Architektur baut den Blick

Elias Baumgarten
28. november 2024
Foto: Elias Baumgarten

Grandiose Ausblicke bietet die Schweiz zuhauf – auf majestätische Alpengipfel, glitzernde Seen und mittelalterliche Städtchen, aber auch auf Gleisfelder und Agglomerationsgebiete. Wer sie geniessen will, muss die Wanderschuhe schnüren, Kirchtürme und Festungsmauern erklimmen oder wagemutig konstruierte Brücken überqueren. Die schönsten Aussichtspunkte des Landes zeigt der Schweizer Heimatschutz in seinem neuesten Buch. Darunter sind auch sehr bekannte Orte wie die sagenumwobene Teufelsbrücke in der Schöllenenschlucht oder die Bergstation der Säntisseilbahn, die meisten der 50 Aussichtspunkte aber dürften kaum in einem gewöhnlichen Reiseführer zu finden sein. Besondere Freude bereiten werden sie Architektinnen und Architekten, handelt es sich doch um herausragende Bauwerke aus verschiedenen Epochen vom Mittelalter bis zur Jetztzeit. Und für manche ist vielleicht sogar die eine oder andere Neuentdeckung dabei.

Foto: Elias Baumgarten
Foto: Elias Baumgarten

Haben Sie zum Beispiel schon vom obersten Stockwerk des 60 Meter hohen Tour Espacité auf die rechtwinkligen Strassenzüge von La Chaux-de-Fonds geblickt? Der Mitte der 1990er-Jahre fertiggestellte zylindrische Büroturm bietet einen 360-Grad-Rundumblick auf die am Reissbrett geplante Stadtanlage, die seit 2009 zum Welterbe der UNESCO gehört. Oder haben Sie bereits die runde Aussichtsplattform auf dem Wasserturm erklommen, den Cyrill J. Burger 1973 in Allschwil baute? Von oben kann man über Basel hinweg bis zum Schwarzwald sehen. Und nicht nur der Thermalquellen wegen lohnt ein Ausflug nach Bad Zurzach: Vom einstigen Restaurant-Turm des Thermalhotels sieht man auf die mittelalterliche Altstadt, den Rhein und sogar bis zum Feldberg. Derzeit hat die Stiftung Gesundheitsförderung Bad Zurzach in dem 1960er-Jahre-Bau ihre Büros eingerichtet, nachdem dessen Abriss verhindert werden konnte.

Natürlich war es nicht möglich, jeden schönen Aussichtspunkt der Schweiz aufzunehmen – etwas unterrepräsentiert ist aber doch die Alpensüdseite. Gerade die Schönheit des Kantons Tessin mit seinem bäuerlich geprägten baukulturellen Erbe, seinen stolzen Burgen und den ikonischen Bauwerken der Tendenza, aber auch seiner herrlichen Landschaft aus Seen und engen Gebirgstälern kommt zu kurz. Auch hätte die Auswahl hier spezieller sein können als Cardada und Brè – wie es für die Deutsch- und Westschweiz so wunderbar gelungen ist.

Foto: Elias Baumgarten
Foto: Elias Baumgarten

«Die schönsten Aussichten» ist kaum grösser als ein Smartphone und lässt sich so auf jede Erkundungstour mitnehmen. Jeder Aussichtspunkt nimmt in dem liebevoll gestalteten Buch eine Doppelseite ein und wird mit zwei Bildern präsentiert – eines zeigt gross den Ausblick, ein kleineres das Bauwerk, das ihn eröffnet. Dazu geben Icons Auskunft über Öffnungszeiten und Eintrittspreise, während kurze Erklärungstexte auf Deutsch und Französisch die wichtigsten Fakten liefern. Die Beiträge sind von Jenny Keller wunderbar geschrieben – manchmal mit einer erfrischenden Prise Humor, etwa wenn man erfährt, wie leicht beim Spiel auf dem Tennisplatz Mürren der Ball im Lauterbrunnental landet.

Der Schweizer Heimatschutz möchte mit dem Buch nicht Touristenströme vergrössern und die Aufmerksamkeit auf ohnehin überrannte Orte lenken, sondern für baukulturelle Qualität und die Schönheit der Schweizer Kulturlandschaft sensibilisieren. Denn nur wer deren Wert kennt, wird sich auch für ihren Erhalt einsetzen. Das ist hervorragend gelungen: «Die schönsten Aussichten» macht Lust, sogleich zu einer Entdeckungsreise durch die Heimat aufzubrechen.

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