Ron Jacobs: «Zeitgemässe Architektur ist keine Einbahnstrasse mehr, die auf ein programmiertes Endstadium zusteuert»
Redaktion Swiss-Architects
4. luglio 2024
Ron Jacobs ist Project Sales Manager International bei Jansen. (Foto: © Jansen)
Das Schweizer Traditionsunternehmen Jansen gehört seit vielen Jahren zu den Förderern der EUmies Awards. Für Ron Jacobs, Project Sales Manager International bei der auf Stahlsysteme spezialisierten Firma, sind Architekturschaffende die treibende Kraft hinter menschen- und klimafreundlichen Bauprojekten.
Herr Jacobs, seit Jahren unterstützt Jansen die EUmies Awards und den zugehörigen Nachwuchspreis, den Young Talent Architecture Award (YTAA), die wichtigsten Architekturpreise Europas. Welche Philosophie steht dahinter?
Die Visionen junger Architekten, Stadtplaner und Landschaftsarchitekten geben uns eine Vorstellung davon, wie wir in Zukunft bauen, arbeiten, wohnen und leben könnten. Wir sind der Ansicht, dass junge Talente Projekte tendenziell mit einem anderen Blick angehen. Davon lassen wir uns gerne inspirieren und haben die Möglichkeit, mit jungen Talenten in den Dialog zu treten. Das Sponsoring-Engagement basiert auf unserer Philosophie «Architektur prägt die Stahlsysteme von Jansen und Jansen prägt die Architektur».
Welche Bedeutung haben die EUmies Awards für die Entwicklung der europäischen Baukultur?
Die EUmies Awards repräsentieren die Kreativität und ein neues Verantwortungsbewusstsein der Architekturbüros hinsichtlich des Klimawandels. Die gesamte Bauwirtschaft ist gefordert, nachhaltiger zu bauen, und in gewisser Weise ist es gar nicht so problematisch, dass Menschen ohne Fachwissen nicht alle nachhaltigen Prinzipien hinter guter Architektur verstehen: Architekten können als eine Art «Wegweiser» fungieren, die ihren Kunden eine mögliche Art der Nutzung eines Raums oder Gebäudes aufzeigen. Co-Working ist ein gutes Beispiel für diese Idee: Brauchen wir alle das gleiche Büro? Durch die gemeinsame Nutzung von Räumen können wir Material einsparen und auch Alternativen zum Eigentum aufzeigen. Wohnungen und Ateliers brauchen nicht unbedingt alle eine Küche oder ein Esszimmer – oder einen Parkplatz vor dem Haus. Die Menschen sind oft bereit, Räume anders zu nutzen, wenn Architekten durch ihr Design Alternativen anbieten. Die private Situationen eines Menschen verändert sich naturgemäss im Laufe seines Lebens. Wenn ein Haus flexibel ist und je nach Lebenssituation der Bewohner wachsen oder schrumpfen kann, ist es mit Sicherheit von Architekten entworfen, die viel von sozialer Nachhaltigkeit verstehen.
In diesem Jahr geht der Hauptpreis für das Studierendenhaus der TU Braunschweig an die deutschen Architekten Gustav Düsing und Max Hacke. Den Emerging-Architecture-Preis gewinnt das spanische Büro SUMA Arquitectura, das die Bibliothek Gabriel García Márquez in Barcelona gestaltet hat. Was hat Sie an diesen beiden Projekten am meisten beeindruckt?
Bei der Bibliothek von Gabriel García Márquez in Barcelona ist es die Fülle des gefilterten Tageslichts, das durch die Fassaden der spielerisch gestapelten Bücher einfällt; und die Möglichkeit, den Raum, in dem man sich befindet, durch den Einsatz von Vorhängen zu verändern: Man öffnet sie, wenn man sich mit anderen Lesern austauschen möchten, und zieht sie zu, will man äussere Einflüsse filtern. Darüber hinaus begeistert mich die soziale Funktion des Gebäudes, das viel mehr bietet als nur eine Bibliothek zu sein. Die Menschen vor Ort können das Gebäude für gesellschaftliche Veranstaltungen und dergleichen nutzen.
Die Stahlkonstruktion der TU Braunschweig ist für einen Stahl-Fanatiker wie mich reine Poesie. Sie sieht sehr leicht aus und bietet Flexibilität in der Organisation der Räume durch ein vermeintlich sehr einfaches Raster, das oft schwer zu entwickeln ist. Das Studierendenhaus leistet genau das, was man heute von einem neuen Gebäude erwartet. Es ist auf eine «offene» Art und Weise konzipiert, die eine künftige Wiederverwendung erleichtert. Ein sehr wohlverdienter Finalist!
Für den erklärten «Stahl-Fanatiker» Ron Jacobs ist die filigrane Konstruktion des Studierendenhauses der TU Braunschweig poetisch. Das Projekt wurde mit dem EUmies Award ausgezeichnet, Europas wichtigstem Architekturpreis. (Foto: © Jansen)
Was haben Sie die beiden Bauten über Architektur gelehrt?
Eine neue Generation von Architekten übernimmt die Verantwortung dafür, wie wir (öffentliche) Gebäude wahrnehmen und nutzen müssen. Zeitgemässe Architektur ist keine Einbahnstrasse mehr, die auf ein programmiertes Endstadium zusteuert. Sie lädt auch den Nutzer ein, sich zu engagieren und die Möglichkeiten, die sie bietet, zu erkunden, da das Gebäude oft für mehr als einen Zweck entworfen wird. Man kann von allen Vorteilen des Tageslichts profitieren und sich als Nutzer entspannt fühlen. Zugleich regt gute Architektur zum Nachdenken über Materialität und Nachhaltigkeit an.
Die Bauwirtschaft steht gerade vor grossen Herausforderungen: Das Bauen muss rasch umweltfreundlicher werden, viele fordern, am besten gar nicht mehr neu zu bauen. Gleichzeitig mangelt es aber gerade in Europas Grossstädten an bezahlbarem Wohnraum. Ein intensiver Architekturdiskurs ist wichtiger denn je, um gute Lösungen zu finden. Was kann Jansen tun, um ihn zu fördern?
Wenn man bedenkt, dass wir kein grosser Akteur im Wohnungsbau sind, können wir dennoch einen Beitrag zu diesem Diskurs leisten. Als Experte für Stahlsysteme können wir materialeffiziente Lösungen anbieten, die leicht und schlank sind und daher gleichzeitig eine optimale Tageslichtnutzung und einen hohe Dämmwerte ermöglichen. Wir sehen unsere Systeme bei der adaptiven Wiederverwendung alter Industriegebäude, die zu gemischt genutzten Gebäuden umgebaut werden. Der eigentliche Vorteil ist dabei die Flexibilität des Materials Stahl. Obwohl der Lebenszyklus unvergleichlich ist, können wir unsere Konstruktionen «nebenbei» modernisieren und umgestalten. Ich denke, in Zukunft wird es darauf ankommen, dass wir noch häufiger und gezielter mit Architekturbüros, Universitäten und Nutzern interagieren.
Wie trägt Jansen heute zum Gelingen der Bauwende bei?
Der Werkstoff Stahl ist zu 100 Prozent recyclebar und kann praktisch unbegrenzt wiederverwertet werden. Bereits heute haben wir eine Lieferkette, die für den von uns eingesetzten Stahl einen Wert von 1.6 kg CO2e pro kg ausweist. Damit ist das von uns eingesetzte Material zum Beispiel ungefähr um den Faktor vier klimafreundlicher als konventionelles Aluminium. Dennoch müssen auch wir uns anstrengen, diese bereits sehr guten Wert weiter zu senken. Auch bei der Recyclingquote gibt es für uns noch einiges zu tun, diese wollen wir sukzessive erhöhen. Unser Kerngeschäft ist ursprünglich auf Stahl aufgebaut; der eigentliche Vorteil ist seine Wiederverwendbarkeit. Am Markt weniger bekannt ist vielleicht die Tatsache, dass wir auch ein wichtiger Akteur im Bereich der Geothermie sind und mit Connex ein Holz-Fenstersystem anbieten.
Viele Ihrer Produkte im Bereich Fenster, Türen und Fassadensysteme bestehen zu grossen Teilen aus Metall und Kunststoffen. Wie können Sie diese Bauteile umweltfreundlicher machen?
Durch die Einführung eines Wartungsdienstes zur Verlängerung des Produktlebenszyklus – auf diese Weise bleiben sie länger in der Nutzungsphase. Wenn das Ende der Lebensspanne erreicht ist, müssen wir unsere Elemente und Materialien zurücknehmen. In dieser Hinsicht stimme ich zum Beispiel mit den jungen deutschen Architektinnen Margit Sichrovski und Kim LeRoux völlig überein.
Die beiden meinen, wir bräuchten neue Geschäftsmodelle, damit sich in der Baubranche eine funktionierende Kreislaufwirtschaft etablieren kann. Hersteller müssten künftig, wie Sie es gerade erwähnt haben, den ganzen Kreislauf mitdenken, ihre Produkte zurücknehmen, auffrischen und von Neuem anbieten. Doch wie schnell lassen sich solche Ideen realisieren?
Der schwierigste Teil dieses Übergangs besteht darin, ein Geschäftsmodell zu finden, mit dem wir uns neue Einnahmequellen erschliessen können. Die Idee, Fassade als Dienstleistung oder Leasing-Produkt aufzufassen, ist schnell in den Raum gestellt, aber so etwas in die Tat umzusetzen, ist eine andere Sache. Es scheint mir sinnvoll, sich auf Projekte mit Architekten einzulassen, die in diesem Bereich besonders engagiert sind. In unserem Netzwerk gibt es bereits viele gleichgesinnte Gestalter, die sich der Herausforderung stellen und ihr Wissen in die Praxis umsetzen. Wir können unsere Kräfte bündeln und gegenseitig von unseren Erfahrungen profitieren. Dann können nächste Schritte angegangen werden – es ist Zeit, zu handeln, und ich bin dabei!
Können Sie ein Beispiel geben, wie Sie mit Architektinnen und Architekten zusammenarbeiten, um zukunftsfähige Bauprojekte zu entwickeln?
Da fallen mir zwei Beispiele ein, die relevant sind. Eines ist der Gare Maritime in Brüssel: Vor unserem ersten Gespräch mit Neutelings Riedijk aus Rotterdam nahmen wir an, es gehe einfach um eine schöne Renovierung eines ikonischen Logistikzentrums aus dem Jahr 1920. Doch die Architekten sagten uns, dass sie so viele «offene Verbindungen» wie möglich für die Stahl-Glas-Fassaden wollten, um sie in Zukunft besser demontieren zu können. Das lag gar nicht so weit ausserhalb unserer Komfortzone, wie man vielleicht denken würde. Wir haben diese Möglichkeit schon seit Jahrzehnten in unserem Repertoire, doch bisher wurde sie zu selten nachgefragt. In Brüssel war das Ergebnis ein sehr wandlungsfähiges und zukunftsorientiertes Gebäude. Und wissen Sie was? Das Projekt figurierte 2022 auf der EUmies-Award-Liste. Auch die Jury wusste das Potenzial dieser adaptiven Umnutzung ganz offensichtlich zu schätzen.
Noch radikaler und zum damaligen Zeitpunkt völlig ausserhalb unserer Komfortzone war ein Projekt von Superuse Studios. Die Architekten baten uns ausdrücklich um Fassadenprofile aus wiederverwendeten oder überschüssigen Beständen. Interessanterweise haben wir die entsprechenden Profile recht schnell gefunden, denn wir verfügen über ein Netzwerk von Tausenden Industriepartnern mit Lagern und Werkstätten. Es gibt so viel Material, das man in dieser Hinsicht verwenden könnte. Das Einzige, was wir tun müssen, ist, die Punkte zu verbinden und Re-Use in unser Geschäftsmodell zu integrieren. Um das Bauen mit gebrauchten oder überschüssig produzierten Teilen zu einem Erfolg für alle Beteiligten zu machen, müssen wir unsere gesamte Wertschöpfungskette neugestalten. Sie werden erstaunt sein, wie oft dies bereits umgesetzt wird – und oft geht die Initiative dazu von Architekturbüros aus. Wir können mit Sicherheit sagen, dass die Zukunft des Baugewerbes bereits begonnen hat.