Das Schimmern des Ortes
Thomas Geuder
6. 5月 2014
Nähert man sich dem Würth Haus vom Bahnhof her, betont ein weites Vordach den Haupteingang für Mitarbeiter wie Besucher. (Foto: Ammann Siebrecht Fotografie / Aepli Metallbau AG)
In Rorschach am südlichen Bodensee haben die Architekten Gigon/Guyer das Würth Haus errichtet, das zwischen Land und Wasser architektonisch vermittelt. Möglich wird dies durch eine raffinierte, mehrschichtige Glasfassade, die wir uns einmal näher anschauen wollen.
Jedes Baugrundstück fordert den Architekten quasi heraus, auf den Ort zu reagieren. Gibt es in der Umgebung Anhaltspunkte, Traufkanten etwa oder topographische Besonderheiten, kann sich der Architekt daran leicht orientieren. Andere Orte wiederum bieten viel Platz aussen herum und somit wenig, nach dem der Entwerfer sich richten könnte. Bekannteste Beispiele dafür sind etwa die Villa Savoye in Poissy von Le Corbusier (1928-31) oder das Farnsworth House in Planovon Ludwig Mies van der Rohe (1950/51), die beide auf «grüner Wiese» geplant sind – und doch sehr verschieden mit dieser nicht ganz einfachen Vorgabe umgehen.
Das Baugrundstück, das die Architekten Annette Gigon und Mike Guyer im Schweizerischen Rorschach vor sich hatten, als sie sich im Jahr 2009 per prominent besetztem Architekturwettbewerb um die Ausführung des Würth Hauses bewarben, war nicht minder speziell: gelegen im schmalen und langen Ufer mit Park und eingezwängt zwischen Bodensee und Bahnhof mit dazugehörigem Gleiskörper. Für die Architekten bedeutete das auch hier: viel freie Fläche. Prägend für den Ort allerdings war und ist der Bodensee, dessen weite, im Sonnenschein schimmernde Wasseroberfläche immer präsent ist. So entwickelten sie ein Gebäude, das zwar geometrisch streng daher kommt, aber dennoch mit einzelnen Volumina spielt, wodurch seine Grösse (immerhin eine Geschossfläche von 32.200 m²) geschickt kaschiert wird. Die eigentliche Reaktion auf den Ort findet aber in der Fassade statt: Sie besteht überwiegend aus Glas in zwei Ebenen hintereinander, wodurch das Gebäude ständig zwischen Transparenz und Reflexion changiert. Gigon/Guyer haben das gesamte Gebäude mit einer Hülle verkleidet, die als feingliedrig rhythmisierter, gläserner «Vorhang» konzipiert ist. Diese äussere Glasfassade wird aus einzelnen, leicht zueinander versetzten, unterschiedlich breiten und grünlich schimmernden Glasscheiben gebildet, in die ein einseitig alubedampftes Kohlefasergewebe einlaminiert ist. In ihnen spiegelt sich der umgebende Ort, aber nicht als blosses Spiegelbild, sondern als indifferentes, bewegtes und abstraktes Muster, das vor allem die Stimmung weitergibt.
Der eigentlichen Fassade ist eine Hülle aus geschosshohen VSG-Scheiben «vorgehängt», in die ein alubedampftes Kohlefasergewebe einlaminiert ist. (Foto: Ammann Siebrecht Fotografie / Aepli Metallbau AG)
Die vorgehängte Glasfassade ist nicht geschlossen ausgeführt, und doch schützt sie das Gebäude vor Seewind und Strassenlärm. Im Prinzip wirkt sie ähnlich der äusseren Scheibe eines Kastenfensters, das den Wärmeeintrag und die Auskühlung reguliert. Die eigentliche, raumabschliessende Gebäudehülle bildet eine objektspezifische Structural-Glazing-Fassade aus einer Aluprofil-Konstruktion und Dreifachisolierglas, die in einem integralen Planungsprozess zwischen den Architekten, dem ausführenden Metallbauer und der Jansen AG realisiert wurde. Das Besondere daran: Ausgehend von einem Profilsystem für die Konstruktion von Elementfassaden entstand eine Pfosten-Riegel-Konstruktion – aufgebaut aus einem Rechteck-Stahlprofil mit einem Aufsatzprofil aus Aluminium – mit einem aussen nahezu bündig aufgebrachten Dreifach-Stufenisolierglas. Lediglich eine Schattenfuge von 10 mm in der Ansicht von aussen bleibt übrig, bei einer Ansichtsbreite der Pfosten-Profile im Innenraum von 50 mm und einer Tiefe von 190 mm. Durchbrochen wird die entstandene, durchlaufende Glasfläche nur von den Rahmen schmaler Öffnungsflügel.
Die vorgesetzten Fassadengläser mit ihrem Kohlefasergewebe verringern den Vogelschlag, weil sie weniger spiegeln, als klare Scheiben. (Foto: Thies Wachter)
Das architektonische Moment dieser Konstruktion indessen liegt auf der Hand: Die Architekten schaffen so auch in zweiter Ebene eine maximale Spiegelfläche, wodurch im Zusammenspiel mit den äusseren Gläsern multiple Spiegelungen entstehen, die die Wirkung der Fassade noch spannender und vielfältiger machen. Im Innenraum befinden sich übrigens neben den Büros auf vier Geschossen auch öffentliche Nutzungen in Form von Kongress-, Konferenz- und Schulungsräumen, dem Kunstforum, Museumsshop, Cafeteria mit Restaurant und einem Handwerkershop. Das im Frühjahr 2013 eröffnete Forum setzt als 15. museale Spielstätte der Sammlung Würth das Konzept der Integration von (öffentlich zugänglicher) Kunst und Kultur in die Verwaltungsgebäude der Würth-Gruppe fort. Quelle dieser Aktivitäten ist die mittlerweile rund 16.000 Werke umfassende, international ausgerichtete Sammlung des Unternehmers und Kunstförderers Reinhold Würth.
Das zwischen See und Hauptbahnhof gelegene, überwiegend verglaste Bauwerk, changiert zwischen Transparenz und Reflexion und gibt so die Besonderheiten des Ortes auf vielfache Weise wieder. (Foto: Ammann Siebrecht Fotografie / Aepli Metallbau AG)
Projekt «Lichtspiel», so nannten die Architekten Gigon/Guyer ihren Entwurf, mit dem sie 2009 den Architekturwettbewerb gewannen. (Foto: Thies Wachter)
Situation bis 2010 und ab 2013 (Quelle: Gigon/Guyer)
Fassadendetail und -aufbau (Quelle: Gigon/Guyer)
Grundriss 5. Obergeschoss (Quelle: Gigon/Guyer)
Grundriss 1. Obergeschoss (Quelle: Gigon/Guyer)
Grundriss Erdgeschoss (Quelle: Gigon/Guyer)
Auch die Gliederung der inneren Pfosten-Riegel-Fassade nimmt das Thema der unterschiedlich breiten Glasgrössen auf. Im Bild: die Eingangshalle. (Foto: Ammann Siebrecht Fotografie / Aepli Metallbau AG)
Die Materialermittlung der Fassade erfolgte mit «SchüCal», einer systemspezifischen Kalkulationssoftware, per dazugehörenden CAD-CAM-Modulen konnten die Maschinen vom CAD-Arbeitsplatz aus angesteuert werden. (Foto: Ammann Siebrecht Fotografie / Aepli Metallbau AG)
Etliche der in allen Etagen ausgeführten Lüftungsflügel sind mit einem verdeckt liegend eingebauten Schüco-Tiptronic-RWA-Beschlag versehen, wodurch das Nachströmen von Frischluft vollautomatisch gewährleistet wird. (Foto: Ammann Siebrecht Fotografie / Aepli Metallbau AG)
Ehemals befanden sich auf dem Grundstück Lagerhallen, jetzt wurde der Uferpark bis zum benachbarten Freibad verlängert. (Foto: Thies Wachter)
Je nach Lichteinfall spiegelt das einlaminierte, alubedampfte Kohlefasergewebe das Licht, wodurch das Gebäude immer seine Erscheinung etwas ändert. (Foto: Thies Wachter)
Würth Haus
Rorschach, CH
Hersteller Fassadenlösung
Jansen AG
Oberriet, CH
Systemgeber
Schüco International KG
Bielefeld, D
Kompetenz
Sonderanfertigung Schüco Structural-Glazing-Fassade
Architekt
Annette Gigon / Mike Guyer Architekten
Zürich, CH
Mitarbeit
Wettbewerb: Luisa Wittgen, Nicolai Rünzi, Bettina Gerhold, Thomas Möckel, Matthias Clivio
Planung/Ausführung: Christian Maggioni (Teamleitung), Matthias Clivio (Projektleitung), Nicolai Rünzi, Christoph Lay, Katja Fröhlich, Rus Carnicero, Yvonne Grunwald, Martin Schneider, Michael Kloiber, Brigitte Rüdel, Franziska Bächer
Bauherr
Würth International AG
Chur, CH
Bauleitung
Walter Dietsche Baumanagement AG
Chur, CH
Metallbau raumabschliessende und vorgehängte Fassade
Aepli Metallbau, CH
Landschaftsarchitekt
Atelier Girot
Gockhausen, CH
Tragwerksplanung
Dr. Lüchinger Meyer Bauingenieure AG
Zürich, CH
Bauphysik
Kopitsis Bauphysik AG
Wohlen, CH
Haustechnik/Lüftung
Waldhauser + Hermann AG
Münchenstein, CH
Brandschutz
Makiol + Wiederkehr
Beinwil am See, CH
Tageslichttechnik
Institut für Tageslichttechnik
Stuttgart, D
Kunstlichttechnik
Licht Zentrale
Nürnberg, D
Fassadentechnik
Reba Fassadentechnik AG
Chur, CH
Elektrotechnik
Bühler + Scherler AG
St. Gallen, CH
Wettbewerb
2009, 1. Preis
Fertigstellung
2013
Fotografie
Thies Wachter
Ammann Siebrecht Fotografie / Aepli Metallbau AG
Das Würth Haus Rorschach ist der «Bau des Jahres 2013» bei Swiss-Architects.com. Inge Beckel, Jenny Keller und Juho Nyberg haben dazu den Beitrag «Bau des Jahres 2013 im Kontext» verfasst.
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