Walter Maria Förderer
Juho Nyberg
18. juillet 2013
Zwei Materialien sind genug: Reduzierte Materialisierung im Kircheninnenraum (Bild: Juho Nyberg)
Aus Walter Maria Förderers Werk sind in erster Linie seine Kirchenbauten bekannt. Die bekannteste der zwölf gebauten Kirchen ist wohl jene in Hérémence im Wallis. An dem faszinierenden Bau lässt sich Förderers architektonische Haltung näher kennenlernen.
Der Faszination der skulpturalen Bauwerke der Bildhauers und Architekten Walter Maria Förderer kann man sich nicht entziehen. Mit der fotografischen Dokumentation «Solid Faith» der Kirchen Heiligkreuz in Chur und Saint-Nicolas Hérémence 2010 für das Magazin Wallpaper hat David Willen dem Schaffen Förderers ein Denkmal gesetzt und ihn wieder stärker in das aktuelle Bewusstsein gerückt.
Kirchen machen im Werk des Architekten Walter Maria Förderer (1928-2006) einen bedeutenden Teil aus. Unter den 22 gewonnenen Wettbewerbsbauten befinden sich zwölf Kirchen. Bei allen Unterschieden sind seine Bauten unverkennbar: Die kantigen, starken Formen des rauh geschalten Betons wirken beinahe muskulär und kollidieren im Inneren mit Applikationen aus Holz, die als Möblierung und Intarsien dem groben Betonrohbau einverleibt worden sind. Sie sind es, die ein Bündnis mit dem Licht eingehen und den vielfach gefalteten Betonschalen Wärme verleihen. Oder wie er es selber formuliert: «Über alle Verschiedenheiten […] triumphiert eine Gleichheit, welche uns das Gebäude als 'Kirche' erkennen lässt.» (aus: W. M. Förderer, «Kirche von morgen – schon heute», erschienen in Werk, 1/1965).
Mehr als eine Kirche: Saint-Nicolas in Hérémence (Bild: Juho Nyberg)
Gebäude wie Skulpturen
Der skulpturale Ausdruck seiner Entwürfe verweist ebenso stark auf Bildhauerei wie auf Architektur – schliesslich lernte Förderer zunächst an der Kunstgewerbeschule in Basel Bildhauerei, ehe er sich der Architektur zuwandte. Überliefert ist, dass seine Frau Ursula ihn darauf gebracht hat, im Gespräch über seine gestalterischen Visionen habe sie gesagt : «Das ist keine Bildhauerei mehr, das ist Architektur.»
Einem Volontariat im Büro von Willi Gossweiler folgte alsbald 1957 die Gründung des eigenen Büros zusammen mit Rolf Otto. Später stiess Hans Zimpfer als Dritter hinzu. Zu den wichtigsten Erfolgen des Büros zählt der Bau der Hochschule St. Gallen. Kurz darauf folgten die eingangs erwähnten Kirchen als Wettbewerbserfolge. Die Fokussierung auf Kirchenbauten ist auffällig und mag zunächst verwundern. Doch für Förderer bilden gerade Kirchen ein ideales Feld für die Umsetzung seiner Vision von «Gebilden von hoher Zwecklosigkeit». Im Text «Kirchenbau von heute für morgen?» führt er weiter aus: « […] ein Gesamtkunstwerk, das seinen Gehalten nach Vision sein könnte von all dem Gebauten, welchem es künftig 'Mitte' zu bedeuten hätte und das rundum neu entstehen sollte [...].»
Diese Mitte im städtebaulichen Sinn ist bei der Kirche St-Nicolas in Hérémence auf eindrückliche Art erlebbar. Zwischen Chalets und kleinmasstäblichen Häusern steht die wuchtige Kirche wie ein übergrosser Felsblock, der scheinbar mitten im Dorf eingeschlagen hat. Zunächst unübersichtlich präsentiert sich die mehrfach gefaltete und mit streng geometrischen, dabei unregelmässigen Löchern durchdrungene Betonhülle. Zur Klärung der Funktion wächst der Kirchturm empor. Auf der Suche nach dem Eingang begibt man sich auf einen Rundgang um das massige Volumen und wird von allerlei Treppen, kreuzgangartigen gedeckten Passagen und Plätzen geführt. Diese Architektur des äusseren Raumes verbindet ganz nebenher die beiden Ebenen der höher liegenden Hauptstrasse und des tiefer liegenden Platzes vor dem Gemeindehaus.
Kein Widerspruch: Beton Brut inmitten von Chalets. (Bild: Juho Nyberg)
Kirche als Stadtbaustein
Im Inneren der Kirche setzen sich die Faltungen und die Vielschichtigkeit fort: Ein die beiden Eingänge verbindender Chorumgang, geschmückt mit der Bilderserie «Der Kreuzweg» aus dem Jahr 1774, fasst den Kirchenraum. Die dunkle, gedrungene Atmosphäre des Umgangs kontrastiert stark mit dem hohen, lichtdurchfluteten Kirchenschiff. Dessen Opulenz zieht ihre Kraft aus den scheinbar unzähligen sicht- und unsichtbaren Öffnungen, die Tageslicht ins Innere lassen, das von den Betonflächen reflektiert wird, die in ihrer Vielschichtigkeit und Tektonik beinahe zum Leben erwachen. Die Brutalität des Baustoffes Beton und der an sich groben Bretterschalung wird durch das Lichtspiel überlagert, übrig bleibt nur der Eindruck der Solidität und erinnert unweigerlich an den sprichwörtlichen Fels.
Kraftvoll und üppig: Der Kirchenraum Saint-Nicolas (Bild: Juho Nyberg)
Grundsätzliche Auseinandersetzung
Sowohl Raum als auch Materialisierung der Kirche lassen Förderers Postulat zur Gestaltung aus seinem Text beispielhaft erleben: «[…] Folgen von offenen und geschlossenen, räumlichen Erfindungen, mit Weitem und Engem, Hohem und Niedrigem, Leichtem und Schwerem, mit Licht und Schatten, mit Glattem und Rauhem […]». Auf Grundlage jener Schrift erschien 1965 ein Text im «Werk», der als ein Resumée verstanden werden kann. Darin setzt sich Förderer grundsätzlich mit dem Thema der Kirche in der heutigen Zeit auseinander und beleuchtet dabei auch die aktuelle gesellschaftliche Bedeutung derselben. Er gelangt zum Schluss, dass eine Kirche, die «meist nur gerade noch 'Konfession' bedeutet und darum nicht mehr 'Mitte' sein kann», sich eben auch nicht mehr als solche gebärden darf. Vor der Erkenntnis, dass «andere Kräfte» unsere gebaute Umwelt dominieren, muss auch die Kirche neu gedacht werden können.
Dieser Wandel des Stellenwertes der Kirche drückt sich eben auch dadurch aus, dass das Projekt weit über das Kirchenschiff hinausgeht und auch als Stadtbaustein verstanden werden kann mit seinen Plätzen, Treppen und Wegen. Ob darin eine Kirche untergebracht ist, ist von nachrangiger Bedeutung, was aber nicht die Bedeutung der Kirche als Institution zu schmälern sucht. Förderers Ansicht zur Zweitrangigkeit der Funktion ist sehr schön illustriert in seiner Skizze aus dem Jahr 1972: Sie zeigt die Kirche Saint-Nicolas einmal als Kirche und einmal als Touristen-Zentrum. Gleicherart ist sein Hors-Concours-Beitrag für eine Kirche in Rheinach, wo öffentliche Plätze, Wohnungen, Unterrichts- und Vereinsräume sich wie ein Souk um den eigentlichen Kirchenraum ballen und diesen «würgend eng» verfremden.
Denkanstoss: Förderers Vorschlag für die Kirche in Rheinach (aus Werk 1/1965)
Sind Kirchen nicht heute schon Touristenzentren? (Bild aus werk bauen+wohnen 9/2005/kunst und kirche 3/1972)
Konsequente Haltung
Seine Tätigkeit als Architekt beendete Walter Maria Förderer 1979 und widmete sich fortan wieder der Bildhauerei. Zum Ende seines Schaffens als Architekt liess er verlauten: «Über die Jahre hin sind mir beim Bauen Raumvorstellungen zugewachsen, deren inhaltliche Aussage so entschieden war, dass sie zu entweder nur noch beschränkt oder gar nicht benutzbaren Bauten geführt hätten. In unserer Zeitsituation hinein solche artifiziellen oder ausdruckshaft agitativen Räume zu bauen, verbot sich mir, da unsere Zeit statt dessen eher offene Räume braucht, und da ich meine Zeit nicht verraten wollte.»
Es scheint, dass Förderer bei der Schaffung seiner Entwürfe und der Beschliessung seiner Karriere als Architekt dieselbe Konsequenz angewandt hat. Dadurch und durch die grossen Erfolge seiner 20-jährigen Tätigkeit als Architekt hinterlässt er ein ungewöhnlich geschlossenes Werk, das in gebauter wie in schriftlicher Form Interessierte auch heute noch in seinen Bann zu ziehen vermag.