Neubau Mehrzweckhalle Brühl
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- Gebenstorf
- Anno
- 2013
- Cliente
- Gemeinde Gebenstorf Aargau
Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Einzelteile
Dieser Ausspruch von Aristoteles ist für unser Schaffen als Architekten wegweisend. Er erinnert uns daran, dass wir Architekten uns zwar darum bemühen, Materialien so zu ordnen, dass Gebäude entstehen. Dass es uns aber eigentlich darum gehen sollte, das Dazwischen nicht zu vergessen. Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Einzelteile. Eine Kultur des Dazwischen, das Mehr zwischen den Materialien. Das Nichtmessbare, aber Vorhandene. Gerade in einer Zeit, in welcher die zwischenmenschlichen Werte hauptsächlich von einem messbaren Materialismus geprägt zu sein scheinen, ist diese Suche nach dem kulturellen Mehr entscheidend. Ja sie ist geradezu ein ökonomisches Muss.
Für die Aufgabe in Gebenstorf bekommt die Aussage eine zusätzliche Dimension. Die Gemeinde schreibt aufgrund schlechter Erfahrungen beim Bau des Schulhauses Brühl einen Gesamtleistungswettbewerb aus. Ziel dieses Verfahrens ist es, die Baukosten begrenzen zu können. Doch schon anlässlich der gemeinsamen Begehung, äussern sämtliche zum Wettbewerb zugelassene Teilnehmer ihre Bedenken. Das von den Auslobern gewünschte Programm kann unmöglich innerhalb des geforderten Kostenrahmens gebaut werden. Die Befürchtungen erweisen sich als korrekt. Keinem der sechs Anbieter gelingt es auch nur annähernd, den Kostenrahmen einzuhalten. Ein zweiter Wettbewerb, mit einem deutlich reduzierten Raumprogramm, muss ausgeschrieben werden.
Das Ganze ist Mehr als die Summe seiner Einzelteile. Frei & Ehrensperger sind die einzigen Architekten, die das reduzierte Raumprogramm als mögliche Chance sehen und das Konzept ihres Entwurfes des ersten Wettbewerbes hinterfragen. Der Entscheid der Bauherrschaft, eine bestehende Turnhalle nicht abreissen zu wollen, darf nicht hinterfragt werden. Die neuen Raumanforderungen machen es jetzt aber möglich, den zu erhaltenen Altbau so in das neue Projekt integrieren zu können, dass räumliche Synergien entstehen können, die nun ein wirtschaftliches Projekt ermöglichen. So wird die neue Aula, sowie die erforderlichen Garderoben in das Volumen der bestehenden Turnhalle eingebaut.
Mit dem Entscheid, die bestehende, architektonisch wenig wertvolle Turnhalle nicht abreissen zu dürfen, wird gleichzeitig die städtebauliche Setzung vorweggenommen. Das neue Ensemble integriert die alte Turnhalle in einem niedrigen langen Baukörper, der sich in den Pausenplatz zwischen den beiden bestehenden Schulhäusern zu schieben scheint. Der Pausenplatz wird räumlich gefasst, die Umgebung gleichzeitig neu zoniert. Auf der den Wohnhäusern zugewandten Seite bleibt eine Wiese und Raum für eine spätere Erweiterung der Schule. Auf der Seite des Flusses terrassiert die Umgebung einen oberen Bereich mit dem Allwetterplatz, einer neuen Spielwiese und einem unteren Bereich für ein neues Fussballfeld, einer Weitsprung- und Kugelstossanlage. Das bestehende Rasenbord kann als natürliche Zuschauertribühne genutzt werden. Gerade weil die äussere Form der neuen Halle reduziert ist, kann sie mit ihrer Umgebung optimal in einen Dialog treten. Durch das Versenken der Hallenebene um ein Geschoss können vielfältige Ein-, Aus-, und Durchblicke ermöglicht werden. Reduzieren bedeutet für uns nicht einfach weglassen. Sondern wie beim Kochen erreicht man eine Reduktion, ein Konzentrat, nur, wenn mit Hilfe von Energie überflüssiges Wasser verdampfen kann und schliesslich eine Reduktion übrig bleibt. Also ein weniger an Masse, dafür ein Mehr an Inhalt.
Das äussere Erscheinungsbild der neuen Mehrzwecksporthalle ist einfach und klar. Ein rechteckiger, länglicher Baukörper mit einem verglasten Sockel und einem massiven Dach aus vorfabrizierten Betonelementen. Die in Strukturbeton gegossenen Elemente sollen ein leichtes schwebendes Blätterdach andeuten und der Geste etwas von ihrer Schwere nehmen. Zwei Häuser, ein beide umhüllendes einheitliches Kleid. Tritt man näher an das Gebäude heran, öffnet sich hinter dem gläsernen Vorhang eine vielfältige Erlebniswelt mit einer Anzahl von Räumen unterschiedlicher Massstäblichkeiten: eine Dreifachsporthalle, eine introvertierte Theaterbühne, eine extrovertierte Aula, unterteilbar in zwei unabhängige Räume, eine Schülerbibliothek, ein offenes Foyer für Anlässe und den gewünschten Schülertisch, Büroräume für die Schulleitung usw. Der Altbau scheint vom Neubau komplett aufgesogen worden zu sein, hat seine Identität dem neuen Ganzen untergeordnet. Eine Transformation, deren Spuren bei genauem Hinsehen jedoch noch spürbar sind.
Das neue Raumkontinuum lässt vielfältige Raum- und Lichtstimmungen zu und funktioniert wie ein Musikinstrument, das unterschiedliche Melodien spielen kann und soll. Das Ganze muss mehr sein als die Summe seiner Einzelteile.
Konstruktives Mass
Dem Prinzip, Masse zu reduzieren, durch geschicktes Anordnen jedoch Synergien zu ermöglichen, um das knappe Budget einhalten zu können, ist auch das konstruktiv gestalterische Konzept untergeordnet. Jedes einzelne Bauteil dient mehreren Bedürfnissen. Die neue Halle ist über einem massiven Sockel zu einem grossen Teil vorfabriziert montiert worden. Die in die Höhe strebenden Betonstützen tragen nicht nur die Stahlträger, das Dach, sondern auch die innere und äussere Fassade. Die inneren Fassadenelemente weisen eine vertikale Struktur auf, eine Reaktion auf akkustische Notwendigkeiten. Gleichzeitig kann damit aber auch die Entlüftung der Halle in der Fassadenebene auf eine selbstverständliche Art und Weise integriert werden. In den vertikalen Akkustikelementen aus Esche wird die Luft eingeblasen, in den hochliegenden Fassadenelementen abgesogen. Die tragenden Dachelemente aus Wellblech sind akkustisch wirksam ausgebildet, das Hallenlicht kann in die schützenden Wellen des Profilbleches integriert werden.
Der Altbau musste fast vollständig bis auf seine tragende Struktur rückgebaut werden. Was zum Vorschein kam, war eine überraschend freche Stahlkonstruktion, die mittels dreier über der Dachhaut liegenden Fachwerkträger den gesamten Altbau praktisch stützenlos überspannte, bisher aber von einer kulissenhaft anmutenden Verblendung kaschiert wurde. Unter diesem frei gespannten Dach konnten die neuen, unterschiedlichen Raumbedürfnisse als fliessende Räume realisiert und zusammen mit der neuen Halle in ein architektonisches Gesamtkonzept eingebunden werden.
Das haptische Konzept
Durch das Reduzieren auf wenige Elemente kommt gleichzeitig jedem einzelnen Element eine grössere Bedeutung zu. Es werden deshalb nur wenige echte, nicht verblendete Materialien verwendet. Sichtbeton mit einem stehenden, in die Höhe strebenden Schalungsbild, vorfabrizierte roh belassene Betonelemente mit einer akustisch wirksam stehenden Rippung, Isolierglas nichtspiegelnd, sämtliche Schreinerarbeiten in Esche natur, Hallenboden grau, Spielfeldmarkierungen als farbiges Zerrbild, Korridore und Böden der öffentlichen Bereiche in einem fugenlos gegossenen und geschliffenen Anhydrit. Mit diesem Materialkonzept soll eine monochrome haptische Sinnlichkeit vermittelt werden. Es sollen vor allem die unterschiedlichen Lichtstimmungen sein, die sich in das Gedächtnis seiner Benutzer einprägen. Wie alle guten Gebäude soll auch diese Mehrzweckhalle Geschichten erzählen resp. eigene neue Geschichten ermöglichen. Aus diesem Grunde bleiben einige haptische Spuren der alten Turnhalle weiterhin erlebbar, erzählen ihre Geschichte. Tradition und Vision, sich ergänzend, nicht ausschliessend. Daran erinnernd, das alles im Flusse ist.
Ein Instrument
Die neue Halle wird als Mehrzweckhalle bezeichnet. Sie soll also mehreren Zwecken dienen. Sowohl dem Schulsport als auch den Vereinen, sowohl den sportlich als auch den kulturell interessierten Vereinen. Die Erfahrung zeigt, dass sich diese einzelnen Vereine als unabhängige Nutzer artikulieren, die darauf aus sind, ihre partikulären Interessen in einer additiven Aufzählung eines Raumprogrammes durchzusetzen. Eine Mehrzweckhalle muss aber wie ein Musikinstrument genutzt werden können. Das Ganze soll mehr sein als die Summe seiner Einzelteile. Raumqualität und Konfigurationsmöglichkeiten der Räume sollen auch bisher noch nicht erwähnte Nutzungen ermöglichen. Das Instrument soll inspirieren, Melodien zu spielen, die noch nicht angedacht worden sind. Es soll neugierig machen, man soll herausfinden, was alles gespielt werden kann. Das Gebäude soll von der Gemeinde angeeignet werden.