Eine Hochschule für alle und eine Genossenschaft – die Sieger des EU Mies Awards

Elias Baumgarten
27. aprile 2022
Das Kollektiv Lacol, zu dem 14 Mitglieder aus unterschiedlichen Disziplinen gehören, gewinnt mit seiner Genossenschaft La Borda in Barcelona den Nachwuchspreis des EU Mies Awards. (Foto: Lluc Miralles)

 

Yvonne Farrell und Shelley McNamara, die Gewinnerinnen des Pritzker-Preises des Jahres 2020, surfen weiter auf einer Erfolgswelle: Nachdem die Gestalterinnen, die 2018 die 16. Architekturbiennale von Venedig kuratierten, voriges Jahr für ihr famoses Town House der Kingston University in London bereits den renommierten Stirling-Preis erhielten, werden sie für eben diesen Bau nun auch mit dem EU Mies Award geehrt. Dieser ist die höchste Auszeichnung für Architektur in der Europäischen Union und wird von der EU-Kommission und der Fundació Mies van der Rohe vergeben. Die Jury um Tatiana Bilbao wählte das Projekt aus nicht weniger als 532 Arbeiten von Gestalter*innen aus 41 Ländern aus. Es ist das erste Mal, dass der Preis für ein Hochschulgebäude verliehen wird. 

Das Town House ist ein Destillat der architektonischen, aber auch der sozialen und kulturellen Haltung des Büros Grafton Architects. Der Bau, der mit einer Bibliothek und Tanzstudios ein vermeintlich in sich widersprüchliches Programm aufnimmt, ist um eine Treppenanlage herum entworfen. Er bietet vielfältige Blickbeziehungen, die die Bibliothek mit den Übungsräumen für die Tänzer*innen verbinden. Der räumliche Reichtum der Architektur ist enorm. Es ist beeindruckend, mit welch spielerischer Leichtigkeit die Architektinnen die Räume miteinander verwoben haben. Das Bauwerk wartet mit vielen Begegnungsräumen auf, die immer wieder neu angeeignet werden können. Und vor allem ist das Town House, zu dem auch ein gemütliches Café, Ausstellungsflächen und sogar ein Theater gehören, viel mehr als «nur» ein Lernort: Studierende und Lehrer*innen sollen sich dort, wie der Name schon sagt, zu Hause fühlen.

 

Ähnlich wie der räumlich überaus reiche UTEC-Campus in Lima, bei dem Unterrichtsräume, Hörsäle, Labors und Büros, aber auch ein Theater und verschiedene Ausstellungsflächen übereinandergestapelt sind, bringt auch das Town House die Wertehaltung von Yvonne Farrell und Shelley McNamara in gebauter Form auf den Punkt. (Foto: Ed Reeve)
Foto: Dennis Gilbert
Für die Genossenschaft La Borda erhält das Team von Lacol den Nachwuchspreis. Das günstig erstellte Projekt überzeugte die Jury mit vielfältigen Gemeinschaftsräumen. (Foto: Institut Municipal de l’Habitatge i Rehabilitació de Barcelona)

Auch die Vergabe des Nachwuchspreises zeigt, dass die Jury nicht allein die architektonische und räumliche Qualität im Blick hatte, sondern überdies auch die soziale und politische Haltung hinter den Projekten, – wie dies in unlängst begrüssenswerterweise bei etlichen wichtigen Architekturpreisen der Fall ist. Sie zeichnete die Genossenschaft La Borda in Barcelona von Lacol aus. Das Haus verfügt über 28 Wohnungen, vor allem aber über vielfältige Räume für die Gemeinschaft. Dort kann man zusammen kochen, essen, die Wäsche versorgen, Velos reparieren oder einfach gesellig Zeit verbringen.

Möglich wurde das Projekt durch seine einfache Bauweise und die damit einhergehenden niedrigen Baukosten: Nur 840 Euro betragen diese pro Quadratmeter. Zum Vergleich: Beim Siegerprojekt von Yvonne Farrell und Shelley McNamara sind es umgerechnet 5267 Euro pro Quadratmeter. Für die Jury repräsentiert das Bauwerk des Teams, das 14 Mitglieder aus unterschiedlichen Disziplinen zählt, einen gelungenen Gegenentwurf zum profitgetriebenen Wohnungsbau unserer Zeit.

Die feierliche Preisverleihung wird am 12. Mai dieses Jahres im Barcelona-Pavillon von Ludwig Mies van der Rohe stattfinden.

 

Foto: Lacol

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