Beton belebt

Susanna Koeberle
1. 12月 2017
Balfron Tower, Brownfield Estate, London, 1965-1967, Architekt: Ernő Goldfinger © Simon Phipps, Courtesy Museum im Bellpark

In der Architektur ist es wie in der Mode. So wie Schulterpolster einst aus dem Fashionvokabular verbannt wurden, erging es brutalistischen Bauten. Sie galten als Inbegriff der Hässlichkeit. Das sieht man heute wieder anders. Denn seit einigen Jahren erlebt dieser verteufelte Baustil (wie die Schulterpolster auch) ein Revival. Brutalismus gilt landaus landein wieder als salonfähig, als hip sogar, davon zeugen zig Ausstellungen und Bildbände. Womit dies zusammenhängen könnte, darüber lässt sich nur spekulieren. Hängt dies mit einer neu erwachten Faszination für Materialien zusammen? Für die Haptik des rohen Betons als Antithese zum aalglatten Glas? Ist es das Interesse für die Themen Gemeinwesen und öffentlicher Raum, die nach Jahren der Kultivierung der beelendenden Einfamilienhüslimisere, wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken? Auch die Überwindung der Trennung einzelner Disziplinen und das verstärkte Interesse für transdisziplinäre Herangehensweisen könnte ein Grund sein für diesen Trend. Denn Brutalismus kann auch als Versuch gelesen werden, Kunst, Architektur und Leben miteinander zu verschränken. Diese Schnittstelle scheint es auf jeden Fall zu sein, die der Londoner Fotograf Simon Phipps in seiner dokumentarischen Annäherung an den Brutalismus in seinem Heimatland England sucht und findet. Wer die Ausstellung im Museum im Bellpark verpasst hat, kann sich Phipps’ eindrückliche Bilder auch in einer Publikation von Park Books zu Gemüte führen (oder bis 2. April 2018 die Ausstellung «SOS Brutalismus – Rettet die Betonmonster!» im Architekturmuseum in Frankfurt besuchen).

Phipps’ Fotografien erscheinen einerseits düster und deprimierend, leben aber zugleich von einer schonungslosen Ehrlichkeit und Sachlichkeit, die wiederum wohltuend ist - und auch den Blick für die eigene gebaute Umgebung zu schärfen vermögen. Wer selbst mal mit offenen Augen durch London ging, wird einige ikonische Bauten wiedererkennen wie etwa das National Theatre von Denys Ladsun. Das Zusammenspiel von Form, Material und Oberfläche jenseits von jeder Gefälligkeit ist ein Musterbeispiel eines öffentlichen Baus, der zwar eine kraftstrotzende Signalwirkung hat, aber im selben Zuge selbstverständlich und einfach lesbar daherkommt. Das Monumentale ist dabei weniger eine selbstreferentielle Überhöhung, sondern auch als eine Hommage an den Verbraucher zu verstehen. Die quasi hypnotische Wirkung (wie dies auch der Aufsatz von Catherine Ince im Buch schön beschreibt) der brutalistischen Bauten zog den britischen Fotografen schon früh in seinen Bann. Man spürt in seinen Bildern die sensible Annäherung an diese skulpturalen Monster. Keine Kälte weht den Betrachtern aus diesen Fotografien entgegen, sondern eine intensive, künstlerische Auseinandersetzung mit dem fotografierten Sujet.
 

Eros House, Catford, London, 1960-1963, Architekt: Rodney Gordon for the Owen Luder Partnership © Simon Phipps, Courtesy Museum im Bellpark

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