Bewehrte Technologie

Thomas Geuder
10. avril 2013
Sichtbare Abgrenzung der Funktionsbereiche: Die sogenannte Experimentierhalle mit seinen Aluminiumlamellen wird von einem zweigeschossigen Büro- und Labortrakt zweiseitig umschlossen. (Foto: Wolf-Dieter Gericke)

Eigentlich erstaunlich, denkt sich Otto Normal­archi­tektur­interessierter. Glasfaserverstärkte Kunststoffe – bisweilen liebevoll anglizistisch «Fiberglas» genannt – finden sich heutzutage doch überall. Wir alle sind mit den Vorteilen dieses Materials bestens vertraut: Leicht ist es vor allem, und dabei unheimlich kräftig und zugfest. Es korrodiert natürlich nicht, ebenso wenig ist es elektrisch leitfähig. Es lässt sich wunderbar in jede beliebige Form bringen und kann deswegen an jedes System höchst individuell angepasst werden. Ein multifunktionales Material also, das Designer- wie Technikerherzen höher schlagen lässt. Warum nicht schon vor Jahrzehnten jemand darauf gekommen ist, GFK auch als Bewehrung im Betonbau zu verwenden, darüber lässt sich nur mühsam spekulieren.

Bewehrung aus glasfaserverstärktem Kunststoff – sieht fast so aus, wie eine Stahlbewehrung und wird auf der Baustelle auch ähnlich verarbeitet. (Foto: Schöck Bauteile GmbH)

Seit einigen Jahren aber gibt es sie nun, die Bewehrung aus GFK. Doch obwohl bauaufsichtliche Zulassungen vorliegen, zerbrechen sich nicht wenige Fachleute den Kopf über Sinn und Unsinn einer Bewehrung aus Kunststoff. Ein Umdenken alter Traditionen scheint nicht leicht zu fallen: Mitte des 19. Jahrhunderts experimentierte der französische Gärtner Joseph Moniermit Zement und Drahtgewebe, was 1867 schliesslich in das Patent für ein «System mobiler Behälterkästen aus Eisen und Zement für den Gartenbau» mündete. Joseph Monier hat damit eine Technologie entwickelt, durch die Eisen resp. Stahl und Zement resp. Beton perfekt verbunden werden können – und ohne die die moderne Architektur um Bauhaus und Co. wie letztendlich auch heutige Bauwerke nicht denkbar sind. Den harten Stahl jetzt aber durch einen Kunststoff zu ersetzen ist da nicht nur gehörig ungewohnt, sondern für manchen nur schwer akzeptierbar. Umso wichtiger ist es für die Ingenieurbranche, mit guten Projektbeispielen voranzugehen und so auch den letzten Zweifler zu überzeugen, dass GFK ein durchaus ernst zu nehmender Ersatz für Stahl ist. Nehmen wir etwa das System «ComBAR» des südwestdeutschen Herstellers Schöck: Zahllose, einzelne Glasfasern werden bei diesem System zusammen mit Kunstharz zu einem festen Strang gebündelt und unter Druck und Hitze verklebt. Anschliessend werden Rippen in die ausgehärteten Stäbe geschnitten und diese dann mit einer finalen Beschichtung überzogen. Entstanden ist so ein Bewehrungsstab, der vor allem in Sachen Dehnungsverhalten Erstaunliches zeigt – siehe entsprechender Versuch im Film sowie die Spannungs-Dehnungstabelle. Da die GFK-Bewehrung wesentlich leichter ist als Stahl und keine allzu üppigen Betonüberdeckungen mehr benötigt werden, können Betonbauteile mit GFK-Bewehrung schmaler dimensioniert werden.

Blick ins Innere der Experimentierhalle: Die einzelnen Laborboxen sind sowohl farblich als auch per Beschriftung unterschiedlich gekennzeichnet. (Foto: Wolf-Dieter Gericke)

Zur idealen Besetzung wird die GFK-Bewehrung allerdings, wenn es um spezielle Bauaufgaben geht, bei denen Stahl schon allein wegen seiner leitenden Eigenschaften die falsche Wahl wäre. Gesehen haben wir das beim Neubau eines Präzisionslabors in Stuttgart-Büsnau, entworfen von hammeskrause architekten. Bauaufgabe war, für das Stuttgarter Max-Planck-Institut für Festkörperforschung Räume zu schaffen, in denen sich die Wissenschaftler mit den elektrischen Leitfähigkeitseigenschaften fester Stoffe im Nanomassstab befassen können und der Frage nachgehen können, wie die jeweilige Materialstruktur die elektrischen, mechanischen und magnetischen Eigenschaften eines Materials beeinflusst. Die Laborräume mussten in ihrem Inneren also Bedingungen aufweisen, die frei von jeglichen äusseren (und inneren) Einflüssen sind. So sind in der 30 auf 40 Metern grossen und 15 Meter hohen sogenannten Experimentierhalle elf Laborboxen entstanden, deren Innenräume stringent gegen seismische, akustische und elektromagnetische Störungen abgeschirmt sind. Im Wesentlichen geschieht dies durch vier Massnahmen: die akustische Entkopplung aller zuführenden Leitungen, die Schallabsorption im Inneren, die Schwingungsentkopplung der inneren Versuchsfundamente durch Dämpfer mit Luftfedern sowie die Vermeidung von Kriech- und Wirbelströmen mit nicht leitender und nicht magnetisierbarer Bewehrung – der GFK-Bewehrung. Eine klassische Stahlbewehrung in den Fundamenten kam nicht infrage, da die Leitfähigkeit des Materials die Ergebnisse der Laborversuche verfälschen beziehungsweise stören würde.

Derartige Projektbeispiele lassen recht eindeutig erkennen, dass Glasfaser als Bewehrung bei Sonderaufgaben viel Sinn macht. Auch bei anderen Projekten – etwa bei Brückenbauten, wo Gewicht und Korrosion eine grosse Rolle spielen – ist eine GFK-Bewehrung die richtige Wahl. Doch lohnt sich auch bei «normalen» Bauaufgaben der Einsatz von GFK statt Stahl? Auf den direkten und vor allem unabhängigen Vergleich beider Systeme inklusive Kosten und Nutzen freut sich Otto schon heute.

Die Verkleidung der Laborboxen mit Stahlblechplatten hat nicht nur ästhetische, sondern auch praktische Gründe: Sie dienen der elektromagnetischen Abschirmung sowie der Schalldämpfung. (Foto: Wolf-Dieter Gericke)
Deutlich zu erkennen: die Fundamente für die elf Laborboxen der 15 Meter hohen Experimentierhalle. (Foto: Schöck Bauteile GmbH)
Die Fundamente der Laborboxen sind mit GFK, alle anderen Betonbauteile mit «normalem» Stahl bewehrt. (Foto: Schöck Bauteile GmbH)
Schnitt durch eine Laborbox (pdf mit Beschriftung als Download in der rechten Spalte)
Schöck ComBAR im direkten Vergleich mit Stahl und Spannungs-Dehnungsdiagramm. (Quelle: Schöck Bauteile GmbH)
4-Punkt Biegeversuch mit BSt und ComBAR: Beton C25/30; Plattendicke 20 cm; 1m Biegezone ohne Querkraft; 0,5 m Hebelarm. (Quelle: Schöck Bauteile GmbH)
Kopfbolzen
ComBAR im Detail
Grundriss Erdgeschoss
Querschnitt
Auch innen ist die Fügung der Baukörper im Material deutlich ablesbar. (Foto: Wolf-Dieter Gericke)
Die Experimentierhalle ist mit einer Haut aus vertikalen Aluminiumprofilen umhüllt, die in unterschiedlichen Abständen und auf zwei Ebenen angebracht sind, wodurch sich Interferenzmuster ergeben. (Foto: Wolf-Dieter Gericke)
Schöck Bauteile GmbH
Baden-Baden, D

Hersteller-Kompetenz
ComBAR

Projekt
Institutsgebäude mit Präzisionslaboren
Max-Planck-Institut für Festkörperforschung
Stuttgart, D

Architektur
hammeskrause architekten
Stuttgart, D

Tragwerksplanung und Wärmeschutz EnEV
Weiske + Partner GmbH
Stuttgart, D

Bauherr
Max-Planck-Gesellschaft für die Förderung der Wissenschaften e.V.
Generalverwaltung – Abteilung Forschungsbau-Technik-Immobilien
München, D

Fertigstellung
2012

Fotonachweis
Wolf-Dieter Gericke
Schöck

Detailschnitt als pdf mit Beschriftung

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