Metropole im Aufbruch? - Ein Augenschein in Bangkok / gereist

Juho Nyberg
25. novembre 2010
Verkehrsebenen rege genutzt... Bild: Juho Nyberg

Nach einer Tagesreise finden wir uns gleich mitten im täglichen Trubel Thailands wieder: Freundlich, aber geschäftstüchtig versuchen uns verschiedene Fahrer für genau ihr Fahrzeug zu gewinnen. Wir entscheiden uns – auch der Aussicht wegen – für den 1999 errichteten und garantiert klimatisierten Skytrain. Allerdings beginnt der Himmel im Untergrund. Doch die U-Bahn verwandelt sich tatsächlich in eine Hochbahn, kaum hat sie ihre Station verlassen: Hochgestelzt in schwindelerregender Höhe gleiten wir erhaben über dem Strassennetz Bangkoks dahin. Von hier oben fällt gleich die Mehrschichtigkeit der Verkehrswege auf: Wir befinden uns auf der obersten Ebene, darunter sind in der Regel aber mindestens noch zwei weitere angeordnet. Irgendwo windet sich die Autobahn auf teils abenteuerlichen Brückenkonstruktionen durch die Stadt hindurch, darunter sind die gewöhnlichen Strassen zu sehen, bevölkert von einer Vielzahl von Benutzern. Dazu gehören neben den von den Hochstrassen hinabgefahrenen Bussen und Autos ebenso Motorräder – quasi als Füllstoff der Verkehrsmasse – wie auch immer Menschen, Hunde und gelegentlich ein paar Katzen, wovon alle lebendig!

Die Maschen dieses mal grob, mal fein gestrickten Verkehrsnetzes füllen Baracken, Hütten, Häuser, Tempelanlagen – Gebäude jeder nur erstellbaren Art. Die einzige Leitplanke scheint der Strassenrand zu sein: Kanäle werden überbaut, so gut es geht; Bäume, Brückenpfeiler, Strassenlaternen kurzerhand einverleibt, so dass das Dach der Hütten sauber daran anschliesst. Unter den Gebäuden hingegen herrscht eine Ordnung wie im ersten Architektursemester vor der Schlussabgabe – buntes Durcheinander von Entwürfen, Halbfertigem und tatsächlich zu Ende Gebautem. Mit zunehmender Nähe zum Zentrum der Stadt fehlen die Wellblechhütten und kleinen Holzhäuser zusehends, dafür wachsen die Gebäude umso mehr in die Höhe. Langsam erheben sie sich zu einer geschlossenen Front, die die grossen Einfallsachsen flankieren, einzelne Hochhäuser setzen erste (vermeintliche) Orientierungspunkte. Solcherart gesichert entscheiden wir uns, die Hochbahn an der Makkasan Station zu verlassen. Ab hier sollen die U-Bahn, Busse und Taxis bereit stehen und für die Feinverteilung sorgen.

Ein gutes Dutzend verlässt den Zug mit uns und wird im nächsten Augenblick von der riesigen Bahnhofshalle verschluckt. Auch verschluckt sind offenbar die Taxis. Die dafür vorgesehene Vorfahrtsrampe wird nur von einem kleinen Pickup belegt, der zu einem Arbeiter zu gehören scheint, der irgendwo gerade Schatten sucht. Ein Blick über die Brüstung offenbart noch etwa drei weitere Geschosse bis zum Erdgeschoss. Und tatsächlich finden wir dort unten ein Taxi. Aus dieser Froschperspektive präsentiert sich die Metropole nun von ihrer wahren Seite: Das Gewusel des Strassenraums ist nicht mehr der Blick auf einen Ameisenhaufen – wir sind jetzt selbst mittendrin. Die triebsamen Strassenschluchten werden öfters mit einer Lage Schnellstrasse gedeckelt. Diese an die Zürcher Westtangente erinnernde Massnahme ist offensichtlich eine pragmatische und rasch umsetzbare. Nur scheint es nicht zu reichen. Jedenfalls verschafft uns die Verkehrssituation ausreichend Zeit, die gemütlich wechselnde Umgebung ausgiebig zu betrachten.

In der Tat ist das Verkehrsproblem das Hauptproblem Bangkoks. In Thailands Metropole leben derzeit gut sieben Millionen Menschen. Die letzten grossen Strassenbauprojekte stammen aus den 1970-80er-Jahren, als die Bevölkerung noch halb so gross war. Hinzu scheinen viele Vorhaben von anderen, schneller ablaufenden Entscheiden überholt worden zu sein. So stehen etwa um den Bangkok International Airport in Dong Mueang schier endlose Reihen von Betonpfeilern bereit, um eine weitere Schnellstrasse in die Höhe zu stemmen. Zu stemmen gibt es allerdings wohl nur noch wenig: 2006 wurde der neue Flughafen Suvarnabhumi eröffnet, der ganz woanders steht. Seither dient der die Internationalität immer noch im Namen tragende Flughafen nur noch (teilweise) dem nationalen Flugverkehr.

Doch keine Schnellstrasse - ungebrauchte Pfeiler. Bild: Juho Nyberg

Der massive Bevölkerungsschub seit den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts hängt stark mit dem Wirtschaftswachstum der Region in derselben Zeit zusammen. Unter dem Begriff «Tigerstaaten» entwickelten sich neben Thailand auch Singapur, Taiwan und Südkorea zu ernstzunehmenden Teilnehmern der Weltwirtschaft. Damit einhergehend fand – und findet nach wie vor – eine starke Zuwanderung aus den ländlichen Regionen statt. Für Thailand lässt sich dieser Begriff für fast alles ausser Bangkok selbst anwenden. So kommen Menschen aus allen Winkeln dieses grossen Landes in die glitzernde Metropole, angezogen vom flirrenden Licht der teilweise unbekannten Angebote und von der Möglichkeit, hier auch bei geringem Verdienst einen für die Heimatregion üppigen Lohn zu erwerben.

In dieselbe Zeit fallen viele der markigen Hochhäuser, die die Skyline Bangkoks unter sich aufteilen. Jedoch vermögen nur die wenigsten davon in dem Sinn identitätsstiftend zu sein, als dass sie etwas ortstypisches hätten oder eine Tradition fortschreiben würden. Eine frühe Ausnahme hierzu bildet das Dusit Thani Hotel, das 1970 von der gleichnamigen Hotelgesellschaft eröffnet wurde. Es interpretiert auf thailändische Art einige Motive des Art-Deco und schliesst das Gebäude mit einer pagodenartigen Attika ab. Auch die Farbgebung lehnt sich an lokale Traditionen an. Danach gibt es für lange Zeit kein bekanntes Beispiel, es dominieren die gesichtslosen Businessfassaden aus poliertem Stein und verspiegeltem Glas.

In letzter Zeit jedoch scheint wieder etwas Selbstbewusstsein und Bewegung in die Architekturszene Thailands zu kommen. So hat etwa der Architekt Duangrit Bunnag – obwohl eher für Privatbauten bekannt – eine Einkaufspassage namens H1 gestaltet, die sich im hippen Thong Lo befindet. Die offene Passage beherbergt unter anderem das Restaurant To Die For, das sich in einem luftigen Pavillion befindet und von Bäumen umgeben ist – sie übrigens sind ein Markenzeichen Bunnags. Dazu hat soeben ein Hochhaus den diesjährigen Hochhauspreis gewonnen. Es beherbergt wie viele andere aktuelle Projekte Wohnungen in luftiger Höhe über der Stadt. Es wäre schön, wenn die phantastische historische Baukunst Thailands eine Fortführung in der Gegenwart fände. Erste Ansätze sind ja bereits entdeckt.

Dusit Thanei - gelungene Interpretation traditioneller Formen. Bild: tourismthailand.org

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