Geschichten zu Freitag
Jenny Keller
12. aprile 2012
Freitag Fanpost auf Facebook, 2010. Bild: Akihiko Kanke
Anlässlich der letzte Woche eröffneten Ausstellung «Freitag – Out of the Bag» macht sich Jenny Keller einige Gedanken über ein Phänomen made in Switzerland: Kuriertaschen, die schon bei ihrer Entstehung einige Kilometer auf dem Buckel haben und zeitweise auf keiner Grafiker- oder Architektenschulter fehlen durften. Bald wird klar: Es geht um mehr als um Taschen. Die Marke muss ganzheitlich, von der Ladenarchitektur bis hin zum Preisschild, betrachtet werden.
Die Gebrüder Grimm wurden berühmt mit ihren tradierten Märchen, die Gebrüder Freitag schreiben Geschichte(n) mit Taschen, die nach Plastik stinken. Seit 2003 Teil der
Design Collection des MoMA in New York. Der Stoff aus dem die Geschichten gemacht werden, besteht aus gebrauchten, gewaschenen Lkw-Planen, alten Sicherheitsgurten und Veloschläuchen. 1993 hat die Geschichte in einer WG in Zürich Ihren Anfang genommen, als die Grafikstudenten Daniel und Markus Freitag auf der Suche nach einer funktionellen, robusten und wasserdichten Tasche fürs Velo einfach selbst eine designten. Zuerst waren die Taschen ein Geheimtipp für die coolen, urbanen und mobilen Trendsetter aus Zürich und eventuell Basel (heute nennt man die wohl Hipster, aber dazu später) und traten dann die Eroberung der Welt an. Heute zählt das Unternehmen Freitag 130 Mitarbeiter und verkauft weltweit 300 000 Produkte in 400 Partnergeschäften und in neun eigenen Läden, zuletzt wurden Wien, New York und Tokio Teil des Imperiums.
Zum Scheitern verurteilt?
Bei der Eröffnung der Ausstellung im Museum für Gestaltung Zürich – der einstigen Ausbildungsstätte der Gebrüder Freitag – meinte Museumsdirektor Christian Brändle retrospektiv, er hätte dem Projekt keine lange Lebensdauer gegeben dazumal: Es sei eigentlich zum Scheitern verurteilt, weil die Produkte ewig halten. Dass er Unrecht hatte, zeigt die Kuratorin Renate Menzi in einer kleinen Ausstellung in der Galerie des Museums für Gestaltung auf. Der enge, dunkle und etwas stickige Raum, mehr Provisorium als Ausstellungsraum, wird der Erfolgsgeschichte von Daniel und Markus Freitag zwar nicht gerecht, aber Renate Menzi hat gründliche Arbeit geleistet, «die Firma zerlegt und ins Museum gebracht», wie sie sagt, und das in akribischer Recherchearbeit, so dass die Ausstellungsbesucher einen Insider-Blick hinter die Kulisse der Firma erhalten.
Man hat den Fokus der Ausstellung auf die Firma gelegt, deshalb sind (mit der Ausnahme des Prototyps) auch keine Taschen ausgestellt. Die Erfolgsgeschichte der Gebrüder Freitag wird in verschiedenen Schritten erzählt. Die Szenografie der Ausstellung ist inspiriert von den Lastwagen(plachen) und bringt die Exponate in sieben thematisch unterteilten, nachgebauten Anhängern unter. Analog zu den Plachen wird auf Leinwänden (das seien die Plachen des Museums, erklärt der Szenograf Moritz Schmid) die Geschichte von Wirkung, Kommunikation, Verkauf, Brand-DNA, Produktentwicklung, Produktion und Geschichte erzählt. Die Geschichte zu Freitag.
Blick in die Ausstellung und hinter die Kulissen von Freitag. Bild: ZHdK
Da sieht man zum Beispiel die Wirkung der Marke anlässlich einer Ladeneröffnung in Tokio. Oder den aufgezeichneten Bericht von «10vor10» vom 17.9.1997, der dokumentiert wie die grosse Migros die damals noch eher kleinen Freitags schamlos kopiert (und es vehement abgestritten) hat und eine Donnerstag Tasche auf den Markt gebracht hat. Markus Freitag: «Für uns ist es ein Kompliment, zu denen gezählt zu werden, die von der Migros kopiert werden.» Trotzdem hat David zurückgeschlagen und seine Tasche «Miami Vice» mit einem Tritt ans Schienbein von Goliath lanciert. Sie hat die Form einer Migros-Einkaufstüte. Einmal gekauft, spart man sich die 30 Rappen bei jedem Einkauf und tut dabei auch gleich etwas für die Umwelt.
Solche und weitere Geschichten aus der Ausstellung könnte man noch viele erzählen, aber genau dieses Beispiel zeigt die Intelligenz, die Authentizität und die Nachhaltigkeit von Freitag, und weshalb eine Tasche manchmal eben mehr ist als eine Tasche.
Learning from ...
Das Geschäftsmodell der Firma setzte seit den Anfängen auf Authentizität und Nachhaltigkeit (und nicht auf Swissness) und hat sich zum Musterbeispiel der Kreativwirtschaft entwickelt, wahrscheinlich auch, weil die Werte wirklich gelebt und nicht nur gepredigt werden. Die Ausstellung zeigt auf, dass die Entscheide oftmals intuitiv – und dennoch – oder vielleicht deswegen? – richtig gefällt wurden. Das kam bei einer Beratung durch eine Branding- und Kommunikationsagentur heraus. Heute wird nichts mehr dem Zufall überlassen, Handbücher beschreiben, wie die Geschichte von Freitag zu erzählen sei. Zum Beispiel sollen die Läden, die neu eröffnet werden, etwas Spezielles und etwas Lokales haben, nicht an A-Lage der Stadt liegen und wenn möglich Rohbaucharakter haben.
Aufrichte des Freitag Containerturms. Bild: Freitag
Den ersten Laden haben die Gebrüder Freitag in Davos eröffnet, aus dem Bauch heraus, wie sie auf Anfrage erzählen, weil sie selbst oft dort in den Ferien waren. 2002 hat man Hamburg als erste deutsche Stadt mit einem eigenen Freitagladen gewählt und nicht Berlin, ganz einfach deshalb, weil die Stadt über eine Speditionsatmosphäre verfüge, die den beiden zusagt und die zu ihren Produkten passt.
Der mehrfach ausgezeichnete Flagshipstore in Zürich des Architektenpaars Harald Echsle und Anette Spillmannwurde aus 17 gebrauchten Überseecontainern gebaut. Der Freitagtower steht dort, wo die Freitagtschen 16 Jahre lang produziert worden sind, gleich neben dem Maag Areal. In den Worten von Daniel Freitag war es ein regelrechter Befreiungsschlag für die Firma: An der Geroldstrasse würden Freitag-Werte in anderer Form als in Plachen und Autogurten transportiert. Die Sicht von der Dachterrasse des Turms schliesst den Kreislauf, wenn man auf der benachbarten Hardbrücke die Cammions vorbeidonnern sieht.
Freund und Feind
Ohne Licht kein Schatten. Wo Erfolg und Bewunderersind, gibt es auch Neider. Die Freitag Taschen wurden schon hundertmal totgesagt und, noch viel schlimmer, als nicht mehr hip und mittlerweile im Mainstream angekommen bezeichnet. (Die Kommentare im oben erwähnten Link zeugen davon.) Hämische Stimmen andernorts fragen, wie teuer man Abfall denn eigentlich verkaufen könne.
Und trotzdem hält der Erfolg der Firma seit 19 Jahren an, was das stetige Wachstum (Zahlen werden keine genannt, das Wachstum bezieht sich auf Mitarbeiter und Standorte) bezeugt.
Die Lastwagenplanen lagern in der sieben Meter hohen Fabrikhalle des «Noerd» in Neu-Oerlikon. Bild: beatrothen.ch
Im Herbst 2009 ist man umgezogen, vom Maag-Areal in Zürich West ins «Noerd» nach Neu-Oerlikon. Der neue Glanz auf dem Maag-Areal habe nicht mehr zur Patina von Freitag gepasst und die ehemaligen Industriehallen der Zahnradfabrik gehören sowieso bald der Vergangenheit an. Nun hat man einen Neubau bezogen, dessen Energiebilanz stimmt (das gesammelte Regenwasser wird zum Beispiel zum Waschen der Planen gebraucht, der Beton wurde wiederverwertet und die Fenster sind im Gegensatz zu denen im Maag-Areal dicht). Von der Produktion über das Marketing sind nun alle 130 Mitarbeitenden unter einem Dach und verfügen sogar über eine eigene Kantine. Nachhaltigkeit und Authentizität stehen im Vordergrund des Gebäudes von Beat Rothen. Ein bald grüner Garten auf dem Dach und ein sparsamer Innenausbau verleihen dem «Noerd» Pioniercharakter. Wie auch die Tatsache, dass Freitag zusammen mit der Event- und Werbeagentur Aroma als Ankermieter auftreten, was die Immobilie für Investoren attraktiv gemacht hat.
Der neue Standort ist alles andere als hip, doch Daniel Freitag erfindet auch daraus etwas Neues, wenn er gemäss Artikel der NZZ vom 17.09.2011 erklärt, das Quartier sei «prä-hip». Prä-hip waren einst die Freitag Taschen, dann wurden sie für out erklärt und sind heute im Mainstream angekommen. Das Gespür für Trends ist den Gebrüdern Freitag zweifelsohne gegeben. Die Entwicklung Neu-Oerlikons ist also im Auge zu behalten.
4. April bis 29. Juli
Museum für Gestaltung Zürich
Jeden Mittwoch Nachmittag und an gewissen Wochenenden kann man einem Zuschneider bei der Arbeit über die Schulter schauen.
Ausstellungsgespräche und Öffentliche Führungen unter
www.museum-gestaltung.ch
Freitag - Ein Taschen-Buch
Mit bebilderten Interviews, Portfolio und Produktübersicht
Museum für Gestaltung Zürich (Hrsg.), D, Lars Müller Publishers, CHF 29.90
Bestellbar ab 31.5.2012