Experiment in Zürich Leutschenbach

Jenny Keller
12. 11月 2014
Das Haus am Hunzikerplatz von pool Architekten ist aus Dämmbeton und hat eine Sauna auf dem Dach. Visualisierung: Karin Gauch und Fabien Schwartz

Noch heisst die Bushaltestelle, die das neue Wohn- und Gewerbegebiet Hunziker-Areal in Zürich-Nord bedienen wird, wenig schmeichelnd «Kehrichtverbrennung». Die neuen Nachbarn der Kehrichtverbrennung Hagenholz, die Genossenschaft Mehr als Wohnen, haben aber erwirkt, dass die Haltestelle in «Genossenschaftsstrasse» umbenannt wird. Wer sich fragt, wer denn neben einer Kehrichtsverbrennungsanlage wohnen will: Der Wohnungsmarkt im mittleren und tiefen Segment ist in Zürich derart überhitzt, dass neben den althergebrachten Quartieren neue Gebiete erschlossen werden (müssen). Eines davon ist das Hunziker-Areal, ein ehemaliges Industrieareal südlich der Fernsehstudios von SRF und in direkter Nachbarschaft zum einstigen Landmark und Solitär, dem Schulhaus Leutschenbach von Christian Kerez.

Die ersten Wohnungen der 13 neuen Gebäude auf dem Areal wurden am 3. November den ersten Mieterinnen und Mieter übergeben. Zwanzig Parteien haben die Schlüssel für ihre Wohnungen an der Genossenschaftsstrasse 11 erhalten. Der Bezug der einzelnen Gebäude erfolgt nun gestaffelt bis im Mai 2015.  Mit 1'300 neuen Bewohnerinnen und Bewohnern, darunter 200 Kinder, wird die neue Bushaltestelle rege benutzt werden. Und: Wer im Hunziker-Areal wohnt, verzichtet grundsätzlich auf ein Auto, das wird im Mietvertrag unterschrieben. Siedlungen mit Innovativen Mobilitätskonzepten kennt man bereits, seit Mobility und Sharing-Economy ist das auch nicht mehr so speziell, dazu kommt, dass ein Auto in Zürich die Moblität eher behindert als fördert. Experimentiert wurde hingegen bei der Bauweise und den Wohnungstypologien.

Treppenhaus der Siedlung an der Genossenschaftsstrasse 16 (Duplex Architekten). Visualisierung: Karin Gauch und Fabien Schwartz

Novecento neben Landistil
Die Genossenschaft «Mehr als Wohnen», die 2007 durch 30 Wohnbaugenossenschaften gegründet worden ist, um als Innovationsplattform ein in vielerlei Aspekten neues Wohnprojekt zu realisieren, hat das rund 40'000 m2 grosse Gebiet von der Stadt im Baurecht erhalten. 2008 wurde ein internationaler Architekturwettbewerb ausgeschrieben, den fünf Architekturbüros aus Zürich für sich entscheiden konnten. Angesichts der Dimensionen des Projekts wurden im Mai 2009 vier Gewinner erkoren: Arge Futurafrosch/Duplex Architekten (Masterplan des Areals und Einzelgebäude) sowie Müller Sigrist Architekten, Architekturbüro Miroslav Šik und pool Architekten, die je Einzelgebäude erstellen: zwei sich benachbarte Gebäude und ein drittes auf dem Areal. Die Umgebungsgestaltung stammt vom Büro Müller Illien Landschaftsarchitekten. Mit mehreren Büros und der Verteilung der Bauten wurde eine erste Prämisse für die (architektonische) Durchmischung festgesetzt. Der Mix sieht man den Häusern und dem Gebiet nun tatsächlich an, da steht Mailands Novecento neben Vierzigerjahre-Landistil neben 2014 Sichtbeton neben einer an die 1980er-Jahre erinnernde Familiensiedlung.

Die Genossenschaft hat auf dem Hunziker-Areal die Gewinnerbüros in einer so genannten Dialogphase zusammensitzen lassen, statt sie in ihren Kammern am eigenen Entwurf feilen zu lassen. Die Projekte wurden kooperativ weiterentwickelt, und Andreas Hofer, Mitglied der Geschäftsleitung von «Mehr als Wohnen» hält fest, dass es in der Dialogphase nicht darum ging, über die Farbe der Badezimmerplättli zu diskutieren, sondern über neue Wohnformen.

Auf dem Hunziker-Areal soll der Wandel, den die Bevölkerung momentan durchmacht, auch baulich abgebildet werden. Man will nicht den Fehler machen, sagt Andreas Hofer, dass nur grosse Familienwohnungen gebaut werden, die in zwanzig Jahren, wenn die Kinder wieder ausgezogen sind, halb leer stehen. Stattdessen setzt die Genossenschaft auch auf grosse Satellitenwohnungen, in denen eine Gross-WG leben kann, die sich Gemeinschaftsräume teilt, die einzelnen Personen aber genügend grosse Rückzugsorte haben. Brisanterweise sind die Hälfte dieser Satellitenwohnungen am Dialogweg 6 noch nicht vermietet. Das Gebäude von Duplex Architekten sieht von aussen nach Mailands Novecento aus, und die Wohnungen sind im Innern nicht recht proportioniert. Vielleicht liegt es an der grossen Grundfläche, vielleicht an der vergleichsweise neuen Typologie, mit der man in unbewohntem Zustand nicht ganz warm wird.

Treppenhalle an der Genossenschaftsstrasse 18 vom Büro Miroslav Šik. Visualisierung: Karin Gauch und Fabien Schwartz

Durchmischt
Durchmischt sind sowohl die architektonische Sprache und Qualität wie auch die Konstruktionsweisen der Häuser – und wie erwähnt ihre Wohnungstypologien. Das Haus mit den Satellitenwohnungen und ein Wohnhaus von Duplex Architekten mit konventionellen Familienwohnungen bestehen beide aus einem Einsteinmauerwerk, das dämmende Eigenschaften hat. Das Haus im Zentrum des Areals von pool Architekten ist aus Dämmbeton. Diese Konstruktionen verlangen eine kompakte Bauweise, also so wenig Aussenfläche wie möglich, deshalb sind die Veloräume im Dämmbetonhaus geschossweise angeordnet (und  nicht nur im EG oder im Keller zu finden). Im Einsteinmauerwerkhaus an der Genossenschaftssrasse 16 von Duplex wurde das Volumen mit Hobbyräumen gefüllt, die sich um den grossen Begegnungsraum,  die Treppenhalle, ansiedeln. Im Gegensatz zur Gross-WG bestechen die Wohnungen dieses Gebäudes bereits im Rohbau – kein Wunder sind sie bereits gänzlich vermietet.

Das Nachbarhaus an der Genossenschaftsstrasse 18 vom Büro Miroslav Šik hat ebenfalls Grundrisse, die überzeugen. Der Vertreter der analogen Architektur hat sich zu Recht an den tradierten Wohnformen der Bürgerwohnungen orientiert und sie gekonnt ins Jetzt übertragen  – nur die verputzte Aussenwärmedämmung entspricht nicht der Wertigkeit, die die Wohnungen im Grundriss vermitteln. Immerhin ist das Sockelgeschoss massiv.

Minergie allein reicht nicht
Die Genossenschaft hat eigentlich jetzt schon zu viele Familien mit kleinen Kindern auf dem Hunziker-Areal, das ergab eine Auswertung der Firma «Raumdaten». Diese hat ein Erstvermietungs- und Monitoringtool entwickelt, das im Internet ausgefüllte Wohnungsbewerbungen auswertet und die aktuelle Mieterzusammensetzung (Haushaltsform, Einkommen, Bildungsstand usw.) mit den durchschnittlichen Werten von Stadt und Kanton Zürich vergleicht. Mit diesem Tool soll die Durchmischung des neuen Quartiers erreicht werden.

Es ist das erklärte Ziel von «Mehr als Wohnen», dass nicht nur bauliche Massnahmen geschaffen werden, die als nachhaltig gelten. Die Siedlung ist im Minergie-P-Eco-Standard ausgeführt, doch Nachhaltigkeit muss ökonomisch, ökologisch und sozial sein, sagt Andreas Hofer, sonst habe man zu kurzfristig gedacht. Jede Bewohnerin, jeder Bewohner müsse den persönlichen Standard überdenken und sein Verhalten anpassen, deshalb wurden kleine technische Dinge wie Wasserhähnen, die weniger Wasser abgeben eingebaut, Solarzellen auf dem Dach installiert, und das Dachwasser wird gesammelt.

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