Inspiration Gartenstadt

Nele Rickmann
26. 9月 2024
Drei der vier neuen Wohnhäuser umstehen einen intimen Hof für die Bewohnerschaft. Das vierte fasst einen öffentlichen Platz. (Foto: Ladina Bischof)

Rotmonten liegt erhöht auf dem Rosenberg im Norden der Stadt St.Gallen. Das beliebte Quartier ist geprägt von freistehenden Wohnhäusern und weitläufigen Gärten. Dass das Architekturbüro Staufer & Hasler in seinem Entwurf die Idee der Gartenstadt als zentralen Aspekt aufgegriffen hat, ist an diesem Ort kein Zufall: Bereits 1911 plante der Rorschacher Architekt Adolf Gaudy auf dem circa 70'000 Quadratmeter grossen Areal die Gartenstadt Berghalde. Nach modernen Prinzipien beabsichtigte man an diesem Ort eine Siedlung zu errichten, die den Menschen das Wohnen im Grünen ermöglichen sollte und damit Ruhe, Hygiene und Gesundheit versprach. 

Damit verfolgte Gaudy einen zu jener Zeit europaweiten Trend. Grundlage für dieses Phänomen war die ursprünglich vom Briten Ebenezer Howard 1898 entwickelte Idee der Gartenstadt. Diese ist als städtebauliche Antwort auf die sich während der Industrialisierung verschlechternden Wohn- und Lebensverhältnisse der Arbeiterklasse sowie die steigenden Grundstückspreise in den wachsenden Grossstädten zu verstehen. Die zwei wichtigsten Grundprinzipien, nach denen Gartenstädte funktionieren sollten, waren nach Howard eine genossenschaftliche Organisation der Mietparteien sowie ein gesicherter Zugang zum Grünen für die Bewohnerschaft. 

In den darauffolgenden Jahren wandelten sich die strengen Planungsprinzipien Howards, die er in seinem Buch «Garden Cities of To-morrow» festhielt. Erhalten blieb jedoch die Idee des Wohnens im Grünen. So wird der Begriff Gartenstadt heute oft synonym verwendet für besonders durchgrünte Stadtquartiere. In der Schweiz boomte der Bau von Gartenstädten um 1910. In St.Gallen befindet sich die erste Gartensiedlung des Landes: 1913 stellte die Eisenbahner-Baugenossenschaft die Siedlung Schoren fertig. Geplant wurde sie vom deutschen Architekten Paul Robert Gerber. 

Staufer & Hasler interpretieren mit ihrer Wohnanlage an der Kreuzung von Seeblick- und Ludwigstrasse das städtebauliche Prinzip der Gartenstadt neu und entwickeln eine zeitgemässe Version des Wohnens im Grünen. (Foto: Ladina Bischof)
Statt aus Reihen- und Einfamilienhäusern besteht die Siedlung aus vier modernen Mehrparteienhäusern. Die Grünräume gehören der Gemeinschaft. (Foto: Ladina Bischof)
In Zeiten der Klimakrise sind ein ausgeprägter Bezug zur Natur und ein hohes Mass an Durchgrünung wieder gefragt. (Foto: Ladina Bischof)
Zeitgemässe Architektur nach historischem Vorbild

Im Unterschied zur ebenfalls von Adolf Gaudy geplanten Waldgutsiedlung in Rotmonten konnte die nahe gelegene und privat organisierte Gartenstadt Berghalde nur in Teilen fertiggestellt werden. Bis heute zeugen einzelne Wohnhäuser und die städtebauliche Setzung von der ursprünglichen Idee. 

Um diese mit Perspektive in die Zukunft zu führen, griffen Staufer & Hasler in ihrem Entwurf an der Kreuzung von Seeblick- und Ludwigstrasse einige grundlegende Aspekte wieder auf. Jedoch konzentrierten sie sich nicht auf die für das Quartier typische Setzung von Reihen- und Einfamilienhäusern, sondern zeitgemäss auf das innerstädtische Verdichten, das Wohnen im Mehrparteienhaus und das Teilen von gemeinschaftlichem Grün. Auch Gaudy hatte dies Anfang des 20. Jahrhunderts vereinzelt im Quartier und an ebendieser Kreuzung vorgesehen.

Drei der vier neuen Wohnhäuser umfassen nun einen halböffentlichen Hof, der von einer grossen, über 70 Jahre alten Linde geprägt ist. Sie bildet das Herzstück der naturnah bepflanzten Grünräume, die von den Neubauten gegliedert werden. Gestaltet wurden sie vom Büro Krebs und Herde Landschaftsarchitektur. Auf der gegenüberliegenden Seite der Seeblickstrasse befindet sich das vierte Wohnhaus, dem ein öffentlicher Platz vorgelagert ist. Beide Grünräume sind ähnlich gestaltet, werden aber unterschiedlich genutzt: Der Hof mit Linde zeigt sich intim, ist eher Aufenthaltsort für die Bewohnenden; der Platz an der Seeblickstrasse hingegen kann von der Nachbarschaft genutzt werden. Es gibt öffentliche Sitzgelegenheiten und eine Tischtennisplatte. 

Den Erdgeschosswohnungen ist darüber hinaus je ein privater Grünraum zugeordnet, wohingegen die Wohnungen des oberen Geschosses wie auch des Dachgeschosses je eine Loggia oder einen Wintergarten besitzen. Auch die Volumetrie der Häuser und Dächer, die von giebelartigen Aufsätzen gesäumt sind, scheint von der ursprünglichen Idee Gaudys inspiriert, die in den Illustrationen zu seinem Text «Gartenstadt Berghalde» dargestellt ist.

Markante Y-förmige Holzstützen prägen die Fassaden. (Foto: Ladina Bischof)
Die Fassaden bestehen aus weiss gestrichenem Mauerwerk. Besondere Bereiche wie Hauseingänge und Durchgänge sind durch das Versetzen der Steine hervorgehoben. (Foto: Ladina Bischof)
Foto: Ladina Bischof
Balance zwischen Dichte und Freiraum

Charakteristisch für die Neubauten von Staufer & Hasler sind die Y-förmigen Holzstützen, welche die Dachgiebel aufzuspannen scheinen. Sie setzen sich in ihrer Materialität von den darunterliegenden Geschossen ab. Deren gemauerte Fassaden wurden einheitlich weiss gestrichen, wobei einzelne Bereiche im Erdgeschoss wie Durchgänge oder Eingangssituationen durch das Versetzen der Steine mit einer schlichten Fassadenornamentik hervorgehoben wurden. An diesen Stellen zeigt sich ein besonders schönes Licht- und Schattenspiel. Die rotbraune Farbe der Stoffmarkisen und der Wände an den Loggien setzt darüber hinaus Akzente, die das gesamte Ensemble als eine Einheit wirken lassen.

Die Architekten schreiben auf einer der an den Eingängen der Wohnsiedlung angebrachten Plaketten zum Projekt: «Die ‹richtige› Dichte wird gefunden, indem in Analogie zu den bestehenden Gebäuden feingliedrige Baukörper […] mit grossflächigen Freiräumen verbunden werden.» Dass nicht jede Wohnung einen privaten Gartenbereich besitzt, widerspricht zwar der ursprünglichen Idee einer Gartenstadt, tut der Qualität der Neubauten jedoch keinen Abbruch. Abgesehen davon überzeugt die Wohnüberbauung in vielen Punkten, denn der Entwurf ist bewusst als Interpretation einer historischen Idee zu verstehen und führt das Prinzip «Wohnen im Grünen» mit zeitgemässen Ansprüchen in die Gegenwart.

 

«Gutes Bauen Ostschweiz» möchte die Diskussion um Baukultur anregen. Die Artikelserie behandelt übergreifende Themen aus den Bereichen Raumplanung, Städtebau, Architektur und Landschaftsarchitektur. Sie wurde lanciert und wird betreut durch das Architektur Forum Ostschweiz (AFO). Das AFO versteht alle Formen angewandter Gestaltung unserer Umwelt als wichtige Bestandteile unserer Kultur und möchte diese in einer breiten Öffentlichkeit zur Sprache bringen. 

a-f-o.ch

Nele Rickmann studierte Architektur an der RWTH Aachen und der Bauhaus-Universität Weimar. Nach ihrer Masterarbeit zum Thema Architekturpublizistik trat sie 2022 in die Redaktion der archithese ein. Seither schreibt sie auch darüber hinaus über aktuelle Themen im Architekturdiskurs.

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