Glas fürs heilige Blechle
Thomas Geuder
4. febbraio 2014
Seit Ende der 1990er-Jahre entsteht in der Bremer «Überseestadt» auf rund 300 Hektar ein neuer Stadtteil. (Foto: Conné van d’Grachten)
Industriehallen am Hafen sind meist vor allem eines: ziemlich gross. Eine solche zu Ausstellungs-, Büro- und Verkaufsflächen sowie Wohnungen mit einem sehr speziellen Nutzungskonzept umzubauen, war die Aufgabe von Westphal Architekten beim «Schuppen eins» in Bremen.
Le Corbusier hat es bei seinem «Dom-ino» vorgemacht: Die tragenden Elemente in einem Gebäude müssen nicht unbedingt die Wände sein. Als Tragwerk genügen Stützen und nur wenige, aussteifende Wände. Raumbildend sind in einem zweiten Schritt dann die nichttragenden Wände, die beliebig angeordnet werden können. Ein freier Grundriss eben. Kreative Architekten freut das, denn der Spielraum für ausser- bzw. ungewöhnliche Materialien als Mauer erweitert sich wesentlich, wenn die statischen Voraussetzungen sich auf das Tragen des eigenen Gewichts reduzieren. So haben auch Materialien wie Glas – das ab und an durchaus auch tragend eingesetzt wird – eine Chance, ganze Wände zu bilden und so mit ihren spezifischen Eigenschaften die Architektur zu prägen. Glas kann transparent oder transluzent sein, es lässt sich beliebig färben oder verzerrt je nach Querschnitt das Abbild des dahinter Liegenden. Ideal also als Trennung, wenn man viel Lichtdurchlass, nicht aber unbedingt eine Durchsicht erzeugen möchte. Neben den altbewährten Glasbausteinen gibt es in dieser Richtung etwa von der Firma Pilkington aus Schmelz bei Saarbrücken maschinengewalztes Alkali-Gussglas in U-Form, dessen Profile mit einer Breite von bis zu 498 mm und einer Länge bis 7 Metern vertikal oder horizontal eingebaut werden können. Auch ein Wärmeschutz-, Sonnenschutz- sowie vorgespanntes Glas bei höheren Anforderungen sind im Portfolio. Das alles klingt zunächst recht banal, schafft für die Entwurfsphase aber viele Möglichkeiten; dem (eventuell vorhandenen) Spieltrieb des Entwerfers sind hier kaum Grenzen gesetzt.
Im Innenraum ist die prägnante Tragstruktur auch nach dem Umbau deutlich zu erkennen. (Foto: Conné van d’Grachten)
25.000 m² ehemalige Lagerfläche, 50 m Breite und gut 400 m Länge, 9 m Höhe im Erdgeschoss: Das waren die Parameter, mit denen sich die Planer von Westphal Architekten in der Bremer Überseestadt zunächst auseinandersetzen mussten. Aus dem 1959 erbauten, denkmalgeschützten und zweigeschossigen «Stückgutumschlagschuppen» – damals ein kurzfristiger Umschlagplatz für Waren aller Art – sollte nun ein «Zentrum für Automobilkultur und Mobilität» entstehen, in dem auch Shops und Wohnungen Platz finden. Dazu haben die Architekten das neun Meter hohe Erdgeschoss durch eine grosszügige Eingangssituation und einen durchlaufenden Boulevard erschlossen, der nicht nur ein angemessenes Ambiete für historische Automobilausstellung im Mobileum bietet, sondern auch innenräumlich einen grosszügigen Raumcharakter schafft. Zukünftig werden hier Oldtimer ausgestellt, restauriert, gewartet, gelagert und verkauft. Als Würdigung der Stahlbetonskelett-Konstruktion und des ehemaligen Raumeindrucks darf man die Raumteilung im Erdgeschoss durch die nicht ganz transparenten Gussglas-Elemente verstehen. Sie erlauben ausserdem einen neugierig machenden Blick auf die zahlreichen Wagen, die sich in den Räumen dahinter verbergen. In den Büroräumen sind die Glaswände ein praktischer Raumteiler, der die nötige Distanz zu den Kollegen schafft, ohne ganz zu trennen. Grosszügige Büro- und Wohnlofts befinden im Obergeschoss, in das die Nutzer – getreu dem Motto Automobil – per Autolift gelangen und direkt mit ihrem Fahrzeug in die eigene Garage fahren können. Dies geschieht über eine Strasse, die in das Volumen eingeschnitten ist und von mehreren Plätzen zur Gliederung des Gebäudes aufgeweitet wird. Der Schuppen Eins ist durch und durch für eine Gesellschaft aus Autofahrern konzipiert. Ein solches Gebäudekonzept hat man in der Architektur jedenfalls schon lange nicht mehr gesehen. So werden in Bremens Europahafen Autoträume wahr.