Gefüge Europaallee in Buchform
Susanna Koeberle
5. dicembre 2021
Blick auf die Europaallee aus der Ferne (Foto © Philip Heckhausen: «Aus der Ferne»)
«Gemisch Gefüge 76 Ginkgos» ist ein umfassendes, gut gestaltetes und spannendes Buch, das Entstehung und Istzustand der Europaallee dokumentiert. Es zeigt, wie Text, Fotografie und fachliche Aufarbeitung aufs Schönste koexistieren können.
Über die Europaallee wurde schon viel geschrieben und auch schon viel geschnödet. Das Projekt sei gescheitert, hiess es vielfach pauschal. Die unterschiedlichen Bewertungen dieses Grossprojekts des privaten Investors SBB Immobilien kamen auch an der Präsentation von «Gemisch Gefüge 76 Ginkgos» anlässlich des Architekturbuch-Festivals bei Never Stop Reading zur Sprache. Caspar Schärer, der Herausgeber des Buches und seines Amtes Generalsekretär des BSA, unterhielt sich mit der NZZ-Autorin Sabine von Fischer sowie mit Stefan Kurath, der ebenfalls ein Buch präsentierte. Auch das Publikum beteiligte sich am Gespräch. Dabei wurde vor allem das Thema öffentlicher Raum diskutiert, also die Frage, wie die Bewohner*innen und Passant*innen dieses neu gestaltete Stück Stadt nutzen und es sich aneignen. Schärer ist ein aufmerksamer Beobachter der Europaallee und berichtete von seinen positiven Erfahrungen mit diesem städtischen Raum, den er als unabgeschlossen bezeichnete. Denn auch der Abschluss des letzten Baufeldes ist nicht das letzte Wort in diesem Diskurs. Jeder neue Ort braucht schliesslich eine gewisse Zeit, bis er angenommen wird. Das ist wohl gerade im doch eher konservativen Zürich besonders ausgeprägt der Fall, wo sich der Reflex neu gleich schlecht relativ unreflektiert und rasch einstellt – dies notabene aus ganz unterschiedlichen Motiven. Es liegt in der Natur des Menschen dem Unbekannten mit einer gewissen Skepsis zu begegnen trotz der Tatsache, dass Neuanfänge durchaus auch Gutes haben können.
Wie wird der Raum genutzt? (Foto © Corina Flühmann: «Mittendrin»)
Nichtsdestotrotz darf man nicht beschönigen, dass sich bei der Europaallee primär die kapitalistische Verwertungslogik manifestiert und dem Spontanen und Informellen wenig Platz eingeräumt wurde. Alles in diesem Raum sei doch determiniert, hiess es denn auch aus dem Publikum. Doch geschieht eine Aneignung durch die Nutzer*innen nicht automatisch? Die grosse Frage dabei ist, was Architektur dazu beitragen kann. Muss das Poröse und Durchlässige schon im Entwurf angelegt sein? Was können Planer*innen tun, damit die Stadt nicht vollends dem Kommerz zum Opfer fällt? Welche Überlegungen müssen sie anstellen? Inwiefern ändern sich diese Fragen angesichts von Pandemie und Klimakrise?
Eine dritte Perspektive schafft eine umfassende Sicht auf den neuen Stadtteil. (Foto © Philip Heckhausen: «Von innen heraus»)
Die Europaallee sei ein Kind ihrer Zeit, meinte Schärer gleich zu Beginn der Debatte. Heute würde oder müsse man das Thema Asphalt oder Begrünung vielleicht anderes angehen. Sogar der «Vater» des Masterplans der Europaallee, Kees Christiaanse vom Büro KCAP, steht der Versiegelung der öffentlichen Fläche mit Asphalt kritisch gegenüber, wie man in der Publikation nachlesen kann. Demgegenüber kontert Peter Noser (Amt für Städtebau), dass Asphalt als neutrale Fläche auch seine Vorzüge habe. Im Buch kommen verschiedene Protagonist*innen zu Wort – sowohl in Form eines Gesprächs als auch mit Beiträgen. Ein historischer Abriss des HB-Areals kontextualisiert das heute abgeschlossene Projekt, mehrere Texte nehmen auch kritische Aspekte auf. Drei Bildstrecken erweitern unseren Blick aus drei unterschiedlichen Perspektiven und auch die Illustrationen der Künstlerin Maria Pomiansky tragen zum Fokus auf die Menschen bei, die an der Europaallee arbeiten. Im letzten Teil der Publikation geben detaillierte Pläne der Baufelder einen präzisen Überblick über alle Bauwerke. Die grafische Gestaltung von Elektrosmog ist aufgeräumt und ungewöhnlich zugleich. Auch die grössten Kritiker*innen des viel diskutierten Stadtteils sollten sich dieses Buch zu Gemüte führen. Es ist ein Baustein zur Förderung einer sachlichen Auseinandersetzung, an der nicht nur die Auftraggeberin (die SBB) Interesse haben sollte.
Gemisch Gefüge 76 Ginkgos. Europaallee Zürich
SBB AG und Caspar Schärer (Hrsg.)
215 x 300 Millimeter
218 Pagine
181 Illustrations
Hardcover
ISBN 9783038602118
Park Books
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