Die Praxis wird's schon zeigen

Thomas Geuder
14. novembre 2012
Das Effizienzhaus Plus in Berlin will nicht nur für Mensch, sondern auch für Auto für die benötigte Energie sorgen. (Foto: Matthias Koslik, Berlin / Sto AG)

Als 1977 die erste Energiesparverordnung inkraft trat, hatten viele wahrscheinlich nicht einmal daran zu denken gewagt, dass ein Gebäude einmal so viel Energie selbst produzieren können wird, dass Mensch und sogar Auto mit Strom versorgt werden (ganz zu schweigen vom Thema Elektromobilität). Doch mit den Null­energie­häusern wie dem 1992 erbauten ersten energieautarken Solarhaus in Freiburg, das 100% seines Energiebedarfs durch thermische und photovoltaische Nutzung der Sonnenenergie decken konnte, war zumindest klar, dass die energetische Reise noch lange nicht ab­ge­schlossen sein konnte. Technologische Entwicklungen vor allem in der Erzeugung von dezentraler Energie am Gebäude haben seitdem das Bauen weit nach vorne gebracht, und so war es eigentlich nur noch eine logische, dennoch beachtenswerte Folge, dass die TU Darmstadt 2007 und 2009 beim Solar Decathlon mit ihren Beiträgen den Schritt zu einem Haus machte, das eine positive Jahres­energie­bilanz aufwies, d. h. mehr Energie bereitstellte, als für den Gebäudebetrieb benötigt wurde – was sie in beiden Jahren zu «Solarweltmeistern» machte.

Planer wie Hersteller setzen sich immer höhere Massstäbe in Sachen Energieeffizienz und -spaeren, und auch immer neue gesetzliche Richtlinien fordern von allen am Bau Beteiligten immer neue Denk- und Sichtweisen. So fordert momentan die novellierte EU-Richtlinie, dass ab 2021 Neubauten annähernd nur noch so viel Energie verbrauchen dürfen, wie sie erzeugen können. «Niedrigst­energie­haus» nennt sich dann, aber die Branche will sogar noch höher hinaus. Wunschziel von Ingenieuren und Technologen ist das Plusenergiehaus für jedermann, also nicht als Versuchsanordnung für eine solare Weltmeisterschaft, sondern ganz praktisch und pragmatisch im normalen Gebrauch durch die Familie Heinrich Durchschnnittsverbraucher.

Energieflüsse im Standardhaus, im Effizienzhaus Plus und im Effizienzhaus Plus mit Elektromobilität. (Abbildung: Werner Sobek Stuttgart, WSGreenTechnologies und ILEK)

Getestet wird dies zurzeit im sogenannten Effizienzhaus Plus in Berlin, das ganzheitlich von Werner Sobek aus Stuttgart sowohl als Hochschulprofessor wie auch als Ingenieur seines eigenen Planungsbüros entwickelt wurde. Seit März 2012 wohnt dort bis Sommer 2013 eine vierköpfige Familie und prüft die Systeme auf Herz und Nieren, im Einklang von Mensch und Technik. Obwohl: Testen ist aus Sicht der Familie eigentlich zu viel gesagt. Die Familie soll ganz normal wohnen, beobachtet allerdings von Ingenieuren und (auch das ist ebenfalls neu) von uns allen. Denn die Messwerte können jederzeit auf der Homepage des Projekts abgerufen werden, und auch wir Laien-Beobachter können im projekteigenen Blog erfahren, wie es sich wohnt als Tester im Effizienzhaus Plus in Berlin.

«Das Effizienzhaus Plus-Niveau ist erreicht, wenn sowohl ein nega­tiver Jahres-Primärenergiebedarf (ΣQp < 0 kWh/m²a) als auch ein nega­tiver Jahres-Endener­giebedarf (ΣQe < 0 kWh/m²a) vorliegen. Alle sonstigen Bedingungen der Energie­einspar­verordnung 2009 (EnEV) wie z. B. die Anforderungen an den sommerlichen Wärmeschutz sind einzuhalten.» So lautet die Begriffsbestimmung des Bundes­minis­teriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) zum Effizienzhaus Plus. Die Erzeugung der wertvollen Energie erfolgt beim Berliner Studienobjekt direkt am Gebäude hauptsächlich durch eine Photovoltaikanlage. Den Betrachter wird dies zunächst überraschen, denn die gewohnten und nicht besonders beliebten blau schimmernden Dachaufbauten sind auf den ersten Blick nicht zu finden. Die 171 m² PV-Module verstecken sich fast schon unbemerkt in der Südfassade und auf dem Dach. Möglich wird dies durch das Fassadensystem StoVentec ARTline, das mit Photovoltaik-Modulen bestückt wurde. Sie besitzen die gleiche Optik wie die bekannten Füllvarianten des bewährten Fassadensystems, die auf der Nordseite angebracht wurden, und tragen so zu einem einheitlichen Gesamtbild der Fassade bei. 
 

Im Berliner Effizienzhaus Plus sind sämtliche Energie-Analgen in einem «Energie-Herz» untergebracht, das den privaten vom öffentlichen Bereich trennt. (Abbildung: Werner Sobek Stuttgart, WSGreenTechnologies und ILEK)

Die PV-Module basieren auf einer dünnschichtigen CIS-Technologie (Kupfer-Indium-Diselenid), die auch bei Abweichungen des Ein­strahl­winkels von der Südausrichtung von bis zu 30° – also bei diffusem Licht – nur geringe Leistungsverluste bis zu 3% aufweisen. Der so erzeugte Strom wird dann in Lithium-Ionen-Batterien zwischengespeichert, der als Pufferspeicher dazu dient, den Eigen­nutzer­anteil vor Ort zu erhöhen und den Bedarf nutzungs­abhängig zu decken, sei es für die Waschmaschine oder das Elektrofahrzeug. Eine „smarte“ Steuerung regelt das komplette Energiemanagement in Gebäude und speist überschüssige Energie ins öffentliche Netz ein – einseh- und steuerbar über das hausinterne Touch-Panel oder über Smartphone. So soll der Strombedarf laut Prognose bei etwa 16.210 kWh/a liegen, der Stromertrag bei etwa 16.625 kWh/a – ein Plus also von 415 kWh. Gemessen daran, dass hier sogar die Energie für das Auto einberechnet ist, klingt das schon einmal sehr vernünftig. Warten wir also den Spätsommer im nächsten Jahr ab. Dann werden wir wissen, ob Daniel Düsentrieb und Heinrich Durch­schnitts­verbraucher in Berlin gut zusammen funktioniert haben.

Verbirgt sich in der Südfassade noch eine PV-Anlage (1. Bild), wurden das Fassadensystem an der Nordseite nur mit Glas, aber in derselben Optik wie an der Südseite bestückt. (Foto: Matthias Koslik, Berlin / Sto AG)
An der Strassenfassade können sich Interessierte an einem Bildschirm über das Haus und seine Eigenschaften informieren. Per Induktionsfeld können hier ausserdem die Elektofahrzeuge aufgeladen werden. (Foto: Ulrich Schwarz, Berlin, / Sto AG)
Über ein Panel kann das gesamte Gebäude samt Energiemanagement abgelesen und gesteuert werden. (Foto: Ulrich Schwarz, Berlin, / Sto AG)
Die Fassade aus StoVentec ARTline ist mit Argaffenhalterungen unsichtbar an der Unterkonstruktion aufgehängt. (Im Bild: StoVentec als wärmebrückenfreie Beispielkonstruktion)
Detailschnitt Südfassade mit Photovoltaik-Anlage
Schema des technischen Konzepts. (Abbildung: Werner Sobek Stuttgart, WSGreenTechnologies und ILEK)
Grundriss Erdgeschoss
Grundriss Obergeschoss
Lageplan mit Grundriss Erdgeschoss
Sto AG
Stühlingen, D

Projekt
Effizienzhaus Plus mit Elektromobilität
Berlin, D

Hersteller-Kompetenz
StoVentec ARTline
mit Photovoltaik

Architektur und Haustechnik
Werner Sobek Stuttgart und
Werner Sobek Green Technologies
Stuttgart, D

mit
Universität Stuttgart
Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK)
Stuttgart, D

Bauherr
Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS)
Berlin, D

Fertigstellung
2012

Fotonachweis
Matthias Koslik
Ulrich Schwarz

Projektvorschläge
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Progetto in primo piano

ZPF Ingenieure

Universitäts-Kinderspital Zürich, Akutspital

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