Die dritte Stadtzerstörung
Ursula Baus
11. gennaio 2011
Industriegebiete wuchern in die Landschaft, gewaltige Verkehrsbauwerke nehmen ihre Spur auf – oder umgekehrt. Verkehr zerstört nicht nur die Städte, sondern auch Landschafts- und Erholungsräume. (Bild: Wilfried Dechau)
Drei grosse Stadtzerstörer suchten die Menschheit heim: Das Feuer, der Krieg – und im 20. Jahrhundert das Auto. Eine radikale Kehrtwende in der Verkehrspolitik, mit der die Städte als Wohn- und Arbeitsorte gerettet werden können, ist das Mindeste, was in europäischen Wohlstandsstaaten eingefordert werden kann. Dringender steht eine Revision der gesamten Mobilität an – der Transport von Menschen und Gütern von hier nach da folgt keinem Naturgesetz, sondern ist ein steuerbarer Prozess.
Absurde WachstumsideologienDaimler hatte – wie viele andere Autokonzerne auch – in der erstaunlich kurzen, jüngsten Wirtschaftskrise mit der Abwrackprämie Millionen von der Regierung Merkel einsacken können. Auch, dass der Bund jetzt die «Forschung» für die Elektromobilität fördert, ist nichts anderes als der Erfolg der gut organisierten Autolobby, die sich Entwicklungsinvestitionen vom Staat bezahlen lässt. Steuergelder werden einer Branche hinterher geworfen, die gerade mal wieder Gewinnzuwächse wie schon lange nicht mehr vermeldet. Die Dreckschleudern mit Motorleistungen, die keiner braucht, werden mehr und mehr in China verkauft – die Luft, die sie dort verpesten, ist nicht unsere? 1.900 Autos werden allein in Peking jeden Tag neu zugelassen. Damit es noch mehr werden, liess sich die deutsche Autoindustrie mit Stadtmarketinggesellschaften ein Angebot für betuchte Amerikaner, Asiaten und Araber einfallen: Für rund 10.000 Euro und mehr können sie etwa eine Woche lang in den Limousinen von Audi, Daimler oder BMW im süddeutschen Autodreieck Stuttgart-München-Ingolstadt schönste Strecken «erfahren». Für die touristisch begleitete Probefahrt genügen Kreditkarte und Führerschein.
«Freie Fahrt für freie Bürger»? «Freie Bahn für Güterverkehr» trifft den Sachverhalt genauer. (Bild: Wilfried Dechau)
ZuwachsprognosenPressemeldungen aus dem Ministerium Ramsauer lesen sich wie Realsatire zur laut verkündeten Klimaschutzpolitik. Wirtschaftliches Wachstum wird vom BMVBS als vorrangiges Ziel für die Verkehrspolitik benannt – und nicht etwa die menschen- und naturverträgliche Mobilität. 2001 bis 2015 fliessen 150 Milliarden Euro des Bundes in Schienen, Strassen, Wasserstrassen. Güter- und Personenverkehrszuwächsen wird mit alten Wachstumsideologien begegnet, heisst konkret: Ausweitung des bestehenden Verkehrsnetzes und Ausbau der Autobahnen sechs-, acht- und zehnstreifig. Koste es, was es wolle. Den Szenarien des Ministeriums liegen Prognosen (Gutachten) zugrunde, die nicht hinterfragt werden. Vielmehr werden sie, als sei das Ministerium Erfüllungsgehilfe, als Ziele der einschlägigen Verkehrslobbyisten von der Politik wie eine «To-do-Liste» übernommen. Der Personenverkehr (PKW) wird von 2004 bis 2025 in einer Grössenordnung von 10 Prozent zunehmen, der Güterverkehr (Strasse und Schiene) um rund 70 Prozent – 80 Prozent der Tonnenkilometer lasten auf der Strasse, wenn nicht – ja, wenn was? Die Zahlen sind komplex zu interpretieren, denn es geht zum Beispiel um die Zusammenführung von Transport-Anzahl mit Transport-Längen. Im Güterfernverkehr werden die grössten Zuwächse erwartet, und dabei mehr auf der Strasse als auf der Schiene. Wenn Maut für PKW und LKW erhoben wird, dann fliesst das eingenommene Geld in die gleiche Politik zurück.
Geld wird in Werbekampagnen gepumpt, um die Autofahrer zur Raison zu bringen – anstatt rigorose Geschwindigkeitsbegrenzungen einzuführen. (Bild: Fotowettbewerb BMVBS)
Runter vom GasDie Belastungen der Verkehrsnetze – Strassen und Schienen – wachsen für jedermann spürbar. Die Züge auf den Hauptstrecken sind gelegentlich zum Bersten voll, die Staumeldungen werden lang und länger. In den Städten leiden die Menschen unter dem Autoverkehr, der von Pendlern verursacht wird – die Pendlerpauschale ist auch so ein trickreiches Subventionswerkzeug der Mobilitätsbranche. Belastet wird die Stadt als Wohnort auch durch das ganze «stehende Blech», das jede Strasse verunstaltet und unsere nostalgischen Vorstellungen von der schönen Stadt des neunzehnten Jahrhunderts ad absurdum führt. Oder durch Busse, die viel zu laut sind und viel zu selten eine eigene Fahrspur besitzen.
Auf der Schiene und auf den Strassen geht es ausserdem immer aggressiver zu. Wieso ist Deutschland das einzige europäische Land ohne generelle Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen? Wieso wird in Städten, in denen Menschen gefahrlos und gerne leben sollen, nicht generell Tempo 30 durchgesetzt?
Was mit kleinen Strassen begonnen hat, endet in Riesenbauwerken für den motorisierten Verkehr. (Bild: Wilfried Dechau)
MobilitätswahnUm das prognostizierte Gütertransportaufkommen bewältigen zu können, wird nun vorgeschlagen, dass LKWs nicht 19 Meter, sondern 25 Meter lang sein können. Solche Kawenzmänner passen in unsere Städte und Dörfer nicht mehr hinein, sodass zu erwarten ist, dass riesige Umladestationen an den Ortsrändern entstehen – und noch mehr Boden versiegelt wird und noch mehr Fahrzeuge gebraucht werden und noch mehr Güter transportiert werden können.
Mobilität ist im Zusammenspiel mit dem Konsum zur Inkarnation der Wachstumsideologien geworden – zu wohlfeilen Klimaschutzprogrammen passen diese nicht im geringsten. Die Politik und alle ihre beratenden Gremien und Individuen scheuen eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit einer Begrenzung von Mobilität, die mit Zumutungen für die Menschen und für die Wirtschaft verbunden wäre. Sie schätzt die Zumutungen durch Belastungen aus der Mobilität – noch – geringer ein.
Es ist in diesem Magazinbeitrag explizit nicht von den Strategien der Bahn und Stuttgart 21 und der Güterverkehrsstrecke Karlsruhe-Basel und Ähnlichem die Rede. Dass viel mehr Güter auf die Schiene gehören, ist selbstverständlich, und dass viel zu wenig dafür getan wird, leider auch. Nennenswerte Szenarien, wie Güter- und Personenverkehr grundsätzlich vermieden werden können, gibt es nicht. Es ist eine Aufgabe der Politik, diese einzufordern. Brauchen wir Rosen aus Südafrika, um sie nach wenigen Tagen in den Kompost zu werfen? Womöglich sind es die Bürgerproteste zu grossen Verkehrsprojekten wie Stuttgart 21 oder der Fehmarnbeltbrücke, die politische Fantasie anstacheln. Den Transportwahn vor Augen, wirken Gestaltungsfragen zu Verkehrsbauwerken leider nur noch rührend. Mobilität muss gewährleistet sein – aber in welcher Dimension? In welcher Art? Kein Verkehrsmittel soll per se verteufelt werden – aber in Frage stellen muss man alle in ihrer jetzigen Auslegung. Auf Debatten, die sich umfassend mit der Mobilität von morgen befassen, dürfen wir uns richtig freuen: Sie drehen sich um eine bessere Welt.