Architektur ohne Architektur
Susanna Koeberle
23. mars 2022
Ausstellungsansicht aus «Life, Without Buildings» am gta Hönggerberg (Foto: Nelly Rodriguez)
In der Ausstellung «Life, Without Buildings» sind Arbeiten von Künstler*innen und Architekt*innen zu sehen, die über den Zusammenhang zwischen Arbeit, Vertreibung und Heimatlosigkeit nachdenken.
Wenn eine Architekturinstitution eine Ausstellung «Life, Without Buildings» nennt, ist das ein schlechtes Zeichen. Oder vielleicht gerade ein gutes? Angesichts der Zerstörung von Bauten und Menschenleben – von Leben überhaupt – durch den Krieg in der Ukraine erscheint der Titel der aktuellen Schau von gta Ausstellungen auch als trauriger Kommentar zur Absurdität unserer Zeit. Und er gibt zugleich Anlass, darüber nachzudenken, wofür Bauwerke eigentlich stehen müssten: für Schutz. In einem auf Optimierung und Wachstum ausgerichteten neoliberalen System stehen sie in Wahrheit auch für Ausbeutung. Ausbeutung nämlich von menschlichen und materiellen Ressourcen: Hinter jedem Bau stecken menschliche Arbeit und eine Unmenge Material. Beide Aspekte betreffen brennende Fragen unserer Zeit. Dies auch deswegen, weil sie nicht voneinander zu trennen sind. Klimatische und politische Krisen zwingen Menschen aus betroffenen Gegenden zur Migration. Diese Vertriebenen wiederum sind es, die in reichen Ländern Bauten erstellen. Es ist deswegen genau richtig, jetzt die Frage zu stellen, was die Präposition «ohne» im Titel der Schau für die Zukunft des Bauens – und der Erde – bedeuten könnte. Das Konzept des Verzichts ist nämlich in der abendländischen Kultur zu Unrecht etwas in Ungnade gefallen.
Ausstellungsansicht aus «Life, Without Buildings» (Foto: Nelly Rodriguez)
Gerade eine Ausbildungsstätte wie die ETH hat sogar die Pflicht, Studierende für solche Fragen zu sensibilisieren. Dass dies durch eine Ausstellung geschieht, die diese Themen künstlerisch angeht, mag erstaunen und entspricht zugleich der transdisziplinären Praxis von Niels Olsen und Fredi Fischli, den beiden Leitern von gta Ausstellungen. Kuratiert hat die aktuelle Schau Adam Szymczyk, der letztes Jahr an der ETH ein gleichnamiges Seminar leitete. Der in der Schweiz lebende polnische Kurator war zwischen 2003 und 2014 Direktor der Kunsthalle Basel. Zudem war er auch künstlerischer Leiter der Documenta 14, die 2017 in Kassel und Athen stattfand. Der provokative Titel «Life, Without Buildings» geht auf den Namen der Glasgower Band Life Without Buildings zurück. Im Hintergrund steht auch die Idee des Anti-Designs und der Anti-Architektur, wie sie das italienische Kollektiv Superstudio in den 1960er-Jahren formuliert hat. Die sechs Gründer von Superstudio hinterfragten das Ideal der Moderne und forderten einen Architektur- und Designbegriff, der sich wieder dem Menschen und seinen Bedürfnissen zuwenden sollte, statt bloss dem Konsum und der Anhäufung von Kapital zu dienen. Eine weitere intellektuelle Matrix der Ausstellung bildet das Buch «Der siebte Mensch. Eine Geschichte über Migration und Arbeit in Europa» (1975) des Schriftstellers und Kunstkritikers John Berger (1926–2017).
Viele der ausgestellten Arbeiten gehen der Frage nach, in welchen Kontexten die gebaute Umwelt entsteht. Sie reflektieren diese Prozesse also von einer politischen Warte aus. Die fotografische Recherche von Ahlam Shiblis etwa zeigt Menschen auf einem Markt in Turin. Normalerweise arbeitet die palästinensische Künstlerin an Langzeitprojekten, für diese Fotoserie hatte sie jedoch nur zwei Tage Zeit. Sie dokumentierte den informell organisierten Markt, auf dem migrantische Strassenverkäufer*innen Waren – etwa aus Nachlässen – verkaufen, die niemand mehr will, – gleichsam die Reste unserer Überflussgesellschaft. Meist stammen die Käufer*innen ebenfalls aus der Gastarbeiter*innenschicht. Bestimmte Menschengruppen werden im städtischen Gewebe ausgeschlossen und an den Rand gedrängt, was auch die Frage nach der Bedeutung des öffentlichen Raums und des Umgangs mit ihm aufwirft. Die Bilder berühren, weil sie auch Zeugnisse der Resilienz des Menschen sind.
Ahlam Shibli, Untitled (Market no. 16), Turin, Italien, 2005 (Foto: mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin, © Ahlam Shibli)
Im Zentrum der Arbeit der kosovarischen Künstlerin Doruntina Kastrati steht der Alltag von Bauarbeitern der Balkanregion. In der Ausstellung ist eine Gruppe ihrer jüngsten Giessharz-Skulpturen von Körperteilen und Oberflächen mit dem Titel «Public Heroes and Secrets» zu sehen. Erst durch das dazugehörende Video, auf dem Interviews mit Arbeitern zu hören sind, die auf Baustellen im Kosovo Unfälle erlitten, erschliesst sich der Hintergrund der Skulpturen. Man spürt beim Betrachten der Körperfragmente nichtsdestotrotz, dass es um Verstümmelung und Schmerz geht. Anna Molskas Video «W=F*s (Work)» (2008) zeigt eine Gruppe von Arbeitern, die mit dem Bau einer Metallkonstruktion in einer schlammigen Landschaft mitten im Nirgendwo beauftragt sind. Die Künstlerin thematisiert durch die Absurdität des nutzlosen Konstrukts das Thema Entfremdung durch Arbeit. Sie tut dies aber mit einem gewissen Augenzwinkern und einem grossen Respekt vor der Arbeit der Protagonisten. Die Bauarbeiter wissen, dass sie quasi in einem Theater mitspielen, – und dieses Theater heisst Kunst. Damit hinterfragt Molska ihr eigenes Tun und stellt in diesem doppelten Spiel auch die Würde ihrer «Schauspieler» wieder her.
Detail der Arbeit «Public Heroes and Secrets» von Doruntina Kastrati (Foto: Nelly Rodriguez)
Wie kann man bauen, sodass Menschen nicht zu passiven Nutzer*innen eines ökonomisch getriebenen Regelwerks werden? Diese Frage könnte die Motivation für ein Projekt von David Harding gewesen sein. Der schottische Künstler arbeitete von 1968 bis 1978 als «Town Artist» von Glenrothes in seiner Heimat. Er erstellte in partizipativen und kollaborativen Prozessen mit den Bewohner*innen der Stadt verschiedene Skulpturen im öffentlichen Raum. Heute sind noch rund fünfzig dieser Werke erhalten. Diese eindrückliche Arbeit wird in der Ausstellung durch eine Auswahl von Fotografien in Glasvitrinen dokumentiert. Später setzte Harding sein Engagement für Kunst im urbanen Kontext als Leiter der Abteilung für Environmental Art an der Glasgow School of Art fort. Dort unterrichtete er auch mehrere der Bandmitglieder von Life Without Buildings. Der Mann hat offensichtlich in mehrfacher Hinsicht Spuren hinterlassen.
Mit einigen der beteiligten Künstler*innen hat Szymczyk schon für «seine» Documenta zusammengearbeitet. Für die Ausstellung im gta hat der Kurator auch einige Studierende, die an seinem Seminar teilgenommen haben, sowie das Künstlerkollektiv Tercerunquinto aufgefordert, sich Gedanken zur Geschichte des Ausstellungsortes zu machen. Der Raum gehörte früher zur Baumensa, was an der gleichen Deckenverschalung zu erkennen ist. Die Verschränkung der Exponate mit der Nutzung der Räume schafft eine zusätzliche Reflexionsebene, die verdeutlicht, wie gross die Notwendigkeit ist, den Architekturdiskurs auch in der Ausbildung in einem weit verzweigten gesellschaftlichen Kontext zu verankern.
Ausstellungsansicht aus «Life, Without Buildings» (Foto: Nelly Rodriguez)
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