Weiter geht's
Jenny Keller
20. dicembre 2018
Bild: Jens Herrndorff via Unsplash
Auf Instagram werden zur Zeit Tannenbäume, Festessen, Lametta und Champagner unter dem Hashtag #thistimeoftheyear gepostet. Diese Zeit des Jahres bietet sich aber auch für Rückblicke aller Art an, in diesem Fall wird es ein persönlicher.
Einen Baum habe ich noch nicht gepflanzt. (Oder doch, aber den Garten, wo der Baum steht hinter mir gelassen?) Bücher habe ich geschrieben, aber ein Haus habe ich noch nicht gebaut. Ich werde hoffentlich vor Weihnachten noch dazu kommen, das Puppenhaus für meine Tochter fertigzubauen. Worauf ich hinaus will: Ich finde, im Leben sollte man etwas hinterlassen, irgendeine Spur, eine Markierung (und nicht nur solche auf Social Media). Architektinnen und Architekten haben es da leicht, die Häuser, die sie bauen, bleiben stehen – wenn auch manchmal nur für eine bescheuerte und beschränkte Lebensdauer von 25 Jahren. Werner Sobeks Einschätzungen und Prognosen haben mich diesbezüglich schwer beeindruckt. Mein Interview mit ihm erschien am 24. Mai dieses Jahres.
Ich selbst hielt meine architektonische Begabung für zu gering, um so viel Stahl und Stein zu Sondermüll zu verbauen. Deshalb beschloss ich noch während dem Diplom an der ETH, «zu schreiben». Nach Praktikum, Freelance-Tätigkeit, einigen Jahren beim SIA und einem zweiten Masterstudium in «Vermittlung», fing ich bei Swiss-Architects an zu arbeiten und produzierte zuerst wöchentlich, dann bald fast täglich ganz viel Geschriebenes. Immer geprägt von der Haltung: «Architektur geht uns alle an». Mir fiel auf, dass der Diskurs über die gebaute Umwelt von einer kleinen Gruppe von Insidern (um die weibliche Form muss man sich hier nicht einmal bemühen) dominiert wird. Diese Insider sprechen eine eigene Sprache, haben eine spezifische Haltung und zelebrieren ihr Wissen, unverstanden und unverständlich für diejenigen ausserhalb des exklusiven Zirkels. Das ist falsch. Denn wir alle leben in einer gebauten Umwelt, sind tagtäglich mit Architektur konfrontiert und können ihr nicht ausweichen. In der Schweiz, wo Architektur längst mehr zu erfüllen hat, als Schutz vor Witterung, oder vor wilden Tieren, beeinflusst gute wie schlechte Architektur unser Leben, Denken und Handeln. Explodierende Immobilienpreise, verschwindende Kulturlandschaften und fehlende Freiräume betreffen uns alle. Nur mit dem nötigen Wissen können wir mitreden, Strukturen hinterfragen, sie allenfalls verändern und damit unseren Lebensraum verbessern. Verständliche Artikel banalisieren das nicht, sondern erreichen schlicht und ergreifend mehr Publikum.
Mir ging und geht es nicht um U statt E (eine Unterscheidung, die ich in der Bibliothek meines Vertrauens als Kind kennengelernt habe und noch immer nicht ganz begreife). Mit mir habe die Pop-Welt auf Swiss-Architects Einzug gehalten, schreibt Juho Nyberg, ich danke ihm für diesen Steilpass und möchte mir und der Leserschaft, die noch dabei ist, meinen Nachruf auf David Bowie als ein High-Light meiner Karriere in Erinnerung rufen. Eigentlich war der Artikel komplett artfremd – oder doch nicht? Die Klickzahlen bestätigten auf jeden Fall das Gegenteil, der Artikel war einer der meistgelesenen im 2016. Und weil man gehen sollte, wenn es am besten ist, habe ich mit dem Artikel «Macht, Missbrauch und Mangelhafte Kommunikation» erst kürzlich einen weiteren Beitrag verfasst, auf den ich stolz bin, und der eher der Kategorie E zugehört, wenn man denn in diesen Kategoerien denken will: Mit meinem Text über das totgeschwiegene Disziplinarverfahren an der ETH wollte ich meine Haltung demonstrieren (eine männerdominierte Architektur ist von gestern) und etwas erreichen. Und das habe ich. Die Klickzahlen dieses Artikels sind so hoch wie bei keinem anderen, ich erhielt sehr viele Rückmeldungen und erhalte sie immer noch. Das Hochparterre nimmt sich der Sache an, der SIA hat einen offenen Brief an die ETH verfasst und in der NZZ erschien ein Interview mit Philipp Ursprung zum unangenehmen Thema. Dabei muss man sagen, dass er sehr diplomatisch, wenn nicht ausweichend antwortet, aber immerhin!
Seit meinem Abschluss als Architektin an der ETH Zürich schreibe ich also gegen die Exklusivität des Architekturdiskurses an. Swiss-Architects war die ideale Plattform dafür. Ich vereinfache keine Tatsachen, aber ich verkompliziere sie auch nicht unnötig. Ich vermittle architektonische Inhalte so, damit man sie versteht. Mein Ansatz ist wohl eher feuilletonistisch denn technisch. Und zugegeben, gelesen werden meine Beiträge hier auch zum grossen Teil von einem Insider-Publikum, also von Architektinnen und Architekten. Aber gerade auch der Berufsstand selbst muss sensibilisiert werden, damit Nachhaltigkeit über Energie-Standards hinausreicht und man sich nicht hinter der Ausrede versteckt, Architekten hätten schon immer für die Elite, sprich einen kaufkräftigen Auftraggeber gebaut. Denn es kann nicht sein, dass man seine Aufträge nicht mehr hinterfragt, sondern einfach die maximale Ausnützungsziffer ausnützt und zehn Prozent Honorar verrechnet. Wir alle müssen Verantwortung übernehmen, Dinge hinterfragen und Mut beweisen.
Neues ereignet sich nur, wenn man Altes hinter sich lässt. In diesem Sinne habe ich nach bald acht Jahren Tätigkeit bei Swiss-Architects beschlossen, neue Wege zu gehen. Wohin die führen, weiss ich selbst noch nicht genau. Manchmal muss man zuerst eine Türe schliessen, damit eine andere sich öffnet. Meiner Leserschaft danke ich für die Treue. Auf Wiedersehen.