Geschmäht und doch geliebt

Elias Baumgarten
20. aprile 2023
Foto: Elias Baumgarten

Seit das Wohnhochhaus an der Birmensdorferstrasse 511 1966 fertiggestellt wurde, sorgt es für Gesprächsstoff und erhitzt bisweilen die Gemüter. 2018 wählte die Leserschaft der Pendlerzeitung 20 Minuten den Sichtbetonturm sogar zum «hässlichsten Haus der Schweiz». Die Kritik bleibt dabei zumeist an der äusseren Erscheinung des Baus im Stile des Brutalismus hängen. Allzu gerne wird unterschlagen, dass das vermeintliche Monstrum im Inneren viel zu bieten hat – mehr vielleicht als viele zeitgenössische Wohnbauten: Mit nur 42 bis 60 Quadratmetern sind die 2- und 3-Zimmer-Wohnungen zwar deutlich kleiner als der Schweizer Durchschnitt, trotzdem wirken sie dank ihrer intelligenten Grundrisskomposition, die kaum Korridore kennt, ungewöhnlich gross. Raumhohe Fenster machen sie hell und freundlich. Das grösste Pfand aber sind womöglich die bis zu vier Balkone, über die jede einzelne Wohnung verfügt. Ihre geschlossenen Brüstungen schützen vor unerwünschten Einblicken und sorgen für behagliche Geborgenheit. Sonnt man sich auf den Balkonen im Liegestuhl, sieht man nur den Himmel und den nahen Uetliberg.

Bei den Bewohnenden erfreut sich das nur auf den ersten Blick raue Hochhaus darum grosser Beliebtheit. Zwei davon, die Architekturjournalistin Daniela Meyer und die Gestalterin Vanessa Savaré, haben ihrem Zuhause mit «Hochhaus am Triemliplatz Birmensdorferstrasse 511» ein wunderbares Buch gewidmet.

Foto: Elias Baumgarten
Foto: Elias Baumgarten

Im Hauptteil der ästhetisch gestalteten Publikation erhält man Einblick in etliche der Wohnungen. Es ist beeindruckend, wie unterschiedlich diese von den Bewohner*innen bespielt werden, die teils schon seit Jahrzehnten im Haus leben. Sie äussern sich jeweils kurz zu ihrem Zuhause.

Doch «Hochhaus am Triemliplatz» ist kein Bilderbuch: Textbeiträge, die bestimmt auch für interessierte Laien mühelos verständlich sind, ordnen das Bauwerk ein und erklären seine architektonischen Finessen. Und die Architekten Esther und Rudolf Guyer kommen in einem langen Interview zu Wort, das der Kunst- und Architekturhistoriker Michael Hanak mit ihnen führte. Darin erfährt man, wie die beiden gleich nach ihrem Studium an der ETH Zürich zu dem Auftrag kamen und dass es vor allem Rudolf war, der an dem Hochhaus arbeitete. Der Beitrag dreht sich aber bei Weitem nicht nur um das Wohnhochhaus, sondern gibt auch Einblick in Arbeitsweise, Inspirationsquellen und Haltung der Guyers, die sich in dem Gespräch offen und überaus gewinnend präsentieren. Man lernt zum Beispiel, dass Le Corbusier ihr «Leitstern» war. Heissbegehrte Bände über die Architektur ihres Vorbilds bekamen die beiden als Studierende «Occasion» in der Buchhandlung von Hans Girsberger, weil sie sich diese nicht leisten konnten. – Was in Zeiten von Instagram und Co kaum noch vorstellbar ist: Die Suche nach Referenzen war früher ziemlich aufwendig.

Foto: Elias Baumgarten
Foto: Elias Baumgarten

Abgeschlossen wird das Buch mit einem Blick auf die Rezeptionsgeschichte des umstrittenen Bauwerks. Dazu wurden alte Zeitungsartikel abgedruckt. Einige Pläne runden das Buch ab, wobei insbesondere die Grundrisse erlauben, die vorher beschriebenen architektonischen Vorzüge des Hauses nachzuvollziehen.

«Hochhaus am Triemliplatz» ist im Selbstverlag erschienen und kostet 36 Franken. Sie können das Buch per E-Mail bestellen. Ausserdem wird es im Rahmen der Ausstellung «Sprengkraft Raum» angeboten, die vom 16. Mai bis zum 15. Juli dieses Jahres im Architekturforum Zürich zu sehen ist.

Foto: Elias Baumgarten

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