Tissu mélangé, oder: das Gewebe aufwerten Ouest lausannois: Wakkerpreis-Träger 2011

Inge Beckel
20. giugno 2011
Place du Marché in Renens bei Sonne, ein aufgewerteter öffentlicher Platz westlich von Lausanne (Bild: heimatschutz.ch) 

Vielleicht war das Wetter symptomatisch für den Preis, denn das gewürdigte Gebiet zeichnet sich heute mehrheitlich gerade nicht als lieblichen Ort aus, vielmehr als in der Regel unwirtliche, raue, ja zuweilen hässliche Flecken Stadtlandschaft. Doch ist der Entscheid der Verantwortlichen aus dem Schweizer Heimatschutz (Info hier) ein mutiger und zugleich sehr guter Entscheid, denn Ouest lausannois steht exemplarisch für die Herausforderungen in den Agglomerationen der Schweiz – und wohl auch anderswo – der kommenden Jahre und Jahrzehnte. Ouest lausannois, zu Deutsch Lausanne West, umfasst geografisch Boden von neun politischen Gemeinden: Bussigny, Chavannes, Crissier, Ecublens, Prilly, Renens, St-Sulpice, Villars-Ste-Croix und Lausanne. Ausgezeichnet wird dabei also nicht primär der heutige Zustand dieser Ortschaften, sondern die Vision, die alle Beteiligten aus Politik und Planung haben, wie sich das Gebiet städtebaulich und atmosphärisch zu entwickeln hat. Drei Ansätze stehen dabei im Vordergrund: Verdichtung sowie Freiräume, Durchmischung und schliesslich öffentlicher sowie Langsam-Verkehr.

Verdichtung und Freiräume

Das für die Aufwertung und Revitalisierung des Entwicklungsgebiets verantwortliche Team arbeitet im Büro des Schéma directeur de l'Ouest lausannois, genannt SDOL, zusammen, die Projektleiterin ist Ariane Widmer, eine in der Romandie längst heimisch gewordene ehemalige Deutschschweizerin. Unterstützt wird das SDOL durch das Büro von Feddersen & Klostermann aus Zürich. Das durch das SDOL betreute Entwicklungsgebiet Ouest lausannois soll bis 2020 um 30'000 Personen wachsen – entsprechend muss baulich verdichtet werden. Bei aller Verdichtung betont die verantwortliche Fachplanerin Widmer aber, dass es ebenso gelte, Freiräume auszuscheiden und offene Landschaftszonen zu erhalten. Neben der Benennung von Pärken oder dem Belassen von landwirtschaftlich genutzten Flächen wurden entsprechend um die Ortskerne gewisser, eher weiter von Lausanne entfernter Dörfer Kreise gezogen. Ausserhalb dieser Kreise ist es den betroffenen Dörfern nicht länger erlaubt zu verdichten; dies ist eine kantonal verfügte Regelung.

Durchmischte Zonen

Da im Zuge der Zonenplanungen des 20. Jahrhunderts die Industriezonen in der Regel an den Rändern der politischen Gemeinden angelegt wurden, liegen die Industriebrachen, die gegenwärtig auf neue Nutzungen warten, entsprechend an deren geografischen Rändern – und damit gleichzeitig an den Grenzen zu den Nachbargemeinden. Arbeiten nun die Verantwortlichen aus Politik und Verwaltung zusammen, werden die Areale ihrer Industriezonen plötzlich zu neuen zentralen Orten in der Zwischenstadt der heutigen Agglomeration. Die Verantwortlichen des SDOL haben beschlossen, die Brachen nutzungsplanerisch zu öffnen, auf ihrem Entwicklungsgebiet soll es keine monofunktionalen, nur noch durchmischte Zonen geben. In ihrer Durchmischung weisen die einzelnen Gebiete verschiedene Schwerpunkte auf, einmal sind es vorwiegend Wohnzonen, dann Arbeits- und Dienstleistungszonen, allenfalls Einkaufszonen – immer aber gibt es einen Anteil einer oder mehrerer «anderer» Nutzungen. Denn durchmischte Zonen werden im Laufe eines Tages durch unterschiedliche Leuten belebt.

Öffentlicher Verkehr und Langsam-Verkehr

Das Gebiet auf und zwischen Lausanne und dessen Vorortsgemeinden wird durch zahlreiche Kantonsstrassen geprägt. Diese zeichnen sich heute als reine Verkehrsadern für den Individualverkehr aus, es gibt kaum Busse, wenige Trottoirs, keine Bäume. Und keine Beleuchtung. Diese monofunktionalen Verkehrsachsen will Ariane Widmer durchmischen und aufwerten. Es werden Buslinien eingerichtet, neue Tramlinien gebaut. Es gilt, viele neue Trottoirs anzulegen, wodurch die Strassenbreiten erhöht werden. Schliesslich sollen sich die Leute auf den Trottoirs begegnen, beim Warten auf den Bus schwatzen können – und Strassen zu einem Lebensort werden, sicherlich keinem idyllischen, doch zu einem, wo man sich – wenn auch für kürzere Zeit – aufhalten oder fortbewegen kann. Damit werden sie nicht länger nur Trassées für Automobile sein. Diese Strategie wirkt indirekt der städtebaulichen Tendenz von «gated communities» entgegen, die in der Schweiz primär in geschlossenen Industrie-Arealen ihren Niederschlag findet, etwa dem Novartis-Areal in Basel.

Die SDOL-Strategie zielt darauf, öffentliche Räume aufzuwerten. Nicht nur Flaniermeilen oder Pärke, sondern sie erklärt auch Strassenräume zu Aufenthalts- und Lebensräumen. Wahrlich auszeichnungswürdig … und nachahmenswert.

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