Wo sind die Vorbilder?

Jenny Keller
29. marzo 2012
Als Lux Guyer Mitte der Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts in Zürich ihr Architekturbüro einweiht, ist sie die erste selbstständig tätige Architektin der Schweiz. Foto: Beate Schnitter

Nicht alle Fragen konnten anlässlich der Diskussionsrunde am Tag der Frau beantwortet werden, und auch dieser Beitrag wird wohl mehr Fragen aufwerfen als Lösungen liefern. Es ist aber gut und wichtig, diese Fragen zu stellen und Diskussionen – vielleicht auch unbequeme – darüber führen, weshalb Frauen im Architekturberuf immer noch eine Minderheit darstellen.

Rahel Marti, Moderatorin und leitende Redaktorin bei Hochparterre, begann mit Zahlen:
43 Prozent der Studierenden an der Architekturfakultät der ETH seien Frauen. Der weibliche Anteil der Studierenden an den Fachhochschulen betrage 30 Prozent, und wenn man sich im Berufsalltag umsehe, sei Bauen doch immer noch eine sehr männliche Domäne. Was auch die Werbungen in den Architekturzeitschriften treffend unterstrichen. Tatsächlich: Eine Fachhochschule wirbt mit dem Portrait einer jungen Frau um künftige Studierende, und ein Lifthersteller zeigt einen etwas älteren Herrn mit gelbem Bauhelm auf der Baustelle in medias res. Der Frauenanteil im Architekturberuf beträgt auch in Tat und Wahrheit nur 12 Prozent (Stand aus dem Jahre 2000, dem Datum der letzten Volkszählung).


Entwerfen Frauen anders?
Die erste Frage an die Podiumsteilnehmerinnen lautete dann auch, ob das Frausein eine Rolle spiele im Berufsalltag. Elisabeth Boesch, die mit ihrem Mann ein Architekturbüro führt und zwei mittlerweile erwachsene Kinder hat, antwortete ganz dezidiert: «Eine Frau entwirft nicht anders!» Sowieso sei Architektur heute Teamarbeit. Einen Unterschied sieht sie aber darin, ob man angestellt oder selbstständig arbeite, sie beobachte, dass die Frauen sich die Selbstständigkeit und das Unternehmerische weniger zutrauten.

Kornelia Gysel, die eine Architektinnengeneration unter Elisabeth Boesch vertritt, erzählte, sie beobachte, dass männliche Kollegen sich im Gegenteil bei ihr beklagten, dass sie nicht dieselbe (fachliche) Anerkennung erhielten wie eine Frau. Die Männer fühlten sich fast schon benachteiligt, dass sie nicht dasselbe Lob erhielten wie die Frauen, beispielsweise nach einem Wettbewerbssieg. Genau dieses Beispiel zeigt, dass es immer noch ungewöhnlich oder speziell ist, wenn Frauen zum Bauen kommen!

Die Soziologin Christina Schuhmacher, die sich mit Genderfragen im Architekturberuf beschäftigt, erklärte, dass es in solchen Diskussionen nicht fruchtbar sei nach Differenzen zu suchen. Ebenso sollte man nicht mehr darüber reden, ob nun Architektur eine «harte» oder eine «weiche» Disziplin sei. Diese Unterscheidung bediene Stereotypen und sei deshalb überholt.

Im Arbeitsalltag nehme man dennoch Unterschiede wahr, vor allem wenn es sich um Sitzungen mit der Bauherrschaft handle, da spüre man nicht nur den Geschlechterunterschied, sondern auch den Altersunterschied plus manchmal – wenn man sich ein bisschen von der Stadt entferne – den kulturellen Unterschied, warf Kornelia Gysel ein.

Wohin verschwindet sie?
Bald schon wurde die Diskussion viel allgemeiner geführt, und man wurde sich in der Runde einig, dass es schlicht ein gesellschaftliches Problem sei, dass die Frauen im Berufsleben nicht mehr gleich präsent seien wie in Schule und Studium. In den Termini von Christina Schuhmacher handelt es sich dabei um formelle und kulturelle Gleichberechtigung, die (noch) nicht gleich gewichtet ist, wenn man von Familie und Kindern redet, und dabei die Frauen in einen Teilzeitjob zurückdrängt, sobald die Kinder da sind.

Elisabeth Boesch berichtete dann aus ihrem Alltag als Chefin von anderen Frauen und weiss aus Erfahrung, dass die Frauen in ihrem Büro den Beruf verlassen, weil sie keinen Spass haben an der Härte des Architektenalltags. Sie wolle niemanden 30 Prozent anstellen, weil das den Arbeitsalltag auseinanderreisse und man so nicht mehr seriös arbeiten könne. Nun wird der Ton etwas emotionaler und Anna Schindler, selbst Mutter dreier Kinder und in einer führenden Position tätig, bricht eine Lanze dafür, dass Frauen UND Männer teilzeit arbeiten können müssen. Das «Problem» des Familienmanagements könne man schliesslich nicht auf die Frauen abschieben.

Eigentlich sagt der Untertitel alles. Gary Cooper in King Vidors Film «The Fountainhead» (1949). Der umstrittene Film zeigt Cooper in der Rolle des toughen Architekten. Bild: strangeharvest.com

Zu viele Mythen und Bilder?
Christina Schuhmacher setzte sich dann auch dafür ein, dass man sich von Bildern löst wie zum Beispiel von dem, dass ein Architekt (!) durch und durch Architekt ist, seinen Beruf 24 Stunden ausübt und wie ein Künstler leiden muss, um kreativ zu sein. «Es gibt sachlichere Berufe, die weniger mit Mythen behaftet sind» erläuterte sie.

Genau das heroische Architektendasein wurde aber der Autorin als frische Architekturstudentin in der ersten Woche von Entwurfsprofessor Marc Angélil an der ETH eingebläut. Er sagte, dass wir fortan IMMER an unseren Entwurf denken sollten und würden, wenn wir dereinst gute Architekten sein wollten.

Christina Schuhmacher ist deshalb auch davon überzeugt, dass, wenn mehr weibliche Vorbilder vorhanden sind, auch das Denken der Studierenden umschlagen kann. Elisabeth Boesch relativierte ihre ein wenig harte Aussage von vorher damit, dass sie an die Frauen appellierte, sich mehr in Verbänden und anderen Netzwerken zu engagieren, eventuell auch ehrenamtlich, um beruflich vorwärts zu kommen. (Siehe auch weiterführende Links in der rechten Spalte).

Auf Anfrage aus dem Publikum erklärte sie später auch, wie sie und ihr Mann die Kinderbetreuung geregelt haben: Seit Beginn haben sie ein Kindermädchen gehabt. Das wiederum habe ihnen die Freiheit gegeben, auch mal länger zu arbeiten. Um das Kindermädchen zu finanzieren, haben die Boeschs dafür auf Fleisch, ein Auto und teure Ferien verzichtet.

Die Vorbilder gibt es also doch, aber sie unterstützen ihre Geschlechtsgenossinnen scheinbar ungenügend und sind deshalb nicht sichtbar, weil sie davon ausgehen, dass, wenn sie es geschafft haben, auch die anderen Frauen es schaffen können.

Margarete Schütte-Lihotzky soll eine der ersten Frauen in Österreich mit einem Abschluss in Architektur gewesen sein. Und für was wurde sie berühmt? Ausgerechnet für ihre Frankfurter Küche. Bild: Wikipedia.org

Mein Fazit: Kreativ sein!
Ein Mann aus dem Publikum (die Männer waren an dem Abend in der Unterzahl, was auch dafür spricht, dass diese Thematik mehr und intensiver angesprochen werden muss, denn es kann ja nicht sein, dass sich nur die Frauen dafür interessieren!), riet den Damen, strategischer zu kommunizieren, und wie er, nicht zu sagen, man hole sein Kind aus der Krippe ab um 17 Uhr, sondern man gehe noch an ein Meeting. Ob schwindeln die Lösung ist?

Ich selber gehöre ja ebenfalls zu den 72 Prozent, die zwar Architektur studiert haben, nun aber nicht bauen. Immerhin bin ich der Sparte nicht ganz untreu geworden, mein Interesse für die Architektur ist ungebrochen, ich beschäftige mich ja auch täglich damit. Nur habe ich beschlossen, nicht in einem Architekturbüro zu arbeiten. Weil mir die Passion fehlt, so viel zu opfern für einen Beruf, der wenig Anerkennung für viel Leistung bringt? Vielleicht.

Aber ob das jetzt typisch weiblich ist, wage ich zu bezweifeln, denn ich habe männliche Studienkollegen, denen es genauso geht, die heute Produktdesigner oder Projektleiter in einer Immobilienfirma sind. Ich bin der Meinung, dass wir heute kreativer sein müssen, wenn es darum geht, unsere Arbeitswelt zu gestalten, insbesondere in der Architektur. Neue Arbeitsmodelle müssen getestet werden und teilzeit arbeiten kann und muss anders gestaltet sein als von Montag bis Mittwoch zu Bürozeiten. Arbeitnehmer- und geberinnen müssen flexibler sein und mehr Vertrauen in- und zueinander haben. Nicht zuletzt müssen die Architekturbüros gute Rahmenbedingungen geben, wenn sie zukunfstfähig sein wollen. Die Arbeitnehmerinnen und -nehmer sollten ausserdem selbstbewusst genug sein, zu wissen, dass sie ihren Beitrag zu einer gebauten Umwelt auch in einem reduzierten Pensum leisten können.

Frauen in Architektur und Stadtplanung
Podiumsdiskussion am 8. März 2012

Mit Elisabeth Boesch, Architektin, Partnerin bei Boesch Architekten,
Kornelia Gysel, Architektin ua. von «Mehr als Wohnen», Partnerin bei Futurafrosch,
Anna Schindler, Direktorin Stadtentwicklung der Stadt Zürich,
Christina Schumacher, Professorin für Soziologie an der FHNW
Moderation: Rahel Marti, leitende Redaktorin Hochparterre

Weiterführende Links:
www.sia.ch/frau
www.paf-schweiz.ch
www.abap.ch

Weiterlesen:
Frauen im Baualltag: Eine Normalität? von Inge Beckel

Articoli relazionati

Progetto in primo piano

fotografie roman weyeneth gmbh

Wohnbauten

Altri articoli in questa categoria