Über Zeit und Veränderung

Theresa Mörtl
29. augustus 2024
Die Parkanlage zwischen Plessur und Rosenhügel wurde von Lieni Wegelin gestaltet. (Foto: Ladina Bischof)

Es ist ein Ort für alle und alles: Zwischen Plessur und Rosenhügel schafft der Park am Lindenquai in Chur einen öffentlichen Freiraum. Seiner Nutzung sind keine Grenzen gesetzt. Vor genau 20 Jahren hat der Malanser Landschaftsarchitekt Lieni Wegelin die kleine Fläche wiederbelebt, den Fokus auf das Element Wasser gelegt und zugleich den Faktor Zeit als Gestaltungselement genutzt. Sie hinterlässt sowohl in der Entwicklung der Flora als auch im Material sowie auf politischer Ebene und in der Nutzung des Parks wesentliche – meist willkürliche – Abdrücke. 

Der Park wurde anstelle eines Parkplatzes angelegt, um den Menschen einen neuen Treffpunkt mit hoher Aufenthaltsqualität zu verschaffen. (Foto: Ladina Bischof)

Herr Wegelin, Herr Jost, wie kam das Projekt zustande?

Lieni Wegelin: Fast zeitgleich war ich bauleitend mit der Neugestaltung des Churer Fontanaparks befasst, der mir im Direktauftrag ebenso die Verantwortung für die Freifläche am Lindenquai bescherte. Dort, wo sich für lange Zeit ein Parkplatz befunden hatte, sollte nach dem Bau des angrenzenden Parkhauses ein neuer öffentlicher Ort entstehen: ein lebendiger Treffpunkt, ein Ort des Verweilens und ein urbaner Grünraum für die Öffentlichkeit, der nicht zuletzt die versiegelten Flächen ersetzt. 

Umnutzung und Transformation sind zentrale Themen der Stadtentwicklung. Gilt das auch für die Grünanlagen beziehungsweise die Gestaltung der Frei- und Aussenräume?

Alex Jost: Das Umdenken hinsichtlich der Grünflächen und deren Notwendigkeit im urbanen Raum begann schon zu Anfang meiner Tätigkeit beim Gartenbauamt. Wie bei so vielen (städte)baulichen Massnahmen muss man politische, rechtliche und soziale Hürden Schritt für Schritt meistern, sodass keine Veränderung von heute auf morgen möglich ist. Wir planten darum langfristig. Beim Lindenquai begannen die Überlegungen zur Umzonung bereits 1980, als der Churer Nutzungsplan neue Grünzonen festlegte. Eine paradoxe Tatsache stellte zu Beginn das geringe Interesse oder vielleicht die Gleichgültigkeit der Bevölkerung gegenüber städtischen Freiräumen dar: Denn trotz der Naturverbundenheit der Einwohner waren mehr Grünflächen in der Stadt bis anhin politisch eher wenig gewünscht, da sich in Stadtnähe zu Genüge Erholungsgebiete befinden.

Die Idee zum Park reifte seit 1980, als der Churer Nutzungsplan neue Grünzonen in der Stadt auswies. Zunächst stiess das Projekt bei den Menschen auf wenig Interesse. (Foto: Ladina Bischof)

Spiegeln sich diese Transformationsprozesse auch in der Gestaltung des Lindenparks?

Lieni Wegelin: Abgesehen von der neuen Nutzung ist der Transformationsaspekt auch in der Gestaltung zu finden: Das Farbspektrum reicht vom leuchtenden Orange der Felsenbirnen im Herbst bis hin zum zarten Blauton der robusten, wuchsstarken Glyzinien im Frühjahr, die im restlichen Jahr mit ihrem satten Grün dem Park ein mediterranes Flair verleihen. 

Darüber hinaus zeichnen sich die Jahres- und Tageszeiten im Wasser ab: Während der warmen Monate sorgt es für Erfrischung und schafft mit seinem dezenten Plätschern ein besinnliches Ambiente. In den Wintermonaten wird die hangseitige Wasserwand hingegen zum eisigen Vorhang, der mit besonderen Reflexionen verzaubert. Zugleich hinterlässt die Zeit ihre Spuren, die zwar feinfühlig, aber dennoch kontinuierlich die Oberflächen prägen. Doch nicht nur die Vegetation ändert sich im Laufe des Jahres und wirkt sich auf die Erscheinung aus, zugleich wandelt sich der Charakter der Anlage durch die jeweilige Nutzung.

Der Park verändert sich im Laufe des Jahres wesentlich: Die Pflanzen sorgen für verschiedene Farbwelten und die Menschen nutzen die Anlage je nach Witterung unterschiedlich. (Foto: Ladina Bischof)
Wasser prägt den Grünraum: Im Sommer erfrischt es, im Herbst spiegelt es das leuchtende Orange der Felsenbirnen und im Winter wird es zu glitzerndem Eis. (Foto: Ladina Bischof)

Neben dem Element Wasser wird die Linde beziehungsweise das Lindenblatt zum Charakteristikum.

Lieni Wegelin: Dieses Symbol ist auf die Lage am Lindenquai zurückzuführen, der gemeinsam mit der Arosabahn die Plessur einspannt. Obwohl es entgegen allen Erwartungen keine Linden gibt, steht dennoch das Lindenblatt wortwörtlich im Zentrum. Ausformuliert als einteilige Skulptur wurde es zum Brunnen: Das Einzelobjekt in Form eines Lindenblattes samt Blattadern entstand in Zusammenarbeit mit einem örtlichen Unternehmen aus Kunststein. Der Brunnen wird mit Frischwasser vom oberhalb liegenden städtischen Brunnen gespeist und ist ein Spielobjekt in vielerlei Hinsicht. Hier werden nicht nur Trinkflaschen, sondern auch Wasserpistolen gefüllt, im Sommer nutzen ihn die Kleinsten zum Baden, und der Wasserspiegel der Wasserwand garantiert ganzjährig ein Spiel mit Reflexionen.

In Ihrem Entwurf liegt die Besonderheit also stets im kleinen Detail?

Lieni Wegelin: Weniger ist oft mehr. Beim Lindenquai ging es mir darum, mit kleinen Eingriffen möglichst effektiv das Wesentliche in den Vordergrund zu rücken: Eine simple Materialwahl, wenige Interventionen und eine einfache Bepflanzung sollten sowohl eine breite Nutzungsvielfalt erlauben als auch die Unterhaltsarbeiten geringhalten. Eine sanfte Terrassierung sowie eine ergänzende Mauer lösen das leichte Gefälle der Fläche auf und schaffen eine Dreiteilung der Anlage. Felsenbirnen rhythmisieren die gekiesten Abschnitte, die sehr beliebt bei Boule-Spielern sind. Weitere Grünkörper strukturieren den strassenseitigen Zugang, seitlich arrangierte Tische laden zum Verweilen ein, und die hangseitige, rohbelassene Wasserkaskade bildet den räumlichen Abschluss.

Gerade im Sommer ist der Kunststeinbrunnen in Form eines Lindenblattes ein zentraler Ort im Park. (Foto: Ladina Bischof)

Hat der Park auch eine städtebauliche Bedeutung für Chur?

Alex Jost: Als vermeintlicher Lückenfüller mit nennenswerten Aufenthaltsqualitäten spielt er zugleich in der Erschliessung als auch als öffentliche Fusswegverbindung eine Rolle ein. Durch die Lage zwischen Altstadt und Rosenhügel dient er als Bindeglied, erschliesst zugleich die angrenzenden Wohnsiedlungen und begrüsst die ankommenden Tagesgäste am Lindenquai. Ökologisch betrachtet schafft der neue Brunnen auch einen besseren Wasserzyklus, da das Fliesswasser nicht wie zuvor in den Kanal geleitet wird, sondern nun in die Plessur zurückfliesst.

Städtebaulich gesehen ist der Park auch eine wichtige Passage für Fussgänger. (Foto: Ladina Bischof)

Nun feiert der Park sein 20-Jahre-Jubiläum. Wie nehmen Sie ihn im Wandel der Zeit wahr?

Lieni Wegelin: Etwas zwiegespalten. – Einerseits ist es zauberhaft zu sehen, wie das Wasser eine Patina auf den Oberflächen hinterlässt und wie vielseitig die Leute den Platz nutzen. Insbesondere im Winter komme ich gerne dorthin, um mich von der Magie der Eiswand verzaubern zu lassen. Andererseits finde ich es schade, wie selbstverständlich mit dem Park umgegangen wird und wie er in der Folge zu wenig Aufmerksamkeit im Unterhalt erhält. Denn während mittlerweile der Wunsch nach grünen Oasen in der Bevölkerung steigt, sinkt zugleich die Wertschätzung für diese Gemeinschaftsflächen; es wird weniger behutsam mit ihnen umgegangen.

Das Wasser hat inzwischen eine Patina auf den Oberflächen im Park hinterlassen – das ist ganz in Lieni Wegelins Sinne. (Foto: Ladina Bischof)

«Gutes Bauen Ostschweiz» möchte die Diskussion um Baukultur anregen. Die Artikelserie behandelt übergreifende Themen aus den Bereichen Raumplanung, Städtebau, Architektur und Landschaftsarchitektur. Sie wurde lanciert und wird betreut durch das Architektur Forum Ostschweiz (AFO). Das AFO versteht alle Formen angewandter Gestaltung unserer Umwelt als wichtige Bestandteile unserer Kultur und möchte diese in einer breiten Öffentlichkeit zur Sprache bringen. 

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