Natürlich Atmosphäre

Thomas Geuder
26. novembre 2013
Das Bora Hot Spa Resort in Radolfzell besteht aus einem Hotel- (links) und einem Hot-Spa-Trakt (rechts). (Foto: Kuhnle + Knöder Fotodesign)

Der Markt der Wärmedämmstoffe ist mittlerweile erstaunlich bunt. So bunt sogar, dass eine gewisse Konkurrenz zwischen einzelnen Systemen nicht ausbleibt. Dabei ist ihnen allen doch das hehre Ziel gleich, nämlich die (Heiz-)Energie nicht unnötig im Orbit verpuffen lassen zu wollen! Umweltbewusste Architekten und Bauherren fragen sich bei alledem jedoch schon längst: Was bringt eine Wärmedämmung der Umwelt, wenn ihre Herstellung und Entsorgung ähnlich energieaufwändig sind wie ihr Einsparpotenzial? Mit monetären Grössen jedenfalls lässt sich hier nur bedingt argumentieren. Die Amortisierungszeit (die zum Teil recht hoch ausfallen kann) ist nur ein Teil der energetischen Wahrheit. Der andere liegt wohl im ideellen Wert: Wer sein Haus dämmt, tut dies meist, um Energie zu sparen. Energie sparen will man im Normalfall, weil man umweltbewusst denkt und handelt. Eine Energiesparmassnahme aber muss über alle Parameter gedacht werden, sprich: vom Anfang bis zum Ende eines Materiallebens. Künstlich hergestellte Produkte haben da oft etwas schlechtere Karten, denkt sich der Otto Normalfachmann. Und er weiss auch, dass manche Umweltzertifikate im Bau oft die Herstellung und Entsorgung eines Baustoffs nicht berücksichtigen. Ist das Augenwischerei? Jedenfalls sind Zertifikate ein Marketinginstrument, was wiederum – und da schliesst sich der Kreis wieder – bares Geld bedeutet. So oder so: Die Umwelt bleibt leider noch zu oft der Zaungast.

Typha-Platten besitzen eine grobe Oberflächenstruktur und können von Ort mit einfachen Maschinen in die richtige Form gebracht werden. (Foto: typha technik)

Wie immer aber gibt es die hervorhebenswerten Ausnahmen. Eine noch recht junge Entwicklung ist etwa der Dämmstoff «Typha», der aus der Rohrkolben-Pflanze hergestellt wird. Sie ist eine Wasser- und Sumpfpflanze und wächst vielerorts in seichten Gewässern, und das meist in grosser Menge. Schaut man sich den Querschnitt des Blattkörpers an, fällt vor allem ein durchgehendes Stützgewebe auf, das mit einem Schwammgewebe ausgefüllt ist. Dies bewirkt eine hohe Druckfestigkeit in Längsrichtung der Blattachsen, eine elastische Nachgiebigkeit auf Druck in Querrichtung und eine hohe Wärmedämmfähigkeit durch das Schwammgewebe. Die Pflanze ist durch seine Gerbstoffausrüstung fäulnis- und schimmelresistent. Diesen Grundstoff hat «typha technik Naturbaustoffe» aus Schönau bei München zu einem Werkstoff verarbeitet, der viele gute Eigenschaften inne hat: niedrige Wärmeleitfähigkeit, hohe Druck- und Biegefestigkeit, Diffusionsoffenheit, Brand- und Schallschutz, sommerlicher Wärmeschutz, hohe Schimmelresistenz ohne Zusätze, leichte Bearbeitung und gute Putzträgereigenschaften. Das Produkt ist in drei Varianten erhältlich: als Standard-Platte mit einer Rohdichte von 260 kg/m³ (Lambda 0,052 W/mK), als Massiv-Platte mit 320 kg/m³ (Lambda 0,06 W/mK) und als Leichtplatte mit 220 kg/m³ (0,048 W/mK), jeweils mit einer Dicke von 20 bzw. 40 mm bis 120 mm. Das Material ist einfach und rationell herstellbar und (durch einen mineralischen Klebstoff) auch vollständig kompostierbar.

Herzstück des Bora Hot Spa ist das Onsen-Becken unter freiem Himmel, dennoch dreiseitig geschützt vom Hot-Spa-Gebäude. (Foto: Kuhnle + Knöder Fotodesign)

Das Bora Hot Spa Resort in Radolfzell ist ein Hotel, das konzeptionell bewusst auf Wellness und Gesundheit setzt. Dies spiegelt sich schon in der Architektur und vor allem in der Materialität wider: Es herrschen Naturmaterialien vor, vor allem Holz, Lehmputze und (im japanischen Zimmer) Tatami-Matten. Ganz im japanischen Stil ist auch das angeschlossene Hot Spa gestaltet, in dem verschiedene Saunen, ein Dampfbad und ein richtiges Onsen-Bad für Wohlsein sorgen sollen – letztes übrigens traditionell mit Sitz-Waschplätzen, wie man sie nur in Japan findet. Die Konstruktion des Baus ist ein Holzskelett, dessen Aussenwände, Innenwände und Dach mit Typhaplatten ausgefacht sind. Sie übernehmen im Wandaufbau sowohl die Dämmung als auch die Längsausssteifung der Wände und erfüllen alle Anforderungen aus Schall- und Brandschutz. Im Obergeschoss sind die Wände sogar vollflächig mit einer Wandheizung unter dem Lehmputz ausgestattet. Der einschichtige Wandaufbau ist diffusionsoffen sorgt so zusammen mit der mechanischen Entlüftung für einen bauschadenfreien Abtransport der Feuchtigkeit. All das ist für den Besucher nicht sicht-, aber fühlbar. Ganz nach dem japanischen Vorbild: Die Materialien des Bora Hot Spa besitzen eine hochwertige Haptik und dezente Texturen. Alles technische ist in die Konstruktion integriert und nicht sichtbar. So entsteht eine Atmosphäre, in der man tiefenentspannt Ruhe, Harmonie und Kraft tanken kann. Wer das schon einmal in Japan ausprobiert hat, weiss, was gemeint ist. Alle anderen sollten einen Kurztrip nach Radolfzell planen.

Typisch Japanisch: Der Raumcharakter in den Ruhezonen im Obergeschoss wird nur durch wenige Materialien und Shoji-Wände bestimmt. (Foto: Kuhnle + Knöder Fotodesign)
In der Bambus-Sauna wird durch Fenster (auch hinter der Kamera) der Bezug zum Aussenraum dargestellt. (Foto: Kuhnle + Knöder Fotodesign)
Die Typha-Platten sind kraftschlüssig in die Holzrahmenkonstruktion eingepasst und verschraubt. (Foto: typha technik)
Das ist die Zutat der Typha-Platten: Die Rohrkolben-Pflanze. (Foto: typha technik)
So sieht das Endprodukt im Schnitt aus. (Foto: typha technik)
Lageplan
Skizze Aussenanlagen
Grundriss Obergeschoss
Grundriss Erdgeschoss
Wandaufbau im Obergeschoss (Beschriftung v.l.n.r.): Typha-Platte 6 cm, 2 Mal – Typha Fugenmasse – Typha-Platte 4 cm – Heizungsrohe – Füllputz (Kalk-Gips) – Putzgewebe – Kalkanstrich. U-Wert = 0,2. (Foto: Bruno Franchi)
Die Konstruktion des Hot Spa wurde in Einzelteilen vorgefertigt und per Kran vor Ort zusammengebaut. (Foto: Fluck Holzbau)
In der Rückansicht des Hot-Spa-Traktes ist das Vorbild des japanischen «Sento», des Badehauses, deutlich zu erkennen. (Foto: Kuhnle + Knöder Fotodesign)
Natürliche Materialien herrschen auch in den Zimmern des Hotels vor. (Foto: Kuhnle + Knöder Fotodesign)
Das Grundstück des Bora Hot Spa Resort liegt direkt am Bodensee und grenzt unmittelbar an ein Landschaftsschutzgebiet. (Foto: Kuhnle + Knöder Fotodesign)
typha technik Naturbaustoffe
Schönau, D

Hersteller-Kompetenz
Typha-Platten

Projekt
Bora Hot Spa Resort
Radolfzell, D

Architekur, Innenarchitektur
studiobrunofranchi
München, D

Innenarchitektur
Biquadra – Büro für Innenarchitektur
Meran, IT | Lehrberg, D

Bauherr
Bora Hotelbau GmbH
Radolfzell, D

Tragwerksplanung
Baustatik Relling GmbH
Singen, D

Landschaftsarchitektur
Birgit Gnädinger
Radolfzell, D

Lichtplanung
LichtFormat
Schaffhausen, CH

Elektro-Planung
PIC - Planning Innovations Center
Villingen-Schwenningen, D

HLS-Planung
KHW Konzmann
VS-Villingen, D

Akustikplanung
ADU cologne
Mönchengladbach, D

Zimmerer Hot Spa
Holzbau Fluck
Blumberg, D

Fertigstellung
2013

Fotografie
Kuhnle + Knödler Fotodesign
typha technik
Fluck Holzbau

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