziehen, soll sie weiterhin Wirkung entfalten? So lautete die Fragestellung einer breit angelegten Vortragsreihe auf Einladung der Berner Fachhochschule. Soviel vorweg: Erste Antworten wurden gefunden – nicht alle sind neu.
«Städte entwickeln sich nicht nach den Partituren, die Architekten ihnen komponieren.»
Angelus Eisinger (aus: Die Stadt der Architekten, 2006)
Spätestens seit dem Aufkommen des Liberalismus zu Beginn des 19. Jahrhunderts sind Stadt- und Raumentwicklung einer Summe an Partikularinteressen ausgesetzt, auf welche die Steuerungsmechanismen der Planungspraxis nicht vorbereitet waren. De Fakto steht den komplexen Mechanismen der räumlichen Wirklichkeit noch heute eine Planungspraxis gegenüber, die von der Autonomie städtebaulicher und politischer Entscheide ausgeht und somit der räumlichen Wirklichkeit nur nachhinken kann. Wie diese Kluft zwischen Planungspraxis und Wirklichkeit zu überwinden ist, war das Thema der Vortragsreihe «Jenseits von Planung» – über die unsichtbaren Kräfte der Stadtentwicklung. Auf Einladung der Berner Fachhochschule Architektur, Holz und Bau sprachen im Kornhausforum Bern: Stadtplanerin Ute Schneider, Direktorin KCAP Zürich, Stadtplaner Thomas Sieverts, Regionalsoziologe Harmut Häussermann und Planungshistoriker Angelus Eisinger.
Ute Schneider war am 23. September 2010 zu Gast im Kornhausforum. Was kann und was soll ein Plan definieren? Und was muss er offen lassen? Mit dieser Fragestellung setzte sich Schneider anhand von unterschiedlichsten Planungsbeispielen von KCAP in West und Ost auseinander. «Ein Plan muss Freiheiten schaffen», gab sie die Antwort auf die Fragestellung gleich zu Beginn ihres Referats, um schon im nächsten Satz die Steuerungsmacht von Planung zu relativieren: «Steuerbarkeit ist eine Illusion geworden.» Während der erste Satz von Kees Christiaanse ist, stammt der zweite aus dem Wirtschaftsmagazin brand eins (Juni 2010). Dass die Wirtschaftswelt offensichtlich mit ähnlichen Problemen wie die Planung zu kämpfen hat, erstaunt nicht; wie selten am selben Strang gezogen wird, schon eher. So geschehen etwa beim Entwicklungsprozess für die HafenCity in Hamburg – um nur eines von vielen Beispielen zu nennen –, wo die Investoren aus kurzsichtigen Renditeüberlegungen eine Monokultur aus Büros vorgesehen hatten. «Zum Glück», so Schneider, kam die Finanzkrise, die eine durchmischte Nutzung ermöglichte. Wie geht KCAP mit solchen Ungewissheiten um? Die Struktur wird so flexibel wie möglich gehalten, der Prozess offen, so lange wie möglich. Oder: «Es kommt nicht darauf an, die Zukunft vorherzusagen, sondern auf die Zukunft vorbereitet zu sein», lässt Schneider ein Zitat des griechischen Politiker Perikles für sich sprechen. Auch bei dieser offenen Planungspraxis darf man sich allerdings keinen Illusionen hingeben. Gerade, was die Steuerung der Nutzungen betrifft, sei der Planer letzten Endes nur eines der kleinen Rädchen im Prozess: «Er bietet die Gefässe an».
Hafencity-Hamburg-Planung (Bild: ASTOC)
Architekten als PlanungsagentenThomas Sieverts dagegen, Redner vom 12. November, sieht die Aufgabe des Planers, zumindest in Europa, nicht mehr in der Gestaltung von Gefässen – jedenfalls nicht neuer Gefässe: Schon heute stehe das bauliche Volumen 10 bis 20% der Zeit leer, kommentierte er das Phänomen der schrumpfenden Städte in Europa. Mitunter darin sieht er den Ausdruck einer Umwälzungsphase, an deren Anfang wir uns befänden: Weg von einer auf Öl und Gas basierten Dienstleistungsgesellschaft hin zu einer auf erneuerbaren Energien basierten Wissensgesellschaft. «Jede Energieform hat ihre Stadtform geprägt», so Sieverts. Wie die Planung auf die Umwälzung zu reagieren hat bzw. was die neuen Städte charakterisiert, davon hat er bereits konkrete Vorstellungen: Einmal sei die Hauptaufgabe der Planung die qualitative Aufwertung der bestehenden Substanz der Städte. Denn nur über Qualität könne ihr wichtigstes Kapital angezogen werden: Junge, intelligente und kreative Bewohner. Weiter weise die Analyse der Zersiedlung – je grösser der Agglomerationsraum, desto feiner die Verästelung – auf eines der zentralen Qualitätsmerkmale hin: Die Nähe zur Natur. Sieverts Fazit: In Zukunft soll Planung nicht mehr über Bebauung geschehen, sondern über Freiräume. Dafür müsse die Trennung von Architektur und Landschaftsarchitektur aufgehoben werden, und Architektur eine «planerische Perspektive» einnehmen. Denn in Zukunft sind die Architekten die eigentlichen «Agenten der Planung», ist Sieverts überzeugt, geschieht Planung doch schon heute über Baugenehmigungen und Projekte.
Rhein-Ruhr: Fraktale Stadtstruktur des Ruhrgebiets, die zeigt, dass die Zersiedlung nicht chaotisch verläuft, sondern gemäss grösstmöglicher Nähe zur Natur (Bild: Humpert, Brenner, Becker (Hg.): Fundamental Principles of Urban Growth. Wuppertal 2002)
Ende der NormalitätAuch der Stadtsoziologe Hartmut Häussermann, ebenfalls am 12. November in Bern, sprach von einer tiefgreifenden Umwälzungsphase – von der Industrie- über die Dienstleistungs- zur Wissensökonomie. In ihr ortet er eine der Wurzeln für das «Ende der Normalität», als dessen wichtigste Merkmale er die zunehmende Akademisierung, die Befristung von Arbeitsverhältnissen, ja Beziehungen generell, sowie das Wegbrechen der Einkommensmitte nennt. Zur Erläuterung des Phänomens fokussierte er auf die Innenstädte als eigentlichem Schauplatz der Entwicklung. Seit dem Ende der 1990er-Jahre nimmt ihre Bevölkerung erstmals wieder zu, vornehmlich aufgrund des Zustroms der bereits erwähnten Jungen, Intelligenten und Kreativen. Häussermann unterscheidet dabei zwischen zwei Gruppierungen, die sich mit der Ausbreitung der Wissensökonomie dual entwickelt haben: Einerseits die so genannten Yuppies und andererseits das akademische Prekariat – ebenfalls intelligent, jung, kreativ, aber im Unterschied zu den Yuppies ohne sicheres Einkommen. Beiden Gruppierungen sind die gleichen Wertvorstellungen und Lebensstile eigen – nur verfügen sie nicht über die gleichen Ressourcen. Auf diese Dualität führt der Soziologe den Konflikt um den städtischen Lebensraum zurück, besser bekannt als «Gentrification». Grosse Einkommenspolaritäten, eine ausgeprägte Nachfrage nach öffentlichem Raum, eine gentrifizierte Innenstadt und der Stadtrand für den gesellschaftlichen Rand, so sieht der Soziologe die postfordistische Stadt oder eben das «Ende der Normalität» – es sei denn, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen würden sich ändern. An einen wirklichen «Impact» durch die Planungsdisziplin glaubt der Soziologe nicht.
Loft oder Liebe?
Orte werdenEin etwas optimistischeres Fazit für Planende bot das abschliessende Referat von Angelus Eisinger vom 2. Dezember: Nein, die Planung sei an den monierten Missständen nicht schuld – nicht nur. Die Krux für Planung und Städtebau ortet der Ökonome und Planungshistoriker darin, dass andere Akteure und Determinanten den Raum sehr viel stärker prägen als es ihre Profession tue. Mit ihnen gelte es, sich auseinanderzusetzen: «Es genügt nicht, Bilder zu produzieren. Alltagswelten müssen entworfen werden!», so Eisinger. Die Grenzen – aber auch die Macht – der Bildgebung veranschaulicht er am Beispiel Zürich-Nord, wo mit allen gestalterischen Mitteln der Versuch unternommen wurde, einen hochwertigen Stadtteil zu schaffen. Doch trotz drei ehrgeiziger Parkprojekte und architektonischer Highlights wie Peter Märklis Schulhaus im Birch erinnerten die Strassenräume in ihrer Sterilität an Jacques Tatis Film Play Time. «Statt einer urbanen Alltagswelt wurde eine urbane Kulisse geschaffen, die der Stücke harrt, die hier aufgeführt werden sollen», so Eisingers Diagnose. Ein anschauliches Beispiel dafür ist das UBS-Gebäude mit einer Arkade im Erdgeschoss – dem urbanen Element par excellence. Ironischerweise befindet sich hier aber nur eine einzige öffentliche Nutzung, und zwar in der Mitte der Arkade: Es ist ein Bankomat. Die Bilder, die in Zürich-Nord produziert worden sind, sind erkennbar, haben aber keine städtebaulichen Qualitäten generieren können. Das Schlusswort des letzten Abends stammte allerdings nicht von Eisinger, sondern aus dem Publikum: Von Josef Estermann, zwischen 1990 und 2002 amtierender Stadtpräsident von Zürich und als solcher verantwortlich für die Planung Zürich-Nord. Eisingers Rezepten stimme er zu, nicht aber der Analyse: Während des plötzlichen Baubooms Ende der 1990er-Jahre habe die Wirtschaft kein Interesse an Stadt gehabt, sondern an Büros. Das Fazit des Politikers: Ohne die Kraft der Wirtschaft geht es nicht.
Neu Oerlikon: UBS-Gebäude mit Arkade, aber ohne öffentliche Nutzung im EG – ausser eines Bankomats (Bild: photobucket.com)
FazitFassen wir zusammen: Eine Planung ist nur dann wirkungsvoll, wenn sie die Wirtschaft zu überzeugen vermag. Ihr angestammtes Mittel dazu ist die Gestaltung. Das ist nicht viel, aber auch nicht wenig – oder in den Worten Eisingers (um ihm doch noch das letzte Wort zu geben): «Gestaltung schafft nicht Stadt, muss aber ein elementarer Bestandteil der Stadt sein».