Philippe Block: «Alle am Bau Beteiligten müssen endlich ihre Verantwortung als Gemeinschaft wahrnehmen und sich engagieren!»
Katinka Corts
23. agosto 2024
Philippe Block (Foto: Elisabeth Real)
Philippe Block leitet das Institut für Technologie in der Architektur (ITA) der ETH Zürich. Gemeinsam mit den Lehrstühlen der Professorinnen Catherine De Wolf und Jacqueline Pauli sowie des Professors Walter Kaufmann hat er die IASS-Konferenz 2024 organisiert, die auf dem Hönggerberg stattfindet.
Herr Block, es ist eine wirklich grosse Konferenz, die Sie hier an der ETH geplant haben. Sie erwarten rund 600 Gäste aus aller Welt. Was zieht so viele Leuten an?
Das Symposium der IASS (International Association for Shell and Spatial Structures) ist eine historische Konferenz, erstmals gab es sie im Jahr 1959. Besonders ist, dass es eine sehr integrative Gemeinschaft von Tragwerksplanenden aus der ganzen Welt ist. Hier werden Leute aus Wissenschaft und Praxis zusammenkommen, um ihre Innovationen zu teilen. Die IASS-Konferenzen haben immer neue Ideen willkommen geheissen. Hier treffen junge Studierende auf Staringenieur*innen von Welt.
Die letzte IASS-Konferenz war in Melbourne, und in der Covid-Zeit fand auch kein vergleichbarer Anlass statt. Während wir normalerweise mit um die 300 bis 400 Leuten rechnen, merken wir dieses Jahr schon, dass sich die gesamte Gemeinschaft wiedersehen will – wir mussten die Anmeldungen sogar begrenzen.
Das Programm läuft über die gesamte Woche und ist sehr vielfältig gestaltet. Zudem ist allein schon die Tatsache, dass die Konferenz am Campus Hönggerberg stattfindet, mit all seinen Departements, ein Must-see für viele.
Ich denke auch, dass der Reiz am Ort Zürich für viele auch darin liegt, dass es hier eine Menge Innovationen im Bereich der Tragwerksplanung und in Verbindung mit der Fertigung gibt. Vom Programm her wird es über den Schweizer Schalenbauingenieur Isler eine grosse Ausstellung geben. Die Ausstellung «Heinz Isler Models» basiert auf der Doktorarbeit von Giulia Boller. Sie hat seine Arbeit nicht aus einer historischen oder archivarischen Perspektive analysiert, sondern mehr auf der strukturellen Design-Ebene. Zusätzlich finden Workshops am ersten Wochenende statt, und es gibt nach dem letzten Konferenztag einen ganzen Tag mit technischen Führungen zu Beton- und Holzanwendungen.
Die Einheit HiLo am Forschungsgebäude NEST in Dübendorf. Digitaler Betonbau trägt zur Senkung der Schadstoffemissionen und des Energieverbrauchs in der Gebäudestruktur bei. Zudem werden Bauabfällen reduziert und weniger Ressourcen verbraucht. Die Integration fortschrittlicher Bausysteme in Leichtbaustrukturen ermöglicht einen energieeffizienten Betrieb und hohen Nutzerkomfort. (Foto: Roman Keller)
Im Programm haben Sie «NCCR DFAB Local Heroes» als Thema benannt. Was hat es damit auf sich?
Organisatorin des diesjährigen IASS ist der Nationale Forschungsschwerpunkt (NFS) Digitale Fabrikation (DFAB). In der Session NCCR DFAB Local Heroes bitten wir Forschende des NFS DFAB auf die Bühne, die mit ihren Projekten und ihrem Einsatz zu Vorbildern innerhalb der digitalen Fabrikation geworden sind. Wir werden einige wichtige Highlights unserer Arbeit zeigen. Immerhin halten sich die Gäste hier mehrere Tage auf und sollen auch ein wenig hinter die Kulissen schauen können. Also wird es zum Beispiel einen Vortrag zu dem wirklich spektakulären Dach hier im HIB-Labor geben, genauso wird der Versuchsbau NEST der EMPA (Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt) thematisiert. Im Rahmen des Programms können die Gäste unsere Arbeit kennenlernen.
Ich kann mir gut vorstellen, dass es Ihnen und den Verantwortlichen nicht leichtfiel, aus all den eingereichten Papers jene fürs Programm auszuwählen.
Nun ja, da ist die IASS wie schon gesagt ein Sonderfall, weil auch weniger ausgereifte Forschung einen Platz haben darf. Wir haben die Einreichungen in Arbeitsgruppen gefiltert, damit wir ein möglichst breites Spektrum der Fachgebiete abdecken können. Schlussendlich sieht es so aus, dass wir um die 400 Beiträge in den vier Tagen präsentiert bekommen, manche kürzer, manche länger. Es ist schliesslich auch Realität, dass man an vielen Universitäten eine Präsentation vorweisen muss, um Fördergelder zu bekommen – natürlich wollen wir dem nicht im Wege stehen.
Die Struktur der unbewehrten Betondecke besteht aus einem dünnen Gewölbe, das durch Wände an der Aussenseite versteift wird. Die Decke wird durch Zuganker vervollständigt, die die horizontalen Schubkräfte der Seilschale aufnehmen. Gebaut im Projekt NEST HiLo, 2021 (Foto: Roman Keller)
Für junge Forschende ist es ja auch eine grossartige Möglichkeit, mit anderen zusammenzukommen und Rückmeldung auf die eigene Forschung zu bekommen. Zugleich schaffen andere Konferenzbeiträge die Verbindung in die Vergangenheit, hin zu historischen Persönlichkeiten aus der Ingenieurswelt.
Ja, genau. Unter dem Thema «Reimagining and Redefining the Art of Structural Design» beziehen wir uns auch auf das Schweizer Vermächtnis von Grössen wie Menn, Isler und Maillard, über das David P. Billington in «The Art of Structural Design: A Swiss Legacy» schrieb. All diesen Baumeistern waren Kosteneffizienz, Materialeinsparung und Eleganz wichtig in ihrem Werk. Für mich ist es bemerkenswert, dass dies ein Begriff war, den Ingenieure schon früh verwendeten, um ihrer Struktur Bedeutung zu verleihen.
Auch deshalb haben wir die Konferenz um die Themen Umwelt und Ethik ergänzt. Umwelt ist mit dem offensichtlichen Einfluss unserer Branche auf das Klima klar. Mit der Ethik möchte ich provozieren: Ich glaube nicht, dass es fünf vor 12 ist, sondern schon fünf nach 12, wenn es um all diese Umweltthemen geht. Und dass Ingenieure, speziell Tragwerksplaner, nicht länger in einer passiven Rolle bleiben können und vielmehr handeln müssen. Alle am Bau Beteiligten müssen endlich ihre Verantwortung als Gemeinschaft wahrnehmen und sich engagieren!
Als Keynote Speaker, darunter Anupama Kundoo, Laurent Ney und Mariam Issoufou, haben wir Persönlichkeiten eingeladen, die diese Verantwortung bereits übernehmen. Natürlich geht es bei den Vorträgen dann mal mehr um Ethik, mal mehr um die Umwelt oder eher um die Eleganz. Das ist auch gut so, denn alle haben einen unterschiedlichen Hintergrund, der uns Zuhörer*innen die grosse Vielfalt des Themas zeigen wird.
Keynotes Speakers in Leserichtung: Mariam Issoufou, Laurent Ney, Anupama Kundoo, Neil Thomas MBE, Professor Dame Sarah Springman and John Ochsendorf (© IASS 2024)
Das ist gut nachvollziehbar und klingt interessant. Aber was konkret die Themen Ethik und Wirtschaft betrifft: Sie haben Teilnehmer aus der ganzen Welt – da ist Ethik ein ziemlich weites Feld. An einem Ort ist Material günstig, in einem anderen Land kostet die menschliche Arbeitskraft fast nichts. Wie findet man in diesem Kontext ein Gleichgewicht oder ein gemeinsames Verständnis davon, was ethisch ist?
Das ist genau der Punkt, über den wir nachdenken müssen, ja. Was bedeutet es, in verschiedenen Kontexten zu handeln und verantwortungsvoll sowie wirtschaftlich zu sein. Ich denke, es ist besonders für die IASS-Gemeinschaft wichtig, darüber nachzudenken.
Das IASS wurde ursprünglich als International Association for Shell Structures gegründet. Auf der ersten Konferenz stellte Heinz Isler seine allerersten Ideen für Schalenbauten vor, noch bevor er überhaupt berühmt war. Auch Candela gehörte zu dieser Gemeinschaft, und heute kommt die nächste Generation von jungen Schaffenden bei uns zusammen. Hier werden sich Leute treffen, die nicht einfach nur Balken entwerfen, sondern sich für Raumkonfigurationen interessieren. Man kann sicher sagen, dass sich die Nerds der Szene treffen, die hoch spezialisiert sind, ihre Arbeit reflektieren und diese in ein grösseres Ganzes einbringen wollen.
Heinz Isler, Studien zur Formfindung für den Sicli-Pavillon, 1968 (Foto: gta-Archiv / ETH Zürich, Heinz Isler)
Das lässt mich an Erfahrungen aus Architekturveranstaltungen denken, bei denen ich in der Vergangenheit war. Immer wieder überkam mich das Gefühl, dass sich bei solchen Anlässen Menschen treffen, die sich der Probleme schon sehr bewusst sind. Müssten das Wissen und das Bewusstsein nicht aber viel mehr in die Breite getragen werden, um zum Beispiel Forschung im Bauwesen bekannter zu machen?
Das ist so, ja, manchmal sind bei solchen Anlässen schon «die Bekehrten unter sich». Viele der Teilnehmenden lehren jedoch auch, und sie tragen das Wissen in die nächste Generation. Grundlagen im Ingenieurbereich zu vermitteln, ist vielleicht nicht so spektakulär, aber es ist wahrscheinlich eines der wirkungsvollsten Mittel, um wichtige Begriffe zu verankern und Denkanstösse zu geben. Denn klar ist: Selbst die Vermittlung von Grundlagen gibt uns grosse Verantwortung und jedem sollte bewusst sein, dass das nicht mehr wie vor 10, 20 oder 50 Jahren geschehen kann.
Wann würden Sie die Konferenz im Nachhinein als gelungen betrachten, worüber würden Sie sich freuen?
Ich hoffe einfach, dass wir ein breites Bewusstsein in den jungen Leuten wecken können. Sei es durch die Präsentationen der Papers oder die Hauptredner, die absolut inspirierend sind. Und wir nutzen das schöne Zürich und den aufregenden Campus dafür, Menschen zusammenzubringen. Lasst uns sicherstellen, dass wir all diese Treffen und einen spannenden Austausch haben können! Dann werden die Teilnehmenden auch mit neuen Gedanken und Ansätzen nach Hause zurückkehren und das Wissen weiterverbreiten können. Wenn wir das bei ein paar von ihnen erreichen, dann denke ich, dass wir sehr erfolgreich waren.
Das IASS-Symposium 2024 findet an der ETH Zürich statt. Die 1855 gegründete Universität ist die Alma Mater von Ingenieuren wie Carl Culmann, Othmar Ammann, Robert Maillart, Heinz Isler, Christian Menn, Santiago Calatrava oder Joseph Schwartz. Sie nimmt bis heute eine Spitzenposition in der Tragwerksforschung ein. Gastgeber des Symposiums ist das DFAB, der Nationale Forschungsschwerpunkt Digitale Fabrikation.