Den Beruf in der Gesellschaft aufwerten

Inge Beckel
17. november 2011

Eine Frage der Zusammenarbeit
Nach einem Rundgang durch sein Büro, einem länglichen, eingeschossigen Holzbau mit Satteldach nahe dem Zentrum des bündnerischen Bonaduz, führt Walter Bieler die Besucherin in die Cafeteria des Bongert, einem Alterswohnheim, das er als Ingenieur zusammen mit dem Architekten Roland Frei realisiert hat. Er schätze das Arbeiten mit Architekten – obwohl dieses natürlich nicht immer gleich sei. Am besten sei die Zusammenarbeit, wenn man sich auf gleicher Augenhöhe begegne, sich respektiere und das je spezifische Fachwissen des Anderen in die eigene Arbeit integriere. So könne sich die Ausgestaltung eines Projekts gegenseitig befruchten, könne zu etwas Unerwartetem weiter entwickelt werden, was letztlich in der täglichen Arbeit und im Team am spannendsten sei.

Hängebrücke Punt Ruinaulta in der Rheinschlucht (Bilder: Ralph Feiner)

Kein blosser «Rechner»
Leider werde der Ingenieur aber noch immer oft als reiner «Rechner» wahrgenommen, sowohl in der Gesellschaft wie auch von Architekten und Architektinnen. Ein Problem, das sich ebenfalls in der Ausbildung zeigt, auch dort wird das kreative Denken und Arbeiten der Studenten nicht gefördert, nur die Rechnerei, weiss Bieler. Christian Menn aber, gewissermassen Doyen der Schweizer Ingenieursbaukunst, insbesondere der Brückenbaukunst, deklariert aber klar, erzählt Bieler weiter, dass ein Ingenieur auch ein Gestalter ist. So hat Menn bei Walter Bielers neuer Brücke in der Rheinschlucht, einer Hängebrücke namens Punt Ruinaulta, sofort die gestalterischen Feinheiten gesehen, etwa die, dass Bieler den lichten Raum über dem 1,80 Meter breiten Gehweg trapezförmig ausgebildet hat, so dass sich der Bewegungsraum der Wandernden nach oben öffnet.

Brückenuntersicht.

Der Ingenieur als Gestalter
Diese Massnahme hat aber neben dem gestalterischen Effekt sowie dem erhöhten Komfort für die Wanderer einen handfesten prakatischen Nutzen. Denn durch das leichte seitliche Hinauskippen der gespannten Seile komme die Gehfläche bei heftigem Wing weniger stark ins Wanken als wenn die Seile im rechten Winkel zu den Trägern und zum Gehweg stehen würden, erläutert der Ingenieur. Ein Wechselspiel von Funktion und Form. Oder die zur Bewegungsrichtung querliegenden Lärchenbohlen, die von unten an den Trägern festgemacht sind, weisen einen schrägen, sich von oben nach unten verjüngenden Querschnitt auf, der die Gehfläche feiner wirken lässt und zudem als Windnase dient. Die Punt Ruinaulta ist 105 Meter lang, weist eine maximale Spannweite von gut 76 Metern auf und an deren Anfang auf Triner Seite ein Widerlager aus Beton mit einem Durchgang.

Hängebrücke mit skulpturalem Widerlager als Eingangstor.

Sanft und durchgängig
Neben der Brücke finden sich bislang zwei weitere Eingriffe aus dem Hause Bieler in der Ruinaulta: ein entlang der Bahngeleise der seit 1903 durch die Rheinschlucht führenden Rhätischen Bahn angelegter Fussgängersteg in der unteren Rheinschlucht und die Aussichtsplattform ‚Zault‘, die auf Höhe der Autostrasse den Blick in die weite, weisse Schlucht öffnet. All diese Eingriffe sind Teile eines seit gut einem Jahr lückenlosen Fussgänger-Wanderwegs durch die Rheinschlucht zwischen Reichenau und Trin, der zuvor in Flussnähe nicht durchgängig begehbar war. Elf umliegende Gemeinden bildeten im Mai 2009 die Trägerschaft Verein Ruinaulta mit dem Ziel, den sanften Tourismus zu fördern. Heute passieren an einem schönen Sommersonntag bis zu 1000 Leute die Schlucht; zwischen Dezember und März ist der Weg geschlossen, auch wegen dem ins Tal kommenden Wild.

Fussgängersteg, Teilstück des Wanderwegs Trin Statin – Reichenau.

Bescheidenheit als Grundsatz
Bieler ist derzeit mit einer Studie beauftragt, den Weg von Trin Station bis Versam Station weiter zu führen, schliesslich soll das Wandern von Reichenau bis nach Ilanz durchgängig möglich sein. Bielers Grundsatz ist es, in die grossartige Naturlandschaft mit ihrer Flora und Fauna in bescheidener Art und Weise einzugreifen. Deswegen liegt die Punt Ruinaulta möglichst nah über der Wasseroberfläche, gleichzeitig aber über dem Höchststand des Flusses, der wohl gemerkt einen halben Meter über den RhB-Geleisen liegt! Zudem, so ist Bieler überzeugt, sind bescheidene Eingriffe nachhaltiger. Nun gilt es nicht nur, den Wanderern den Naturraum Ruinaulta näherzubringen, sondern der Weg lässt gezielt gewisse Orte aus und «umwandert» sie. Damit unterstützen geführte Wege Schutzzonen, die für Tiere oder Pflanzen ausgeschieden wurden.

Aussichtsplattform Zault mit Ausblick in die Rheinschlucht.

Wahrnehmungsproblem
Wenn Ingenieur Bieler von der Ruinaulta erzählt, strahlt er. Ja, auch Werke des Tiefbaus prägen die Umwelt, werden als schön oder eben weniger schön wahrgenommen. Doch sei die Zeit, die man in Fragen der Gestaltung investiere, schlecht bezahlte Ingenieur-Arbeit. Wenn immer möglich, nimmt sich Bieler die Freiheit für derlei Projekte. Vor Jahren hatte er bereits einmal einen Fussgängersteg als Teilstück eines Wanderwegs realisiert, den Fussgängersteg Rapperswil-Hurden. Damals arbeitete er zusammen mit dem Architekten Reto Zindel. Als der 2006/07 durch den SIA mit einer «Umsicht»-Auszeichnung prämierte Steg in einem Film porträtiert wurde, blieb der Ingenieur unerwähnt – nur der Architekt wurde als Urheber genannt. Der darauf angesprochene SIA, noch heute explizit der Verein für Schweizer Ingenieure und Architekten, entschuldigte sich nicht – bis heute.

Hängebrücke vom Bonaduzer Ufer aus gesehen.

Nachwuchsproblem
Womit wir wieder beim Problem der Wahrnehmung des Ingenieurs in der Gesellschaft wären. Bieler meint, dass diese mangelnde Anerkennung sich ihrerseits rückwirkend in einem anderen Problem niederschlage, nämlich dem fehlenden Nachwuchs. Schon seit Jahren hört und liest man, dass Ingenieure fehlten – und das Problem sich weiter verschärfe –, auch Frauen sollen das Studium ergreifen, auch Ingenieurinnen werden beworben (vgl. «gelesen» 43/11). Arbeitsmöglichkeiten sind zuhauf vorhanden, die Bezahlung ist gut. Nichtsdestotrotz, der Beruf des Ingenieurs gilt nicht als attraktiv. Vielleicht liegt es de facto neben der Wahrnehmung auch an der Ausbildung, die den Spielraum des Ingenieurberufs einengt und Werte wie Kreativität und Offenheit hintan stellt. Doch ist das Ingenieurwesen nicht allein eine technische Disziplin, sondern auch eine kulturelle – wobei es diese wahrzunehmen, zu pflegen und zu fördern gilt.

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fotografie roman weyeneth gmbh

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