Lernen von Heinz Isler

Katinka Corts
8. octobre 2024
Über 450 Modelle von Heinz Isler sind an der ETH Zürich archiviert. Für die Architektin und Bauingenieurin Giulia Boller waren sie eine wichtige Quellen. In einer grossen Ausstellung waren kürzlich ausgewählte Exemplare zu sehen. (Foto: © Ewa Maciejewski)

Frau Boller, als Doktorandin kamen Sie an den Lehrstuhl für Tragwerksentwurf von Joseph Schwartz, um aus der Perspektive der Ingenieurin das Werk des Schalenbauers Heinz Isler zu untersuchen. Wie sind Sie diese Aufgabe angegangen?

Als ich 2018 begann, war schnell klar, dass das Thema Isler sehr umfangreich ist. Wir hatten bereits seinen gesamten Nachlass am gta-Archiv der ETH Zürich. Ich habe mich mit vielen Unterlagen und mit den zahlreichen physischen Modellen, die Isler verwendete, auseinandergesetzt. So kam ich auf die Idee, mich in meiner Doktorarbeit Islers Arbeitsmethoden zu widmen. Es standen für mich also weniger die einzelnen realisierten Gebäude im Mittelpunkt, sondern vielmehr die Skizzen, Notizen, Fotos, Videoaufnahmen und Modelle. Meine Arbeit war Teil eines vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) geförderten Forschungsprojekts, das Islers Werk von einem interdisziplinären Standpunkt aus untersucht. Neben mir, die ich Islers Beitrag zur Geschichte des Ingenieurwesens erforschte, arbeitete ein weiterer Doktorand mit denselben Quellen, jedoch aus kulturhistorischer Perspektive. 

Als ich Isler 2006 in seinem Burgdorfer Büro besuchte, fielen mir die Unmengen an Material auf, die er und sein Kollege dort verwahrten. Wie ist es gelungen, aus diesem Bestand eine Auswahl für das gta-Archiv zu treffen?

Isler starb 2009, und der Archivierungsprozess begann zwei Jahre später – dank der Initiative von Joseph Schwartz und Bruno Maurer, dem damaligen Leiter des gta-Archivs. Das war eine sehr langwierige Arbeit, da Isler wirklich alles aufgehoben hatte. Überall in seiner Wohnung und in seinem Büro standen kleine Präsentationsmodelle. Da viele Duplikate darunter waren, musste stark aussortiert werden. Eine grosse Hilfe war dabei Hans Glanzmann, der jahrzehntelang mit Isler zusammengearbeitet hatte und die einzelnen Modelle zuordnen konnte.

Im Archiv liegen mehr als 450 physische Originalmodelle. Sie wurden aus verschiedenen Materialien, für unterschiedliche Zwecke und in diversen Massstäben gebaut. Es finden sich viele Studienmodelle und auch einige Messmodelle in grossem Massstab darunter. Letztere sind eine Rarität, sowohl für ein Archiv als auch für die Geschichte des Ingenieurwesens, weil solche Modelle ja normalerweise bei Belastungsversuchen zerstört und dann entsorgt werden.

Giulia Boller tauchte für ihre Doktorarbeit ins Archiv des Schweizer Schalenbauers ein. (Foto: © Ewa Maciejewski)
Die verschiedenen Modelle verrieten ihr viel über Islers Arbeitsweise. (Foto: © Ewa Maciejewski)
Foto: © Ewa Maciejewski

Eine Besonderheit ist auch, dass das gta-Archiv offen konzipiert ist. Jeder, der sich für ein Thema interessiert, kann sich anmelden und dort recherchieren. Das passt zu Isler, der für seine Experimente bekannt war und in seinen Vorführungen zu Formfindungsprozessen gern das Publikum teilhaben liess. Bauprozesse wollte er stets erklären und verständlicher machen.

Ja, im Archiv geht es durchaus auch um eine Art spielerische Forschung, die dank des Archivierungsprozesses möglich wurde. Durch diesen Ansatz unterscheidet sich das gta-Archiv von klassischeren, bei denen die Forschenden nur die angeforderten Dokumenten von den Archivaren bekommen. Da das Unerwartete zu Islers Arbeitsweise gehörte, war es naheliegend, dass sein Nachlass in einem unkonventionellen Archiv wie dem des Instituts gta zu finden sein sollte.

Es dauerte über zehn Jahre, den Nachlass zu systematisieren und eine Datenbank mit Islers Bauwerken und Entwürfen anzulegen. In Kürze wird sie als Teilergebnis unseres Forschungsprojekts veröffentlicht. Dieses umfasst neben den beiden Dissertationen und eben der Datenbank auch eine Publikation, die in den nächsten Monaten im gta-Verlag erscheinen wird. Das Buch wird das erste über Heinz Isler sein, das vollständig auf Basis von Archivmaterial geschrieben wurde. Und es ist eine Publikation, die erstmals sein Werk sowohl aus ingenieurwissenschaftlicher als auch aus kulturgeschichtlicher Sicht umfassend untersucht. 

Einige von Heinz Islers Messmodellen blieben erhalten; ein Glücksfall für die Forschung, denn eigentlich wurden sie gebaut, um bei Belastungsversuchen zu Bruch zu gehen. (Foto: © Ewa Maciejewski)
Foto: © Ewa Maciejewski
Foto: © Ewa Maciejewski

Haben Sie bei Ihrer Recherche Lieblingsstücke gefunden, die für Sie den Kern von Islers Arbeit darstellen?

Bei den Dokumenten waren für mich vor allem die Kontaktabzüge wichtig. Isler hat alles fotografiert: Gebäude, Experimente im Labor, Baustellenbesuche und andere Gebäude, die er als Vorbilder sammelte. Für jedes Arbeitsjahr ist eine Art Tagebuch entstanden. Er hat nach Jahren und Monaten sortiert, sodass man genau sehen kann, was er wann gemacht hat. Das erlaubte mir, seine Ingenieurtätigkeit mit grosser Genauigkeit zu rekonstruieren.

Seine Schalenbauten beeindrucken noch heute, und doch ist die Konstruktionsweise nicht mehr zeitgemäss und leistbar. Etwas, das man von Heinz Isler lernen kann, ist aber sicher seine Fähigkeit, sehr komplexe Prozesse in einfache Konzepte zu übersetzen. 

Ich glaube, es ist gar nicht so wichtig, was er gebaut hat, sondern vielmehr interessant, wie er es entworfen hat. Von seinen Arbeitsmethoden können wir noch viel lernen – gerade, da wir heute fast ausschliesslich am Computer arbeiten. Isler entwarf klare Formen, die gut zu kommunizieren waren. Dank der engen Zusammenarbeit mit dem Bauunternehmer Bösiger wusste er genau, wie etwas gebaut wird.

Die Rahmenbedingungen für das Bauen sind heute andere als in den 1960er- und 1970er-Jahren, aber manche der damals entwickelten Lösungen können auf heutige Problemstellungen übertragen werden. Wenn auch aus anderen Gründen, sind wir heute genauso daran interessiert, die Beziehung zwischen Form und Struktur zu beachten und Material so intelligent und sparsam wie möglich einzusetzen.

 

Giulia Boller hat Architektur und Bauingenieurwesen studiert. Im Rahmen eines vom SNF finanzierten Forschungsprojekts schrieb sie ihre Doktorarbeit über Heinz Islers Arbeitsmethoden. Heute ist sie Postdoktorandin und Dozentin am Lehrstuhl für Architekturtheorie von Professor Dr. Laurent Stalder an der ETH Zürich. 

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