Zäune in der Stadt
Manuel Pestalozzi
23. agosto 2018
Vor der Belle Epoque waren Zäune aus kunstvoll verflochtenen Rundstäben en vogue. Baschligplatz, Hottingen, Zürich. Bild: Manuel Pestalozzi
Symbolisch aufgeladen und irgendwie politisch nicht ganz korrekt – Zäune sind als Stadtmobiliar umstritten. Doch sie schotten nur bedingt ab und haben ein ästhetisches Potenzial.
Auslöserin für diesen Hintergrundartikel war eine historische Aufnahme vom oberen Ende der Schmelzbergstrasse in Zürich aus dem Jahr 1910. Mit der Strasse endete damals auch die Stadt: Hinter ihr lag der unbebaute Hang des Zürichbergs, wo damals noch die Landwirtschaft das Primat hatte. Die zwei Gevierte, welche die Strasse fassen, sind urbane Vorposten. Luftaufnahmen des Ballonfahrers Spelterini von damals bestätigen das. Die Häusergruppen scheinen völlig von Eisenzäunen umschlossen zu sein, was ihren insularen Charakter bekräftigt und zu einer klaren Abgrenzung zwischen öffentlich und privat führt.
Schmelzbergstrasse an der Kreuzung mit der Hochstrasse im Jahr 1910. Bild: Baugeschichtliches Archiv Stadt Zürich
Die fast militärisch-strategisch anmutende Einfassung, welche in diesem Fall aus der Strasse erst eine richtige rue corridor macht, ist faszinierend; einerseits schafft sie Klarheit und eine straffe, deutlich sichtbare Ordnung. Andererseits manifestiert sich mit ihr auch eine starke räumliche Hierarchisierung. Man wundert sich, ob es neben den damaligen Moden und Konventionen beim Bauen auch andere, praktischere Gründe für diese starke Grenzziehung gab. Wenn man sich aufs Spekulieren verlegt, dann denkt man an die Nutztiere, die in der Nachbarschaft wohl zahlreich waren. Die wollte man sicher nicht im eigenen Vorgarten herumtrampeln sehen! Und potenziellen Einbrechern wurde die Annäherung etwas erschwert.
Der Zaun dient bei den traditionellen georgianischen Reihenhäusern in London als Brüstung. Bild: Manuel Pestalozzi
Ein ländliches Element
Die Geschichte des Zauns in der Stadt wurde vermutlich noch nicht geschrieben. Doch es liegt, nahe, dass es sich von seiner Herkunft um ein primär ländliches Element handelt, welches nicht leicht überwindbare Grenzen setzt, im Vergleich zu massiven Mauern aber weniger Material beansprucht – und weitaus einfacher zu entfernen ist. In Städten erscheinen Zäune als später Import und bei Stadterweiterungen als Überbleibsel einer ländlichen Vergangenheit. Oder kennt jemand Darstellungen antiker Städte, in denen Zäune eine Rolle spielen? Städtische Zäune scheinen auch eher «nordeuropäisch» zu sein. Hier, im nördlichen Frankreich und Grossbritannien, wurden sie gewissermassen urbanisiert und durch den Wechsel von Holz zu Metall nobilitiert.
Bemerkenswert ist die absolut sachliche Anwendung von Zäunen bei den Georgian Terraces, den typischen Reihenhauszeilen, die in London ab dem 18. Jahrhundert entstanden. Da das Strassenniveau höher liegt als das gewachsene Terrain, ergibt sich ein Basement, das von der Strasse her über einen abgesenkten Hof direkt erschlossen ist. Deshalb war eine Absturzsicherung notwendig. Der Zaun garantiert sie, ohne die Tageslichtversorgung im Basement zu beeinträchtigen. Auffallend ist, dass die Zäune ausschliesslich diese abgesenkten Höfe einfassen und keine Torsituation für den Haupteingang bilden.
Die urbane Nobilitierung des Zauns lässt sich in Nancy, Frankreich, am Rand der Place Stanislas, bewundern. Bild: Archives municipales de Nancy
Durchlässige Schattenwerfer
In einer Schweizer Stadt wie Zürich sind Zäune in manchen Quartieren fast allgegenwärtig. In der historischen Perspektive weisen sie auf eine Durchdringung von Stadt und Land hin. Eine offizielle «Zaunkultur» lässt sich nicht wahrnehmen, die Grundtypen sind vergleichsweise bescheiden, manche könnten auch die Gemüsebeete eines Bauernhofs schützen. Bei öffentlichen Infrastrukturarealen kam lange ein grober Palisadenzaun aus Holz zum Einsatz.
In Zürich sind Zäune vielerorts im öffentlichen Raum präsent. Nicht selten stellen sie eine optische und bisweilen auch haptische Bereicherung dar. Vertikale Stäbe und Latten begleiten Gehsteige als Taktgeber, manchmal werfen sie ein Schattenbild auf seinen Belag und beleben mit dieser reflektierten Durchlässigkeit die Szenerie.
Irringersteig in Zürich, der Zaun rechts begrenzt ein stillgelegtes Wasserreservoir. Bild: Manuel Pestalozzi
Zäune sind in der urbanen Schweiz – anders als bei den erwähnten Terraces – als Begrenzung des öffentlichen Raums meistens Gartenzäune. Sie trennen Grünraum vom Strassenbelag und ordnen den Garten – oftmals nur ein schmaler Streifen – unmissverständlich der Liegenschaft zu, zu der sie gehören. Der Zaun schützt den Besitzstand und wird somit zum Symbol der bürgerlichen Welt und ihrer klaren Vorstellung von Eigentum. Sublimiert wird diese Botschaft durch das Gartentor. Es überhöht meistens das Design des Zauns und ist von diesem durch zwei massive, gemauerte oder aus Natursteinblöcken bestehenden «Pfosten» abgesetzt.
Gartentor an der Gloriastrasse, Zürich. Bild: Manuel Pestalozzi
Nach dem ersten Weltkrieg ging mit einem allgemeinen Stilwechsel in der Architektur auch eine Neubetrachtung des Zaun-Themas einher. Vermehrt wurden anstelle von Stäben und Latten Drahtstrukturen bevorzugt (s. die Villa Stein von Le Corbusier in Garches, Frankreich), teilweise in Kombination mit Hecken. Der Eindruck der Wehrhaftigkeit und des schwer überwindbaren Hindernisses wurde abgemildert – die Dominanz der palisadenartigen Vertikalen verschwand. Statt dem Zaun wurden Relings und Geländer bevorzugt.
Art déco macht aus dem Zaun eine Reling mit dahinter liegender Hecke. An der Bederstrasse in Zürich wird auf das Gartentor verzichtet. Bild: Manuel Pestalozzi
Ein Revival?
Ab der Mitte des 20. Jahrhunderts machte sich der Zaun als integrales Element der Architektur rar. Das klare Statement der Abgrenzung war offenbar zunehmend verpönt und galt wohl auch als spiessig. In Zürich war zu beobachten, dass da und dort die Zäune mittels Trennscheibe von ihrem Sockelmäuerchen weggefräst wurden, das Mäuerchen jedoch als diskrete Hemmschwelle erhalten blieb. Wo bei Neubauten doch ein Trennelement als notwendig erachtet wird, setzt man auf standardisierte «Drahtlösungen». Theoretisch könnten diese den Gestaltungswillen wecken, wie Frank O. Gehry mit seinen Maschenzaun-Experimenten in den 1980er-Jahren zeigte. Oft wirkt die Umsetzung aber willkürlich und steht nicht im Einklang mit der Architektur. In Zürich ist das beispielsweise bei der Grenze der Siedlung Brunnenhof von Gigon/Guyer zum Park beim Gemeinschaftszentrum Buchegg zu beklagen.
Ist der Zaun in der Stadt heute nur noch gut für ein ironisches Statement? Einfriedung im Gewerbegebiet Binz in Zürich. Bild: Manuel Pestalozzi
Mit der Verdichtung erhält der Zaun in der Stadt eine neue Relevanz. Im Grenzverlauf vage definierte Aussenräume, die einfach eine optimale Erreichbarkeit von Luft, Licht und Sonne versprechen, sind weniger bedeutend als auch schon. Die Abstände zwischen Verkehrsräumen und privaten Aussenzonen verringern sich. Dadurch steigt das Bedürfnis nach einer klaren, aber dennoch durchlässigen Trennung wieder.
Bei der Wohnüberbauung «Edeneins» beim Bahnhof Zürich-Giesshübel von Werknetz Architektur - Philipp Wieting trennt ein robuster Gitterzaun den Gartenraum von der Strasse ab. Bild: Manuel Pestalozzi
Stellt sich schliesslich die Frage nach dem angemessenen Zaunstil, soll es denn wirklich wieder ein Bedürfnis danach geben. Es ist davon auszugehen, dass sich heute niemand hinter Palisaden verschanzen will und auch eine Käfigwirkung nicht besonders erwünscht ist. Eine interessante aber wohl nicht ganz billige Lösung fanden Herzog & de Meuron für die hangseitige Begrenzung Luxuswohnsiedlung «Archi di Luce», eine Art Gated Community in Lugano-Castagnola: Ein Zaun aus zusammengeschweissten Kantrohrabschnitten grenzt die Häuser im Park der Villa Favorita von der Zufahrtsstrasse ab.