Erholung, politische Aktionen und Umweltoperationen
Inge Beckel
29. 6月 2011
Wipkingerpark an der Limmat in Zürich (Bild: ifla2011.com)
Freiräume als Schlüsselorte persönlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Handelns – Gedanken zum 48. IFLA-Weltkongress, von Inge Beckel.
Am letzten Sonntag wurde Eröffnung auf der Blatterwiese gefeiert, danach wurde es ernster: Vom Montag, 27. Juni 2011, bis gestern Mittwoch fand in Zürich der 48. Weltkongress der Landschaftsarchitektur statt, IFLA World Congress. Das übergeordnete Thema hiess «Scales of Nature. From Urban Landscapes to Alpine Gardens». Lag der Teilnehmerinnen- und Teilnehmerrekord bis anhin bei rund 650 Personen, fanden sich in Zürich über 1200 Interessierte aus rund 70 Ländern ein. Am Vormittag standen Keynote Lectures auf dem Programm, am Nachmittag gab es zahlreiche Sessions, Round Tables oder so genannte Technical Visits, Führungen zu beispielhaften, landschaftlich relevanten Orten: Ufern – etwa an die Zürcher Limmat, Plätzen, etwa nach Oerlikon, oder in Regionen wie die Tektonikarena Sardona. Angebote, die rege genutzt wurden, zeigte sich doch das Wetter von der schönen sowie heissen Seite.
Die Vorträge an den drei Vormittagen waren in die Tagesthemen Stadt oder urban, Stadtrand oder periurban und schliesslich Land oder rural gegliedert. Desiree Martínez aus Mexico, IFLA-Präsidentin, schwärmte vom durchgrünten Zürich (und fühlte sich offenbar an alte Studientage in der Stadt erinnert), während Ruth Genner, Vorsteherin des Tiefbau- und Entsorgungsdepartements der Stadt Zürich und damit Mit-Gastgeberin des Anlasses, die Wichtigkeit von Grünräumen unterstrich, vor allem in urbanen Gebieten. Gärten und Parkanlagen trügen wesentlich zur Identifikation der Einwohner und Einwohnerinnen mit ihrer Stadt bei, suchten doch besonders Menschen in dichteren und sozial nicht oder weniger priviliegierten Quartieren dort Abwechslung und Erholung im Alltag. Genner unterstrich gleichzeitig die Bedeutung von Grünräumen als «Übungsräume für Nachhaltigkeit». Schliesslich begrüsste die Anwesenden Pascal Gysin, Präsident des BSLA.
Den thematischen Einstieg machte Guido Hager, Landschaftsarchitekt aus Zürich. Er spannte einen weiten Bogen von historischen Gartenparadiesen, angefangen dem biblischen, bis zu heutigen. Er wies weiter darauf hin, dass offene Grünflächen in städtischen Räumen ökonomisch zunehmend unter Druck stehen – als Beispiel nannte er das Tempelhofer Feld, das Flugfeld des alten Berliner Flughafens Tempelhof – und entsprechend verteidigt werden müssen. Weitere Schweizer Vertreter waren nunmehr keine Landschaftsarchitekten mehr, sondern auf dem Feld des Stadtrandes oder der Agglomerationen die Stadtplaner Marcel Meili sowie Michael Koch und Maresa Schumacher und auf jenem des Landes Raimund Rodewald von der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz und Andreas Spiegel vom Rückversicherer Swiss Re. Themen waren mitunter die unterschiedlichen Qualitäten der Territorien des Schweizer Mittellandes und der Alpen sowie konkrete Beispiele von Planungen, während sich, bei aller Freude über den geplanten Atomausstieg, Rodewald dem Problem zunehmender Gefährdung sensibler Landschaften durch Industrieanlagen der Wind-, Wasser oder Solarenergie gegenübersieht.
Tahrir-Platz im Februar 2011 (Bild: Mohamed Elshahed)
Polit-AktivistEinen ganz anderen Aspekt eines urbanen Freiraums zeigte der Ägypter Mohamed Elshahed von der New York University in Kairo auf, nämlich jenen öffentlicher Plätze als politische Aktionsräume (mehr hier). Konkret erzählte er von der Rolle des Tahrir-Platzes in der Revolution des letzten Frühlings und unterschied dabei zwischen den Begriffen public spaceund public space. Denn während es in Kairo viele öffentliche Räume gebe und stets gegeben habe – ja, die Ägypter und auch Ägypterinnen würden einen grossen Teil ihres Alltags in den Gassen oder auf den Plätzen ihres Quartiers verbringen –, habe es während der letzten 20 Jahre bis vor rund sechs Monaten keine öffentlichen Sphären im Sinne von Diskurs- oder Aushandlungsräumen zwischen der Gesellschaft und den Autoritäten mehr gegeben. Dabei betonte er, dass die Ereignisse der vergangenen Monate ohne die Mittel der virtuellen Welt – SMS und Facebook – wohl nicht denkbar gewesen wären, gleichzeitig wäre Hosni Mubarak ohne den physischen Druck der Strasse – respektive des Tahrir-Platzes – als einem materiellen Ort nicht gestürzt worden. Und als das Volk nach dem Sturz des Potentaten den Platz schliesslich aus freiem Antrieb fegte und reinigte, da habe es diesen öffentlichen Raum wörtlich wieder in Besitz genommen, so Elshahed.
Red Ribbon, Tanghe River Park in der chinesischen Stadt Qinhuangdao, ein ehemals verseuchtes, heute gereinigtes und aufgewertetes Flussufer (Bild: Kongjian Yu, Cao Yang)
Umwelt-AktvistChina ist bekanntlich gross. Entsprechend gross sind die Probleme, wenn es um Umweltverschmutzungen geht. Kongjian Yu aus Peking plädierte für eine «Revolution der grossen Füsse», denn als Zeichen vermeintlicher Zivilisation wurden den Frauen gehobener Stände früher die Füsse gebunden, um sie nicht wachsen zu lassen, eine Art Politik der «little feet» betrieben. Yu sagte nun, alle müssten wieder fest auf ihren natürlichen Füssen stehen können, was heisst, die Natur so zu belassen, wie sie ist, und mit ihr arbeiten. Anders könnten die Umweltschäden nicht behoben werden. Konkret plädierte er beispielsweise dafür, Flussüberschwemmungen zyklenweise zuzulassen und damit das Umfeld der Flüsse zu bewässern, wodurch nicht nur der Boden fruchtbar gemacht, sondern auch das oft heisse Klima verbessert würde (mehr hier). Dies tangiere aber unser ästhetisches Empfinden, denn überschwemmte Gebiete gelten gemeinhin als unordentlich. Yu demgegenüber ist vielmehr der Ansicht, einzwängende Ordnung sei unnatürlich. Die Natur sei etwa eine Reinigungsmaschine, deren Potenzial es dann zu nutzen gelte, wenn verschmutztes Wasser über eine Terrassenlandschaft hinunter riesle und dabei gereinigt werde. – Übrigens vertrat Saskia Sassen, die letzte Woche im Rahmen einer frau+net-Veranstaltung in Zürich sprach (mehr hier), dieselbe Meinung, nämlich dass die Probleme von Stadt und Land nur im Einklang mit der Natur – und nicht im Widerstreit zu ihr gelöst werden könnten.