Louis Kahn im Vitra Design Museum
Jenny Keller
7. mars 2013
Salk Institute in La Jolla, Kalifornien, L. Kahn 1959-65 © The Architectural Archives, University of Pennsylvania, Bild: John Nicolais
Das Vitra Museum unternimmt den Versuch, den Architekten Louis Kahn mit einer Fülle von Material begreifbar zu machen. Jenny Keller hat die äusserst dichte Ausstellung in Weil am Rhein besucht.
Eine Lücke schliessen, das wollen die Ausstellungsmacher (Kuratoren sind Stanislaus von Moos und Jochen Eisenbrand) mit der seit 20 Jahren ersten Kahn-Retrospektive im Vitra Design Museum. Dazu gehört neben einer thematisch (und nicht chronologisch) aufgebauten Ausstellung auch ein rund 300-seitiges Buch mit unzähligen Fotografien und Skizzen, die den amerikansichen Architekten auch als begabten Künstler zeigen.
Anders als die anderen
Kahn wird als Architekt der Moderne in einem Atemzug mit den anderen grossen (Frank Lloyd Wright, Le Corbusier, Ludwig Mies van der Rohe) genannt, lässt sich aber architekturhistorisch viel schlechter einordnen als die eben genannten, erklärten die Kuratoren anlässlich der Eröffnung der Ausstellung in Weil. Auch deshalb wurde die Schau nicht chronologisch, sondern nach Themen gegliedert. Ein weiterer Grund dafür dürfte auch der späte Ruhm von Louis Kahn sein: Er erzielte seinen internationalen Durchbruch erst im Alter von rund 50 Jahren – zu seinen berühmtesten Gebäuden zählen das Salk Institute, La Jolla, CA (1959 - 1965), das Kimbell Art Museum, Fort Worth, TX (1966 - 1972) und das Parlament von Bangladesch in Dhaka (1962 - 1983). Der Aufstieg begann mit der Berufung zum Gastdozenten an der Yale University im Jahre 1947, für die er vier Jahre später einen Anbau an die Yale Art Gallery bauen durfte.
Parlamentsgebäude in Dhaka, Bangladesch, L. Kahn 1962-83 © Raymond Meier
Die Privatperson Louis Kahn
Dem Menschen Louis Kahn wird in der Ausstellung ein grosser Platz eingeräumt, was ihn dann aber nicht unbedingt sympathisch macht: Er führte als Privatperson drei Leben mit drei Frauen und drei Familien parallel. Zwar heiratete er 1930 seine Ehefrau Esther Israeli, mit der er eine gemeinsame Tochter hatte, ging später aber zwei weitere Beziehungen zu Arbeitskolleginnen ein, was zu zwei weiteren Kindern führte. Dass das Augenmerk auf den Menschen hinter dem grossen Architekten gerichtet wird, ist sicher auch dem Dokumentarfilm «My Architect» (2003) von Sohn Nathanael Kahn zuzuschreiben, der sich Jahre nach dem Tod des oft abwesenden Vaters (der nie mit dem Kind zusammengelebt hat) auf die Suche machte. Und dabei auch die Architektur von «Lou», wie er im Film und vom Sohn genannt wird, mit ganz anderen Augen zu sehen vermag. Bisher ungezeigte filmische Aufnahmen im Parlamentsgebäude von Bangladesch gehören sicher zu einem wertvollen Beitrag des Sohnes, damit die Architektur Louis Kahns begreiflicher wird.
Blick auf den Petersdom in Rom, L. Kahn, 1928/29 © Sue Ann Kahn, mit freundlicher Genehmigung von Loori Bookstein Fine Art, Bild: Paul Takeuchi 2012
Rastlos und verschuldet
Louis Kahn starb 1974 auf der Durchreise, auf dem Heimweg von einem Baustellenbesuch in Bangladesch nach Philadelphia, an den Folgen eines Herzinfarkts in der Penn Station in New York. Sein Büro war zu der Zeit hoch verschuldet, trotz des späten Erfolgs. Zu langes Entwerfen und zu viele ungebaute Projekte haben das Büro Kahn in den Ruin getrieben.
Dabei wäre seine Geschichte eine typische Geschichte eines American Dream: Seine Familie emigrierte 1906 - zwei Jahre nachdem der Vater bereits in Philadelphia sein Glück versucht hatte - in die USA. Dort lebten sich die Kahns ein, und Louis machte durch seine Zeichenkünste auf sich aufmerksam. Nach der High School studierte er an der School of Fine Arts, University of Pennsylvania Architektur, wo er 1924 mit einem Bachelor abschloss. Eine klassische Bildungsreise nach Europa in den Jahren 1928/1929 ist mit zahlreichen Skizzen dokumentiert, die im Vitra Museum erstmals zu sehen sind. Doch auch als Musiker war Kahn ein Talent: Als ihm am Ende seiner Reise in Paris das Geld ausging, verdingte er sich als Klavierspieler und erhielt dafür ein bescheidenes Zimmer an der Rive Gauche.
Kimbell Art Museum, Fort Worth, Texas, L. Kahn, 1966-72 © 2010 Kimbell Art Museum, Fort Worth, Bild: Robert LaPrelle
Louis Kahn benutzte in der Zeit der Moderne bereits eine postmoderne Formensprache mit Kreis, Dreieck und Quadrat. Auch entwarf er nach der Geometrie der Natur: Nicht zufällig wurde im Jahre 1953 der Aufbau der DNA entdeckt, was Kahn mit grossem Interesse verfolgte und wovon sein Entwurf für den City Tower in Philadelphia zeugt, der als nachgebautes Modell zu Beginn der Ausstellung in die Höhe wächst. Das Konzept der dienenden und bedienten Räume stammen ebenfalls von Kahn, was man an der Yale Art Gallery besonders nachvollziehen kann, wo auch tragende und nichttragende Gebäudeteile durch die Materialiserung (Beton und Ziegelstein) unterschieden werden.
Korman House, Fort Washington, Pennsylvania, L. Kahn, 1971-73 © Barry Halkin
Von der Stadt zum Haus
Bis in die Fünfzigerjahre, seinem Durchbruchjsahrzent, hatte Kahn relativ wenig gebaut, er war als beratender Architekt bei der Wohnungsbaubehörde Philadelphias und später der USA tätig. Seit Beginn der 1940er-Jahre sich Kahn intensiv mit Wohnsiedlungen und stadtplanerischen Ideen auseinandergesetzt. Der Co-Kurator der Ausstellung, Stanislaus von Moos, meinte bei der Einführung: «Philadelphia machte ihn zum Architekten.»
Privathäuser hat Kahn nicht viele entworfen, die paar wenigen auch erst gegen Ende seiner Karriere und seines Lebens. Doch wie das Rathaus, die Kirche oder das Museum sah er darin die kleinste architektonische Einheit, von der aus die Gesellschaft und die gebaute Umgebung wahrgenommen werden. Der Grundriss eines Hauses sei zu vergleichen mit einem Stadtplan, der Architekt soll nicht die Nutzungsart vorschreiben, sondern den Menschen sein Heim bewohnen lassen, wie ihm danach ist.