Christoph Rothenhöfer: «Die E-Mobilität muss den Menschen auch einen ökonomischen Vorteil verschaffen»
Katinka Corts
30. settembre 2022
Foto: Nadia Bendinelli
Um die E-Mobilität im Kleinen und Grossen voranzubringen, brauchen wir auch sichere und nachhaltige Energiequellen. Mit Elektroingenieur Áedán Christie, Umweltwissenschaftlerin Susanne Haag und Architekt Christoph Rothenhöfer, die bei der TBF + Partner AG an zahlreichen Kraftwerksprojekten beteiligt sind und die E-Mobilität auch kritisch hinterfragen, trafen wir uns zum Gespräch.
Der Wunsch nach E-Mobilität wächst mehr und mehr. Ganz allgemein gefragt hier in die Runde: Wo stehen wir heute mit der Ressource Energie diesbezüglich?
Christoph Rothenhöfer: Das Thema Energie ist in fast allen unserer Projekte ein – wenn nicht das – zentrale Thema. Bis vor wenigen Wochen hat die Welt vor allem über die Gefahr eines Gasengpasses gesprochen, die Ressource Strom war überhaupt kein Thema. Wir haben aber schon lange die bedrohliche Lage der Stromknappheit und Stromversorgung im Fokus und plädieren schon immer darauf eine übergeordnete breite Sichtweise einzunehmen.
Die Situation ist nach wie vor extrem angespannt, gerade was die Stromsituation betrifft. Es wird massiv konsumiert, aber das Damoklesschwert des Blackouts, also mal keinen Strom mehr zu haben, das existiert. Ein Beispiel war im April Sri Lanka, damals gab es Engpässe bei Treibstoffen und immer wieder Stromausfall und das hat in fast bürgerkriegsähnlichen Zuständen geendet. Wenn Gas mal zwei bis drei Tage nicht verfügbar ist, hinterlässt das Spuren, aber es wird nie die Dimension haben wie beim Strom.
Áedán Christie: Wir beschäftigen uns tagtäglich damit, was auf der anderen Seite der Steckdose passiert. Dabei lässt sich der Strom nicht von anderen Energieträgern trennen. Es muss jederzeit entschieden werden, wieviel Wärme und Strom produziert werden soll, wieviel wohin transportiert oder gespeichert werden soll. Wir betrachten die Themen Stromproduktion und -verteilung als Gesamtsystem. Dabei wird besonders das Speichern von Energie wird in den kommenden Jahrzehnten wichtig. Das Speichern ist auch die eigentliche Knacknuss der heutigen Stromlücke: Tagsüber im Sommer haben wir genügend Energie, auch erneuerbare, nicht aber im Winter oder in der Nacht.
Susanne Haag: Eine wichtige politische und gesellschaftliche Komponente in der Gleichung ist auch, dass die Menschen nachhaltige Energie fordern. Einerseits wird immer mehr konsumiert, andererseits will man keinen Strom mehr von den Atomkraftwerken haben. Auch beim bewussteren Umgang mit Energie müssen wir in den nächsten Jahren noch Fortschritte machen.
Mir scheint, dass der Bevölkerung auch das Energiethema immer bewusster wird und mehr Bauherrschaften verstehen, dass es eigentlich sinnvoll wäre, auch die Immobilie als Minikraftwerk zu sehen.
Áedán Christie: Und nicht nur das Haus! Genauso relevant für die Speicherung von Energie sind heutzutage E-Fahrzeuge. Gerade bei der Speicherung von Energie ist die E-Mobilität eine riesige Chance, denn wir haben es, abstrakt betrachtet, mit tausenden mobilen Speichern zu tun. Ergänzend zum Strom lassen sich in Gebäuden Warmwasserspeicher als dezentrale Speicher z.B. für das Lastenmanagement im Wärmenetz nutzen, um so bei Bedarf Wärme umzuschichten. Diese dynamische Produktion und Speicherung von Energie wird sich auf alle Energieformen ausbreiten, ob Strom, Kälte, Wärme, Gas oder Wasserstoff.
Bei der E-Mobilität darf man aber nicht vergessen, dass sich Steckdosen nicht einfach an beliebigen Stellen errichten lassen, denn das Netz muss auch dafür ausgelegt sein. Es werden also in nächster Zeit grössere Investitionen nötig sein. Man muss überlegen, wo solche Steckdosen sinnvoll sind und wo Übergabepunkte zu den mobilen Akkus benötigt werden. Die Netze müssen übergeordnet geplant werden – unter der Berücksichtigung dezentraler Verbraucher und Einspeisepunkte.
Susanne Haag (Foto: Nadia Bendinelli)
Sind denn die Bauherrschaften, mit denen ihr zu tun habt, auch eher visionär und planen weitsichtig das Thema Energie oder geht es ihnen eher darum, die notwendigen Basics in einem Projekt abzubilden?
Christoph Rothenhöfer: Unsere Kunden sind im Regelfall sehr visionär, weil die Planungen sehr zukunftsorientiert sind. Das Abbild der heutigen Anlagen zu reproduzieren ist ein Trugschluss und wäre offensichtlich ein Fehler. Uns interessieren aber auch keine völlig utopischen Dinge, bei denen man die Verantwortung für die Gegenwart vergisst.
Susanne Haag: Meist versuchen wir, die Sachen, die heute Standard sind, möglichst kompatibel und erweiterbar zu planen für anderes, das wir heute schon andenken. Wenn irgendwann jedes Stromnetz „intelligent“ ist und man überall einspeisen und zurückgeben kann, muss möglichst alles kompatibel geplant werden. Wir dürfen kein intelligentes Stromnetz aufbauen, das in zehn Jahren nicht mehr kompatibel ist.
All diese Überlegungen zeigen uns das Netz auf, das wir eigentlich brauchen. Wir brauchen den Bus am Verbraucher, damit wir uns beim Individualverkehr sinnvoll auf das Notwendige beschränken können. Könnte es sein, dass uns die E-Mobilität bestenfalls wieder ein Stück weit sozialer und gemeinschaftsorientierter macht? Also weg von einer „mein Fahrzeug-Akku ist geladen“- und hin zu einer „mein Fahrzeug als Speicher für alle“-Mentalität – das eigene Auto als Teil der Ressource sehen …
Áedán Christie: Ja, hoffentlich wird uns die E-Mobilität in diese Richtung führen. Letztendlich brauchen wir Mobilitätskonzepte, die das effiziente Umschichten von Fahrzeugen, Personen und Waren ermöglichen. Die Verkehrsteilnahme muss intelligent geplant und geführt werden, was eine Abkehr vom individuellen Denken hin zur Shared Economy im Mobilitätsbereich bedeutet. Damit das funktioniert, braucht es Kooperation zwischen Mobilitäts-, Energie- und Infrastrukturanbietern. Die individuelle Freiheit wird dabei in die Mobilitätsangebote mittels dynamischem Mobility Pricing eingepreist.
Christoph Rothenhöfer: Gerade bei der Ladeinfrastruktur für Private hinkt die Schweiz ziemlich hinterher. In München z.B. gibt es ganze Innenstadtbereiche mit Lademöglichkeiten für private E-Fahrzeuge, Norwegen ist auch viel weiter. Dennoch glaube ich, dass E-Mobilität die Gesellschaft mehr zusammenbringen könnte – weil sie innerstädtisch eh nur im Kollektiv funktioniert. Momentan schafft Zürich etliche Parkplätze in den blauen Parkzonen ab, gibt die Flächen wieder für den Verkehr frei. Wäre es nicht sinnvoller, diese Plätze mit Ladestationen zu versehen und so den Wandel sichtbar zu machen? Schade, dass das in einer modernen Stadt wie Zürich zu wenig stattfindet.
Susanne Haag: Und dazu kommt die Praktikabilität: Bei uns braucht man je nach Anbieter unterschiedliche Karten und etliche Apps. Zwar haben die Leute jetzt verstanden, dass E-Mobilität sinnvoll ist, aber nun fehlt die funktionierende Infrastruktur, auch zum Laden der Fahrzeuge am Arbeitsplatz. Es ist schliesslich sinnvoller, Autos tagsüber zu laden – wenn der Strom aus Photovoltaik-Anlagen kommt – als abends oder in der Nacht.
Áedán Christie (Foto: Nadia Bendinelli)
Praktikabilität und Infrastruktur – zwei wichtige Kernthemen, wenn neue Technologien verstärkt einen Markt erobern und Kundschaft überzeugen sollen. Bedacht werden müsste ja auch, wie es bei einem grossen Anteil an E-Fahrzeugen mit der bisherigen Finanzierung der Strasseninfrastruktur weitergehen würde. Die Strasse wird aktuell grösstenteils über Treibstoffabgaben finanziert – E-Mobilität bedeutet also auch einen Wandel im volkswirtschaftlichen Sinn.
Áedán Christie: In der Schweiz werden weiterhin im Vergleich zum Ausland eher wenige volkswirtschaftliche Anreize geschaffen, diese Fahrzeuge zu kaufen. Andere Länder haben das Bewusstsein für E-Mobilität bereits deutlich mehr geschärft. In Deutschland beispielsweise kann man ohne die richtige Schadstoff-Plakette kaum mehr in eine Stadt fahren. Ob das nun richtig oder falsch ist, würde ich mal so dahingestellt lassen. Aus meiner Sicht ist nicht klar, dass die E-Mobilität die Lösung für die Welt der Zukunft ist. Deshalb würde ich sie auch nicht unhinterfragt fördern. Sinnvoller fände ich, die Fahrzeuge je nach Schadstoffklasse und effektiven Emissionen, ganz nach dem Verursacherprinzip, zu besteuern. Wenn dabei E-Fahrzeuge günstiger abschneiden, werden sie sich durchsetzen.
Schauen wir jedoch realistisch auf E-Fahrzeuge, wo sie herkommen und was für die Herstellung an Ressourcen gebraucht wird, müssten sie ja wiederum viel teurer sein als andere Fahrzeuge. Zumindest, wenn ich das Thema auch über den Tellerrand hinaus betrachten will und nicht ökologische Faktoren, die das Ausland betreffen – z.B. Minen mit seltenen Erden, Arbeitsbedingungen, Schadstoffeinsätze – aussen vor lassen will.
Susanne Haag: Auch die Lebensdauer der Akkus gilt es zu berücksichtigen. Jetzt haben jene der ersten Generation von E-Fahrzeugen bereits oder bald ihr Lebensende erreicht. Ich vermute, es wird künftig einen grossen Markt geben für Akkus, die zwar nicht mehr für den Betrieb des Autos genügen, jedoch als Speicherzelle in einem Haus den selbstproduzierten Solarstrom speichern können. Dieser Markt muss sich aber erst entwickeln. Dann jedoch relativiert sich auch die Herstellung ein wenig, wenn die Lebensdauer nicht nur sieben Jahre im Auto, sondern darüber hinaus auch weitere Jahre intelligent nutzbar für die dezentrale Speicherung ist.
Christoph Rothenhöfer (Foto: Nadia Bendinelli)
Ich gehe davon aus, dass wir uns nicht in die Richtung entwickeln, dass Neubauvorhaben irgendwann grosse Räume nur für Speicherzellen bereitstellen, um Solarstrom tagsüber zu speichern und nachts an Tiefgaragenplätze abzugeben. Vielmehr muss ein Netz entstehen, in dem ständig Energie zum Verbraucher und vom Produzenten weg bewegt wird. Der Mehrwert wird darin liegen, das Thema grösser zu denken und die richtigen Anreize zu schaffen.
Christoph Rothenhöfer: Genau. Die ganzen privaten PV-Anlagen kamen auch erst, als ein ökonomischer Vorteil für die Käufer respektive Betreiber entstanden ist. Vermutlich gibt es auch viele, die sich aus einer Überzeugung und einer Verantwortung für ein E-Fahrzeug entscheiden. Aber der grosse Hebel wird darin liegen, dass es in irgendeiner Form eine Begünstigung geben muss.
Áedán Christie: Man darf auch nicht vergessen, dass der Zustand, Parkgaragen mit zig Fahrzeugen zu haben, eigentlich purer Luxus ist. Auch im öffentlichen Raum sind Parkplätze meiner Meinung nach viel zu günstig. Wenn man sich in dem Zusammenhang wieder die Transportlogistik überlegt, würde ich fragen: Ist es denn zwingend notwendig, dass es mein Auto ist und dass es bei mir daheim steht und die ganze Nacht über nichts macht? Ist es sinnvoll, dass wir für die paar Minuten, die wir am Tag Auto fahren, ein eigenes Fahrzeug besitzen? Die Fragestellung, ob nun Speicherzellen für Autos gebaut werden sollten, ist also komplexer: die Speicherzellen, das Auto und der Zugang zum Stromnetz bilden ein dynamisches System, über das sich kaum pauschal Aussagen treffen lassen. Es mag sein, dass die Kombination von PV und E-Autos sinnvoll ist, es hängt im Einzelfall jedoch immer auch von aktuellen volkswirtschaftlichen Anreizen, den effektiven Nutzungsprofilen und den lokalen Gegebenheiten ab.
Susanne Haag: Die Schweizer Genossenschaft mobility hat recht früh damit begonnen, ein Sharing-Netz für Fahrzeuge aufzubauen. In den nächsten Jahren wollen sie nun alle Autos auf elektrischen Antrieb umzustellen. Zugleich laufen Versuche, dass diese Fahrzeuge auch wieder in das Netz einspeisen können, wenn sie nicht gebucht sind. Dank der Buchungsplattform ist ja nachvollziehbar, wann ein Fahrzeug gebraucht wird und geladen sein muss. Wird es länger nicht benötigt, wird es zum Stromgeber.
Áedán Christie: Das vernetze Denken wird dafür immer wichtiger. Wenn die Fahrzeuge in einem intelligenten Netz kommunizieren, können sie als eine Art dezentrales Kraftwerk betrachtet werden. Sobald zudem autonome Fahrzeuge Realität sind, kann das Auto auch noch selbständig zur Ladestation fahren oder andere Aufgaben wie Transporte übernehmen.
Foto: Nadia Bendinelli
Dafür fehlt bislang wohl schlicht der Ausbau. Wenn hier der Staat dafür eintreten würde und sich massiv für öffentliche Mobilität und E-Mobilität einsetzen würde, bekämen die Menschen auch mehr Vertrauen in derlei Sharing-Konzepte. Bei schwachem Ausbau der Infrastruktur können Nutzer*innen nicht darauf vertrauen, sich wie gewünscht bewegen zu können. Und niemand will einfach nur verzichten, das fühlt sich für viele als Rückschritt an.
Áedán Christie: Richtig, Konsument:innen vertrauen heute darauf, quasi überall und ständig ein Fahrzeug zur Verfügung zu haben, das ihr Bedürfnis nach Mobilität deckt. Im Grundsatz lässt sich dieses Bedürfnis auch ohne ein persönliches Fahrzeug decken. Shared Mobility-Angebote entstehen dabei auf dem gesamten Spektrum vom individuellen PKW bis hin zum öffentlichen Verkehr. In Hamburg beispielsweise gibt es ein Mobility-Angebot mit Bussen, die statische Haltestellen in dynamisch berechneten Routen bedienen. Solche neuartigen Shared Mobility-Angebote ermöglichen, gekoppelt mit weiteren Angeboten wie E-Velos oder Scootern, auch viel individuelle Freiheit: Mobilitätsangebote sind dort und dann verfügbar, wo und wenn ich sie brauche. Auch hier sollte die staatliche Förderung möglichst technologieneutral sein und sich darauf fokussieren Plattformen zu schaffen, auf denen dann Mobilitätsangebote entstehen können. Damit muss niemand seine individuelle Freiheit einschränken und das Vertrauen in die Sharing-Konzepte steigt, weil sich jene durchsetzen, die funktionieren.
Susanne Haag: Natürlich, solche Konzepte funktionieren in den Städten gut, nicht jedoch auf dem Land. Es braucht Lösungen sowohl für den urbanen Raum als auch für den ländlichen. Vielleicht kann man irgendwann die Fahrzeuge auch aufs Land bestellen. Aber mit Verboten kommt man da auch meines Erachtens nicht weiter.
Christoph Rothenhöfer: Das Verbieten und damit das Übersteuern sollte eh nicht als Mittel eingesetzt werden. Wenn jemand das Bedürfnis hat, ein Auto zu haben, sollte dies auch möglich sein. Wichtig erscheint mir, dass man vor allem innerstädtisch über ,das eigene Auto‘ und ,den eigenen Parkplatz‘ hinausdenken sollte. Genauso wie man in den Städten heute Nutzungen wie selbstverständlich verdichtet und überlagert, sollte dies auch im Kontext des Individualverkehres und der Parkplätze angedacht werden. Innerstädtisches Parken erfolgt heute entweder in der blauen Zone oder auf privaten Miet-Parkplätzen. Diese hätten allerdings deutlich mehr Potenzial, würden diese nicht individuell an Einzelpersonen vermietet, sondern in einer Art von Sharing breiter zur Verfügung gestellt. Ich bin überzeugt: Wenn es einen einfachen Weg gäbe, einen privaten Parkplatz in ein öffentliches Netz zu integrieren und über eine Ladestation daraus eine Pachteinnahme zu generieren, gäbe es Interesse an diesem System.
Susanne Haag: Richtig, die Alternativen müssen attraktiv genug sein. Wenn die Leute merken, dass das System vom Teilen Vorteile hat, dann funktioniert es auch. Sicher ist das auch eine Philosophie- und Generationenfrage. Doch da ist es wie bei unseren Projekten beispielsweise im Kraftwerksanlagenbau – es ist nicht von heute auf morgen gemacht und braucht einen kontinuierlichen Prozess.
Besten Dank für das interessante und weitreichende Gespräch. Ich denke, wir haben zahlreiche Punkte angesprochen, für die in hoffentlich eher naher Zukunft in Politik, Wirtschaft und Bevölkerung mehr Raum vorhanden sein wird.
TBF ist ein international tätiges Büro beratender Ingenieur*innen, Architekt*innen und Unternehmensberater*innen. Von vier schweizerischen und zwei deutschen Standorten aus bearbeitet TBF komplexe Vorhaben in den Bereichen Infrastruktur, Energie, Mobilität und Umwelt in Mittel- und Westeuropa. Besonders die Erneuerung von Kraftwerksanlagen ist ein wichtiges, hochaktuelles Themenfeld in der Schweiz und in Deutschland, mit dem sich die Fachplaner*innen von TBF beschäftigen. Für das Projekt Limeco im Limmattal erstellen aktuell drei interdisziplinäre Teams aus Architektur, Städtebau und Verkehr Testplanungen.