Aktienmühle
Jenny Keller
17. 11月 2016
Bild: © Stiftung Habitat
In der Aktienmühle im Klybeckquartier von Basel sind Handwerker eingezogen. Die Stiftung Habitat und Metron Architektur haben ein bemerkenswertes Haus in programmatischer, architektonischer, historischer und sozialer Hinsicht den Mietern übergeben.
Nach ihrem Umbau (Januar 2015 bis September 2016) wird in der Aktienmühle wieder produziert. Zwar kein Mehl, doch sind unter anderem eine Kaffeerösterei, eine Gin-Brennerei, ein Ofenbauer, ein Textilatelier, eine Kunstschmiede, ein Holzofen-Bäcker und eine Buchbinderei eingezogen. Das ehemalige Mühlengebäude im Basler Klybeckquartier wird neu als Werkstattgebäude für das Kleinhandwerk mit eigenem Restaurant im ehemaligen Turbinenhaus genutzt.
1899 ging die Aktienmühle (auf die Rechtsform war man damals stolz, deshalb der Name) als einer der ersten Industriebetriebe im Quartier in Betrieb und war eine der grössten Mühlen in der Schweiz mit bis zu 90 Tonnen Mehlproduktion pro Tag. Die ideale Lage zwischen Rheinkanal und Bahnlinie zahlte sich bis 2003 aus, doch dann war die Mühle durch den Preiszerfall auf dem Mehlmarkt und hohe anstehende Investitionskosten nicht mehr konkurrenzfähig und wurde stillgelegt. Teile der Maschinen konnten verkauft werden, und später wurde das Gebäude ins Inventar der Denkmalpflege aufgenommen.
Die Aktienmühle 1945. Bild: © Stiftung Habitat
Begegnungsort
2010 erwarb die Stiftung Habitat das stillgelegte Industriegebäude mit dem Ziel, auf dem Areal einen lebendigen Begegnungs-, Freizeit- und Arbeitsort für die Quartierbevölkerung zu schaffen. Die Aktienmühle selbst sollte zum Werkstatthaus mit günstigen Mieten für Kleinhandwerker und -handwerkerinnen werden. Für die Habitat stellte das Gebäude eine ideale Möglichkeit dar, im sich verändernden und lange vernachlässigten Klybeckquartier den Stiftungszweck umzusetzen. Dieser besteht darin, zu einer wohnlichen Stadt beizutragen, so Raphael Schicker, Projektleiter bei der Stiftung Habitat. Konkret heisse das, günstigen Wohnraum und ein lebenswertes Stadtumfeld zu schaffen, zu erhalten und bedürfnisgerecht zu nutzen. Gewisse Häuser haben programmatische Schwerpunkte, so zum Beispiel das Musikerwohnhaus von Buol & Zünd oder ein Haus für Familien mit drei und mehr Kindern, das derzeit in Planung ist.
Das Areal der Aktienmühle wurde nach der Stilllegung der Mühle zwischengenutzt und von der Bevölkerung aus dem Quartier, insbesondere von den Kindern, rege besucht. Diese Besucher sind auch nach der Eröffnung des Werkstatthauses willkommen, so wird der «Spielboden» im Pförtnerhaus weitergeführt, ergänzt durch ein weiteres Angebot für Kinder, und das Restaurant und Bar im ehemaligen Turbinenhaus steht allen offen. Im Sommer wird weiterhin am «Open Grill» gemeinschaftlich grilliert, und die Freiraumgestaltung von Bryum, Büro für urbane Interventionen und Landschaftsarchitektur, sieht einen Gewerbehof hinter dem Haus und einen öffentlich zugänglichen, begrünten Hof mit Sitzmöbeln vor, wo auch die Gastronomie im Sommer ihre Tische aufstellen wird.
Die Südfassade. Plan: Metron Architektur
Der Regelgrundriss. Plan: Metron Architektur
Gegensätze
Die Stiftung Habitat hat drei Architekturbüros zum Studienauftrag eingeladen; Metron Architektur mit Sitz in Brugg hat sich gegen Rüdisühli Ibach Architekten aus Basel und Capaul und Blumenthal Architekten aus Ilanz durchsetzen können. Gemäss Raphael Schicker, «weil sie das pragmatischste, flexibelste und schlauste Konzept vorgelegt haben, das zu unserem offenen Programm ‹produzierendes Gewerbe› mit dem Wunsch nach einer Umsetzung in Etappen und absichtlich unscharfem Raumprogramm am besten passte.» Die Konzeptidee fasst Marc Knellwolf, Projektleiter bei Metron, folgendermassen zusammen: «Wir wollten das historische Haus respektieren, es so wenig wie möglich verletzen, keine alten Spuren übertünchen und auch das Neue vom alten Bestand klar absetzen.»
Im ehemaligen Turbinenhaus, wo sich heute das Restaurant befindet, sieht man beispielsweise die Flicken, wo neue Fliesen (die man bei einem Hersteller in Berlin gefunden hat) die originalen von Villeroy und Boch, die nicht mehr hergestellt werden, ergänzen. Auch die Fassade wurde nur ausgebessert, aber bewusst nicht gestrichen; das Bewahren des Ursprünglichen und Sichtbarmachen der Änderungen ist zeitgemäss, diese dialektische Haltung entspricht durchaus dem aktuellen Umgang bei denkmalpflegerischen Aufgaben.
Auf dem Erschliessungssteg. Bild: Raphael Schicker
Sichtbarstes Zeichen dieses Konzepts sind die für die Aktienmühle heute identitätsstiftenden Erschliessungstreppen und Laubengänge vor der Fassade zum Hof. Die vorgelagerte Erschliessung resultiert aus der Überlegung, dass die Werkstätten, die Nord-Süd ausgerichtet sind, von beiden Seiten belichtet werden sollten und ein Korridor im Innern des Gebäudes deshalb keine Lösung darstellte. Als Ausnahme gilt das vierte Obergeschoss, das durch einen innenliegenden Korridor erschlossen wird, weil die äussere Erschliessungsebene sich sonst zu dominant vor den Bestand geschoben hätte. Als Inspiration dienten Feuertreppen oder organische Kletterpflanzen, die feuerverzinkten Treppen und Geländer dürfen sich gerne, so Marc Knellwolf, mit den Bewohnern verändern und das Haus in Beschlag nehmen.
Auch die Flexibilität als nachhaltige Entwurfsidee sei zentral gewesen für den Entscheid der vorgelagerten Erschliessung, so kann die heutige Nutzung in hundert Jahren an neue Bedürfnisse angepasst werden, erklärt Knellwolf. Eine weitere Absicht war es, dass sich die Mieter auf dem Steg treffen und der Begegnungsort Aktienmühle auch in der Vertikalen gelebt wird. Ein Fluchttreppenhaus im ehemaligen Silo und zwei Lifte in den Kopfbauten ermöglichen verschiedenste Wegführungen durch das Haus, den Transport von schweren Gütern und einen hindernisfreien Zugang.
Der oberste Steg. Bild: Raphael Schicker
Fassadendetails werden sichtbar. Bild: Raphael Schicker
Der Erschliessungssteg erlaubt aber auch einen Perspektivenwechsel, man sieht Details der Fassade, die man sonst nicht sähe. Im Innern nutzen die Werkstätten die Raumtiefe zwischen der Nord- und Südfassade ganz aus. Die historische Baustruktur mit Gussstützen, Stahlträgern und Holzbalkendecke bleibt weiterhin sichtbar, die Leitungen werden offen geführt, und die innere Raumaufteilung und die Grösse der Werkstätten ist variabel – je nach Mieter. Die Leichtbauwände können flexibel gesetzt und auch verschoben werden. Der vorhandene Innenausbau sieht einen Wasseranschluss vor, Boden, Wand und Decke haben einen Zementüberzug, der weitere Ausbau erfolgt mieterseitig.
Im Innern der Aktienmühle können die Werkstattgrössen variieren. Bild: jk
Bemerkenswert
Das Konzept sieht Einfachheit vor durch pragmatische Lösungen und Entwicklungen aus dem Bestand, doch bis zum gewünschten Ergebnis war es sehr aufwändig. Marc Knellwolf vergleicht es mit einem Balletttänzer: Was am Ende bei der Vorstellung auf der Bühne einfach und leicht aussieht, ist härteste Arbeit. «Es war ein ziemlicher Aufwand, das Gebäude energetisch auf den aktuellen Stand der Technik zu bringen», sagt er. Die Dämmung wollte man nicht an den zum Teil bis zu einem Meter dicken Bruchsteinwänden anbringen. Was ging, weil Dach, Keller und der Siloteil gedämmt, neue Fenster eingebaut wurden und die massiven Wände genug Wärme speichern können. Zur Erdbebensicherung wurde ein Überbeton auf der Holzbalkendecke angebracht und mit den Wänden verbunden. Die Stahlstützen im Innern der Ateliers wurden mit Beton ausgefüllt zur Erreichung des Brandschutzes. Kleine Löcher, die man nicht sieht, wenn man es nicht weiss, zeugen noch von dieser Massnahme. Der Umbau selbst war technisch sehr anspruchsvoll, den Innenraum erreichte man übers Dach, und teilweise waren spezielle Massnahmen wie ein ferngesteuerter Bagger für Abbrucharbeiten im Einsatz.
Das Einfüllloch für den Beton, mit dem die Stahlstützen brandsicherheitstechnisch aufgerüstet wurden. Bild: jk
Die Stiftung Habitat setze sich nicht nur für ihre Mieter ein, sondern auch für den architektonischen Bestand, sagt Knellwolf, «sie machen mehr als notwendig ist». Es sei eine aussergewöhnlich intensive Zusammenarbeit mit der Bauherrschaft gewesen mit einer projektbezogenen Auseinandersetzung bis ins Detail. Jeder Entscheid sei reflektiert worden. «Nach all den Neubauten, die ich bisher gemacht habe, war dieses iterative Arbeiten eine neue und gute Erfahrung.» Regionale Handwerker und eine lokale Bauleitung hätten ausserdem entscheidend zum Erfolg des Projekts beigetragen. Ein Projekt, das bemerkenswert ist in vielerlei Hinsicht und hoffentlich als Vorbild und Inspiration für die weitere Veränderung im Quartier Zeichen setzt.