Ist «Kunst und Bau» bald Geschichte?
Jenny Keller
10. novembre 2011
Publikation zum zehnjährigen Bestehen der Fachstelle «Kunst und Bau»
Eine Podiumsdiskussion im Architekturforum Zürich hat die drohende Schliessung der Fachstelle «Kunst und Bau» zum Thema - und regt zum Denken an.
Was ist Kunst? Diese Frage kann wahrscheinlich auch nach einem abgeschlossenen Kunststudium nicht vollständig und hinreichend beantwortet werden. Am Montag kamen aus Anlass einer Buchvernissage der Fachstelle «Kunst und Bau» mehrere Experten auf dem Podium des Architekturforums Zürich zusammen. Und die Fragen, die man beantworten wollte, waren weitaus schwieriger: Was ist der Mehrwert von Kunst und Bau? Wie viel darf Kunst kosten? Muss Kunst vor allem gefallen oder darf sie anecken?
Schon die Fragestellung, die auf der Einladung angetönt wurde, lässt grösstenteils ausser acht, dass man doch eigentlich über «Kunst am Bau», was in Zürich unter dem Namen «Kunst und Bau» wie die gleichnamige Fachstelle, die in die Abteilung Projektentwicklung des Amts für Hochbauten integriert ist, reden wollte.
Postkarten mit Vögeln sind Teil des Werks von Vreni Spieser im Altersheim Dorflinde (Bild: Vreni Spieser)
Mehr Fragen als Antworten
Nach einer Begrüssungsrede von André Odermatt, Stadtrat und Vorsteher des Hochbaudepartements, stellten die Künstler Yves Netzhammer (sein Werk Soundscapes erklang auch zu Beginn der Veranstaltung und vermittelte den Besuchern, dass die Fachstelle traditionelle Formate wie Malerei oder Skulptur fördert, aber auch für neue Kunstformen ein Ohr hat) und Markus Weiss ihre Kunstprojekte in Schulhäusern persönlich vor. Die Architektin Barbara Neff erläuterte als Vertretung der Künstlerin Vreni Spieser das Kunstkonzept des Altersheims Dorflinde in Oerlikon.
Roderick Hönig, Redaktor von Hochparterre, moderierte das Podium und fragte alsbald nach dem Mehrwert von Kunst. Karin Sander, Professorin für Grundlagen des Gestaltens, Kunst und Architektur an der ETH Zürich, erklärte den Mehrwert von Kunst dadurch, dass Kunst mit den Jahren an Wert gewinne. Gian von Planta, Ingenieur, Gemeinderat und Fraktionspräsident der Grünliberalen, gab zu bedenken, dass ein Problem der Kunst darin bestehe, eben keinen messbaren Mehrwert darzustellen. Ein wenig ratlos war Samuel Herzog, Redaktor für Bildende Kunst bei der NZZ, ob der gestellten Frage und fragte zurück, ob es denn wichtig sei, dass ein Kunstwerk einen Mehrwert habe.
«Ohne Titel (Toblerones)» (1994/2008) von Oliver Mosset - Sechs Betonpolyeder, je 180 x 218 x 180 cm. (Bild: Martin Stollenwerk)
Kunst für alle?
Karin Frei Bernasconi, die Leiterin der Fachstelle «Kunst und Bau», betonte dann, dass sie und ihre Mitarbeiterinnen Kunst, die sich mit der Umgebung auseinandersetzt, zu den Menschen bringen möchten. Kunst, die die Akademie und das Museum verlässt und Menschen dort erreicht, wo sie vielleicht gar nicht damit rechnen. Genau das kann als Frechheit empfunden werden, meinte Gian von Planta, der zu bedenken gab, dass die Bevölkerung eben nicht wählen könne, wo sie dem Kunstwerk begegnen und dass in diesem Sinne Geld für etwas ausgegeben werde, dessen Nutzen nicht herkömmlich messbar sei. Mit einem (ungewollten?) Seitenhieb an die Architekten lobte er sogar «Kunst und Bau»-Projekte, da sonst jedes Schulhaus gleich aussähe. Ein Kunstwerk kann aber nicht nur zur Identitätsstiftung dienen, und die Frage, wofür denn sonst, hätte man gerne von Samuel Herzog oder Karin Sander beantwortet bekommen. Leider fielen die beiden Kunstexperten nicht durch brillante Aussagen auf, so dass Roderick Hönig sich gezwungen sah, den Politiker in der Runde mit provokativen Fragen herauszufordern.
Sicht des Politikers
Gian von Planta erläuterte auf die Frage hin, weshalb wohl das Postulat eingereicht worden sei, dass man als Politiker, der sparen muss, zuerst daran denke, seine Wähler und Wählerinnen nicht zu vergraulen. Also suche man sich die Orte aus, die von keinem unmittelbaren Nutzen geprägt seien. Dafür biete sich Kunst eher an als zum Beispiel der Strassenbau oder das Schulwesen. Karin Frei Bernasconi fragte daraufhin, was sie als Leiterin der Fachstelle denn tun müsse, dass die Politiker nicht bei «Kunst und Bau» den Rotstift ansetzten, denn ihre Stelle fördere auch die Kunstschaffenden, darunter viele lokale.
«Milchpuck» (2009) von Markus Weiss - 100 Teppiche mit Blumenmotiven und die Ergänzung der Schülerbibliothek mit «Alice im Wunderland» in verschiedenen Adaptionen. (Bild: Françoise Caraco + Eliane Rutishauser)
Zum Denken anregen
Ob es am Ende ein Vermittlungsproblem sei, dass «Kunst und Bau» missverstanden werde, konnte abschliessend nicht beantwortet werden. Niemand auf dem Podium wollte die Fachstelle abschaffen, und niemand konnte beantworten, was zu tun sei, um ihre Akzeptanz zu fördern. Eine Aussage aus dem Publikum brachte erst auf den Punkt, was andere vielleicht dachten, aber nicht in Worte fassen konnten: Kunst gehöre zu einer kultivierten Gesellschaft dazu, man habe sie sich schon immer geleistet, auch wenn man sie sich nicht habe leisten können, meinte Peter Ess, ehemaliger Direktor des Amts für Hochbauten, dezidiert.
Dass man eigentlich über Kunst und nicht über «Kunst und Bau» geredet hat, ist schade. Denn so könnte man in den Tenor einstimmen, dass die Fachstelle mit der Arbeitsgruppe «Kunst im öffentlichen Raum» (AG KiöR) fusionieren und somit Kosten eingespart werden könnten. Bauen ist eine kulturelle Leistung, wie Wiebke Rösler, Direktorin Amt für Hochbauten, im Vorwort der Publikation festhält. Dass dabei Synergien mit Künstlern eingegangen werden, macht durchaus Sinn und kommt (in den meisten Fällen) sowohl der Architektur wie auch der Kunst zu Gute.
von Zilla Leutenegger (2009), fünf Wandzeichnungen mit drei installativen Bauten aus Holzzementplatten, weiss bemalt. (Bild: Menga von Sprecher)
Trotzdem - Die Veranstaltung hinterliess Besucherinnen und Besucher mit vielen offenen Fragen, «regte also zum Denken an». Diesen Ausdruck empfinden Samuel Herzog und Roderick Hönig – selbst Vermittler von Kunst und Architektur – übrigens als billigstes Mittel, um über Kunst zu schreiben.