Klang und Plüsch

Ulf Meyer
24. novembre 2020
Foto © Roman Weyeneth

Das Stadtcasino von Basel mag akustisch einer der besten Konzertsäle der Schweiz sein, städtebaulich war das Gebäude in den Tiefen des Barfüsserplatzes aber bisher gut versteckt. Die Lage des Saals ist Vor- und Nachteil zugleich: Die gute Erschliessung und Erreichbarkeit per Tram geht einher mit viel Lärm, denn die Wägen quietschen und rattern direkt am Konzertsaal vorbei. Das bekannteste Architekturbüro der Stadt, Herzog & de Meuron, hat bei Umbau und Erweiterung des Stadtcasinos nicht nur erfolgreich versucht, dem ehrwürdigen Saal mehr Raum und stadträumliche Aufmerksamkeit zu verschaffen, sondern im Inneren auch eine ungewöhnlich form- und materialfreudige Welt gestaltet. Das Casino bekommt mit dem Umbau ein ganz neues Leben – mehr als 200 Jahre nach seiner Gründung im Jahr 1808. Der grösste Saal im Haus, der Musiksaal aus dem Jahr 1876 mit 1500 Plätzen, dient als «Heimspielstätte» des örtlichen Sinfonieorchesters. Der Konzertsaal wurde von Johann Stehlin gebaut. In dem Haus wurde Weltgeschichte geschrieben, als 1897 Theodor Herzl auf dem ersten Zionistenkongress die Weichenstellung für die Errichtung des Staates Israel skizzierte. Da das Stadtcasino ihren Ansprüchen nicht mehr genügte, schrieb die Casino-Gesellschaft 2007 einen Wettbewerb für einen Neubau aus, den Zaha Hadid gewann. Ihr exaltierter Entwurf wurde später allerdings in einer Volksabstimmung abgelehnt.

Der grosse Saal wurde akustisch ertüchtigt. (Foto © Roman Weyeneth)
Der kleinere Hans-Huber-Saal hat 450 Plätze. (Foto © Roman Weyeneth)
Die Treppenanlage verfügt über logen-artige Ausbuchtungen. (Foto © Roman Weyeneth)

Letztlich besann man sich in Basel auf die Kompetenz der eigenen Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron. Für sie bestand die Lösung darin, den Musiksaal zwischen Stadtcasino und Barfüsserkirche als autonomes Gebäude mit Foyers, Proberäumen und Umkleidekabinen zu behandeln. Mit der Entkoppelung von Musiksaal und Stadtcasino und dem Abbruch des Eingangs- und Treppenbereichs des Altbaus entstand zwischen Steinenberg und Barfüsserplatz wieder eine Gasse. Der Musiksaal solle aus dem alten Gebäude herauswachsen, «als wäre er immer dort gewesen», so die Architekten. Der Entwurf für diese optische Täuschung basiert auf der Rückfassade des Stehlin-Gebäudes, die hinter neueren Anbauten verborgen war. Mit digitaler Technologie wurde sie gescannt und im Originalmassstab rekonstruiert. Während es sich aber bei der historischen Fassade um massives Mauerwerk handelt, ist jene des Neubaus eine gedämmte Stahlbetonwand mit einer hinterlüfteten Verkleidung aus Holz. Die Geometrie der Originalfassade wurde nur geringfügig geändert, um den konstruktiven Anforderungen des Werkstoffs Holz gerecht zu werden. Zwischen beiden Fassaden wurde Raum für die Foyers und Treppen geschaffen. 

Die Architekten setzten auch im Inneren des Casinos auf die Geschichte als «Ressource». Der Musiksaal sollte einen neuen Fussboden sowie eine Lüftungs- und Klimaanlage erhalten. 

Das Treppenhaus nimmt Farben und Materialien des Foyers auf. (Foto © Roman Weyeneth)

Herzog & de Meuron führten den Saal in seinen Zustand von 1905 zurück. Oberlicht und Fenster wurden wieder geöffnet, die Bestuhlung mit tiefrotem Samtbezug nachgebaut und der alte Holzfussboden durch ein eigens entworfenes Parkett ersetzt. Während sich die Gestalter bei der Fassade zurückgenommen haben, brennen sie im Inneren ein wahres Feuerwerk an Opulenz ab. Virtuos verwenden sie Stilelemente des 19. Jahrhunderts. In den Interieurs haben sie neobarocke, klassizistische und zeitgenössische Elemente gemischt. Dafür liessen sie sogar eigens Brokat-Tapeten in Lyon reproduzieren. Das tiefe Rot der Brokat- und Samt-Bespannungen spiegelt sich im polierten und lackierten Schlagmetall an Decken und Wänden. 

Rote Brokat- und Samt-Bespannungen spiegeln sich im Schlagmetall. (Foto © Roman Weyeneth)

Die Foyers haben Stirnwände mit Spiegeln und geben dem Raum mit der ebenfalls verspiegelten Decke optisch Grösse und Glanz. Eine zentrale Öffnung verbindet die beiden Ebenen des Foyers visuell – ideal für das Sehen und Gesehen-Werden vor und nach einem Konzert. Foyers und Treppen gelten den Architekten als «Bühnen des Publikums». Es gibt dort Sofas und Tischchen sowie intime Sitznischen mit versteckten Guckfenstern. Die Treppenhäuser mit logen-artigen Ausbuchtungen laden Konzertgäste in den Pausen zum Verweilen ein. «Parrucca»-Leuchter mit LED-Technik säumen die Wege der Besucher*innen. Alle Foyers sind ausgestattet mit Details aus gedrechseltem Holz in Kontrast zu poliertem Stahl. 

Das Stadtcasino erstrahlt durch die gelungene Umgestaltung, mit der Herzog & de Meuron ein weiteres Mal zu überraschen wissen, in neuem Glanz. 


Aufgrund des aktuellen Infektionsgeschehens und der Massnahmen des Kantons finden im Stadtcasino aktuell keine Veranstaltungen statt. Auf dessen Website aber finden Sie weitere Informationen zum Bauwerk.

Articles liés

Projet à la une

fotografie roman weyeneth gmbh

Wohnbauten

Autres articles dans cette catégorie