Bindeglied

Elias Baumgarten | 14. 3月 2025
Das Pfarreiheim erweitert ein Gebäudeensemble, das aus der Dorfkirche und ihren teils baugeschichtlich bedeutsamen Nebenbauten besteht. Die Anlage fasst den Friedhof. (Foto: Ladina Bischof)

Fast vierzig Jahre lang schlug im Restaurant Kreuz das Herz der Gemeinde Neuendorf: Hier wurde Fasnacht gefeiert und gejasst, hier aß, trank und lachte man zusammen, hier trafen sich die Vereine. Entsprechend traurig waren die Menschen, als ihre geliebte Dorfbeiz 2021 geschlossen wurde. Die Vereine überraschten die Wirtsfamilie zum Abschluss mit einer speziell gestalteten Holzbank, und das ganze Dorf war zusammengekommen, um das Geschenk zu überreichen. Doch wo sollte das Dorfleben nun stattfinden? Wo würde man in Zukunft Feste feiern und Gemeindeversammlungen abhalten? Diese Lücke füllt jetzt das neue Pfarreiheim: Der Holzbau der jungen Architekturschaffenden Nadja und Lukas Frei (Luna Productions) steht ausdrücklich allen offen. Neben kirchlichen Anlässen können hier Vereinstreffen und Gemeindeversammlungen abgehalten und Feste gefeiert werden. Und auch die Jubla, also die katholische Jugendorganisation Jungwacht Blauring, die nebenan bereits einen kleinen Pavillon besitzt, darf den Bau mitnutzen. 

Auf der Ostseite verfügt der Neubau über eine gedeckte Terrasse, die im Sommer für Feste genutzt werden kann. (Foto: Ladina Bischof)
Nach Süden grenzt der Bau an Wiesen und Felder. Sein Solardach produziert mehr Strom, als für den Betrieb benötigt wird. (Foto: Ladina Bischof)
Ein Haus, viele Möglichkeiten

Die Kirchgemeinde wünschte sich ein behagliches Haus, das für verschiedene Aktivitäten gleichzeitig genutzt werden kann. Würde also im großen Saal eine Hochzeit gefeiert oder eine Gesangsprobe abgehalten, sollten in den Seminarräumen Besprechungen oder Schulungen stattfinden können. Außerdem müsste das Pfarreiheim über eine Küche verfügen, in der bis zu 150 Personen bekocht werden können. Um eine maßgeschneiderte Lösung zu finden, veranstaltete der Kirchgemeinderat einen Architekturwettbewerb. Die fünf eingereichten Entwürfe wurden im Feuerwehrhaus ausgestellt, um die Menschen für das Bauprojekt zu gewinnen und die Entscheidung der Jury für sie nachvollziehbar zu machen.

Bei der Vernissage zeigte sich schnell, dass Nadja und Lukas Frei mit ihrem Team die Anforderungen der Bauherrschaft durch eine intelligente Raumaufteilung am besten erfüllt hatten. Ihr Bau steht nun gegenüber der Kirche und ist mit der Traufseite parallel zur Dorfstraße ausgerichtet. Das Haus besteht aus zwei unterschiedlich hohen Gebäudeteilen, die jeweils mit einem Pultdach abgeschlossen sind. Die Stufe zwischen den beiden Dachflächen ist als langes Fensterband gestaltet. Die westliche Giebelfassade ist geschlossen, auf der Ostseite besitzt das Haus dagegen eine gedeckte Terrasse. Zwei große Bullaugenfenster markieren den Eingang in der Mitte der Nordfassade, die zur Kirche schaut – eine fröhliche Willkommensgeste. Betreten wird das Haus über ein Foyer mit Garderobe, das in einen langen Gang mündet. Er verläuft wie ein Rückgrat mittig längs durch das Gebäude und erschließt die Seminarräume rechts neben dem Eingangsbereich sowie die Sanitärräume und die Küche links von diesem. Die Küche besitzt eine Durchreiche zur Terrasse und eine zweite zum Korridor. Ihr gegenüber befindet sich der hohe Festsaal mit Bühne, der über große Türen zum Flur geöffnet werden kann. Diese Raumanordnung ist der besondere Kniff des Entwurfs: Weil Küche, Saal und Seminarräume durch die Erschließung getrennt sind, können im Pfarreizentrum verschiedene Anlässe gleichzeitig stattfinden. Trotzdem müssen Speisen und Getränke nicht kreuz und quer durch das Haus in den Festsaal getragen werden.

Die Pultdachkonstruktion verleiht dem Bau eine kraftvolle Silhouette. (Foto: Ladina Bischof)
Wohnzimmer der Gemeinde

Doch soll der Bau wirklich als Gemeindezentrum angenommen werden, reicht es nicht, wenn er praktisch und gut nutzbar ist. Die Menschen müssen sich im Haus wohlfühlen und eine emotionale Bindung zu ihm aufbauen. Im Inneren setzten Nadja und Lukas Frei darum auf die Naturbaustoffe Holz und Lehm: Im Foyer, auf dem Gang und in den Seminarräumen sorgt mineralischer Schlämmputz für ein behagliches, gesundes Raumklima. Der Festsaal wirkt wie ein großes Wohnzimmer: Unbehandelte Holzoberflächen verleihen dem schönsten und hellsten Raum im Haus eine wunderbare Atmosphäre. Zur erwähnten Terrasse schwingen große Fenstertüren auf, während nach Süden hin eine Glasfront den Blick auf Wiesen und die sanften Hügel des Umlands freigibt. Durch das Fensterband in der Pultdachkonstruktion schließlich erkennt man den Turm der Dorfkirche. 

Blick von der Bühne in den großen Festsaal (Foto: Ladina Bischof)
Vertraut neu

Nadja und Lukas Frei griffen die örtliche Bautradition auf und entwickelten sie zu einer neuen, modernen und repräsentativen Architektursprache weiter: Die Holzfassade und die geschlossene westliche Wetterwand des Pfarreiheims sind ortstypische Gestaltungselemente und an vielen Häusern in Neuendorf wiederzufinden. Doch die traditionell geschlossene Giebelfassade ist aus alten Pflastersteinen gemauert, die das Architektenpaar auf dem Kleinanzeigenportal tutti.ch gekauft hat. Durch die wellenförmigen Außenkanten der Steine entsteht eine einzigartige Textur und die Mauer wirkt wie ein Gewebe. Dieses Recycling ist übrigens nicht nur überaus ästhetisch und gut fürs Klima, es senkte auch die Baukosten. Die Pultdachkonstruktion lässt sich darüber hinaus als Abstraktion der Satteldächer der Nachbarhäuser lesen. Gleichzeitig verleiht sie dem Gemeindezentrum eine unverwechselbare, kraftvolle Silhouette. Auch liebevoll gestaltete Details stärken die Verbindung zwischen Neubau und Dorf. Überall im Haus finden die Menschen das vertraute Rot ihrer Kirchturmuhr wieder: An den Storen vor den Fenstern, bei den Fliesen in den Sanitärräumen und sogar an den Metallprofilen, die die tragende Holzkonstruktion von der Fassade trennen.

Die Wetterwand auf der Westseite ist aus alten Pflastersteinen gemauert. (Foto: Ladina Bischof)
Die Steine geben der Mauer mit ihren wellenförmigen Außenkanten eine gewebeartige Struktur. Auch der Gebäudesockel und die Terrasse bestehen aus dem Recyclingmaterial. (Foto: Ladina Bischof)
Architektur baut Gemeinschaft

Schon mit ihrem Aussichtsturm im Hardwald haben Nadja und Lukas Frei bewiesen, dass sie es meisterhaft verstehen, mit ihrer umweltfreundlichen Architektur Menschen zu bewegen und zusammenzubringen. Viele waren von dem Projekt so begeistert, dass sie täglich die Baustelle besuchten, um die Arbeiten zu beobachten. Sogar das Schweizer Fernsehen berichtete über die enorme Anziehungskraft und Popularität des Bauwerks. Mit seinem neuesten Projekt zeigt das Architektenpaar aus Deitingen jetzt sein feines Gespür für die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen auf dem Land. Das Duo und sein Team schätzen Traditionen, verstehen Ortsgeschichte und soziale Dynamiken und entwickeln daraus eine zeitgemäße, umweltfreundliche und dabei unverkennbare Architektur.

Situation (© Luna Productions)
Grundriss Erdgeschoss (© Luna Productions)
Schnitt (© Luna Productions)

Projektinformationen Pfarreiheim Neuendorf
 
Standort
Neuendorf, Kanton Solothurn, Schweiz
 
Bauherrschaft
Römisch-Katholische Kirchgemeinde Neuendorf
 
Architektur
Luna Productions, Deitingen
Projektleiter: Demian Derron
 
Vergabe
Wettbewerb 2021, 1. Preis

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