Ein Korb voller Früchte
Thomas Geuder
8. juillet 2014
Die «Arena da Amazônia» in Manaus ist 240 x 200 m gross, 35 m hoch und ist für 45.000 Zuschauer konzipiert. (Foto: Marcus Bredt / gmp)
Die WM 2014 befindet sich kurz vor dem Finale, nur noch wenige der brasilianischen Spielstätten werden im Fokus der Medien sein. Schade eigentlich, denn das Stadion von Manaus, in dem ganze vier Vorrundenspiele stattfanden, hätten wir gerne noch einmal live bespielt gesehen.
Insgesamt 12 Stadien wurden in Brasilien bespielt, das Spiel um Platz 3 und das Finale werden uns jetzt noch einen Blick auf die Stadien von Brasília und Rio de Janeiro bescheren. 64 Spiele mit 32 Mannschaften werden wir am Ende dann erlebt haben, gewinnen aber kann das Turnier nur einer. Ob bei alledem Land und Menschen etwas gewonnen haben werden, wird wahrscheinlich eher fraglich bleiben. Was die Stadionbauten angeht, sind freilich einige spannende Projekte in dem südamerikanischen Land entstanden, die dem Grossereignis ein würdiger Rahmen waren oder noch sind. Mit vorne bei der Verwirklichung der Spielstätten war das Planer-Gespann gmp – schlaich bergermann und partner, das für die WM drei Stadien planten: in Brasilia, Belo Horizonte und Manaus. Ins Auge gefallen ist uns die «Arena da Amazônia» in Manaus, die mit ihrem hell leuchtenden Dach und einer wabenartigen Struktur einen weithin sichtbaren Punkt in der Stadt bildet.
Ins Stadion gelangen die Besucher über zwei grosse Rampen, durch die das Bauwerk in Szene gesetzt wird. (Foto: Marcus Bredt / Ceno Tec)
Manaus ist die Hauptstadt des Bundesstaates Amazonas inmitten des Dschungels, 1.500 km vom Meer entfernt. Hier fliessen Rio Negro und Rio Solimões zusammen und bilden so den mächtigen Strom Amazonas, einen der fünf längsten Flüsse der Welt. Wer hier jedoch ein kleines, verschlafenes Städtchen im Urwald erwartet, liegt völlig falsch. Die ehemalige Kautschukmetropole ist ein Finanzzentrum mit globalen Handelsbeziehungen und beheimatet gut zwei Millionen Einwohner. So stand für die Planer die Idee im Vordergrund, ein sehr einfaches, aber hoch effizientes Stadion zu konzipieren, das gleichzeitig eine Referenz an den besonderen Ort, an die Faszination und die natürliche Formenvielfalt des stets präsenten tropischen Regenwaldes darstellt. Gelegen an einer der zentralen Verkehrsachsen, die Flughafen und Innenstadt verbindet, ergänzt es den bereits vorhandenen Sportpark mit Sambadrom, Leichtathletikanlagen, Mehrzweckhallen und Schwimmzentrum. Ein Sockel auf dem leicht abschüssigen Gelände mit kommerziellen Nutzungen und Stellplätzen bildet die Bühne für das eigentliche Oval, in dem sich das Spielfeld befindet.
Die stützenfreie Dachkonstruktion besteht aus diagonal angeordneten Stahlhohkastenträgern und einer Sekundärstahlkonstruktion für die Membran-Verkleidung. (Foto: Marcus Bredt / Ceno Tec)
Wie eine filigrane Schale erhebt sich die weiss bespannte Konstruktion auf dem grauen Sockel. Zu sehen ist vor allem die Dach-Fassaden-Konstruktion, eine Stahltragwerk mit 252 Feldern, die mit einem PTFE-beschichteten Glasfasergewebe versehen sind. Die Tragwerkskonstruktion für das 35 Meter hohe textile Dach will die Formensprache des Dschungels aufnehmen und ist den Adern von Blättern nachempfunden. Die Kragarme aus Stahlhohlkastenträgern dienen gleichzeitig als grosse Regenrinnen, um die enormen Wassermassen der tropischen Niederschläge aufzunehmen. Angesichts des heissen und feuchten Klimas am Amazonas geht das Dach in eine Fassade über. So werden durch die gesamte Dach-Fassaden-Konstruktion die Zuschauerumgänge sowie Vertikalerschliessungen verschattet. Da das Membran-Material transluzent und hell ist, wird das Sonnenlicht angenehm gestreut. Die im Zusammenspiel mit den Fassadenöffnungen entstehende natürliche Ventilation soll ein angenehmes Mikroklima für die rund 45.000 Zuschauer ermöglichen. Vom Hersteller der Membrane Ceno Tec haben wir erfahren, dass eine grosse Herausforderung die geringen Masstoleranzen bei den Membranfeldern. Diese mussten mit sehr hoher Genauigkeit im Werk Greven vorkonfektioniert werden, denn auf der Baustelle waren keine grösseren Einstellarbeiten mehr möglich. Zudem sei die Logistik aufgrund des langen Transportwegs ins Landesinnere enorm herausfordernd und die Montage durch die Regenzeit erschwert gewesen. Die Arbeit scheint sich jedoch gelohnt zu haben – zumindest für die brasilianische Architekturszene sowie die Bewohner von Manaus, denn die haben dem Bauwerk bereits einen eher freundlichen Spitznamen gegeben: Fruchtkorb.
Am Fusspunkt ist die gesamte Dach-/Fassadenkonstruktion durch Kalottenlage gelenkig gelagert, um hier grosse Auflagermomente zu vermeiden. (Foto: Marcus Bredt / Ceno Tec)
Lageplan (Quelle: gmp)
Grundriss Hauptebene (Quelle: gmp)
Die Konstruktion besitzt eine Gesamtfläche von 32.000 m², aufgrund der komplexen Ausgestaltung der Details wurden jedoch rund 52.000 m² Material verarbeitet. (Foto: Ceno Tec)
Durch die Vorfertigung konnte die Membrane in nur vier Monaten montiert werden. (Foto: Ceno Tec)
Das statische System funktioniert dann nur mit einem Druckring am Dachinnenrand und einem Zugring am Dachaussenrand. Durch deren Zusammenspiel … (Quelle: sbp)
… kann das Kragmoment mittels eines horizontalen Kräftepaars aufgenommen werden. (Quelle: sbp)
Schnitt Tribüne und Dach-/Fassadenkonstruktion (Quelle: gmp)
Das Membrane-Material wird erst weiss, nachdem es montiert und der Sonne ausgesetzt wurde. (Foto: Cento Tec)
Integriert in einen Sportpark mit Sambadrom, Leichtathletikanlagen, Mehrzweckhallen und Schwimmzentrum, soll die Arena zukünftig gute Voraussetzungen für professionelle und lokale Sportereignisse und Events bieten. (Foto: Marcus Bredt / gmp)
Arena da Amazônia
Manaus, BR
Hersteller
CENO Membrane Technology GmbH
Greven, D
Kompetenz
PTFE-beschichtetes Glasfasergewebe
Konzept, Entwurfs- und Ausführungsplanung
gmp · Architekten von Gerkan, Marg und Partner
Hamburg, D
schlaich bergermann und partner
Stuttgart, D
stadia
São Paulo, BR
Bauherr
Companhia de Desenvolvimento do Estado do Amazonas
Manaus, BR
Generalunternehmer
Andrade Gutierrez
Manaus, BR
Windkanaluntersuchung
Wacker Ingenieure
Birkenfeld, BR
Freiraumplanung
ST raum a. (Entwurfsphase)
São Paulo, BR
Interact
São Paulo, BR
Tragwerksplanung Massivbau, in Zusammenarbeit mit
EGT
São Paulo, BR
Larenge
São Paulo, BR
Ruy Bentes
São Paulo, BR
Haustechnik
b.i.g. Bechtold Ingenieurgesellschaft mbH und MHA (Entwurfsphase)
São Paulo, BR
Teknika Projetos e Consultoria ltda
São Paulo, BR
Soeng Construção hidroelétrica ltda
São Paulo, BR
Bosco & Associados ltda
São Paulo, BR
Loudness Sonorização Ltda
São Paulo, BR
Fertigstellung
2014
Fotografie
Marcus Bredt
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