Leichter leben
Inge Beckel
11. juillet 2013
Nutzungsmix, eine der Strategien der Genossenschaft Kalkbreite in Zürich. Bild: Tagungsunterlagen
Suffizienz: Schwieriges Wort mit einfacher Botschaft. Inge Beckel über die Fachtagung zum Thema Mitte Juni in Zürich.
Das Wort Suffizienz gehört nicht gerade zu unserem Alltagswortschatz. Doch war die Fachtagung «Qualität durch Mässigung? Suffizienz im bebauten Raum» von SIA, der Stadt Zürich und dem Bundesamt für Energie vom Juni in Zürich gut besucht. Für Spätankömmlinge war kaum ein Stuhl frei. Suffizienz? Im Duden steht dazu: Substantiv, feminin - 1. Zulänglichkeit, Können; 2. ausreichende Funktionstüchtigkeit, Leistungsfähigkeit; auf Wikipedia liest man, der Begriff werde ,im Sinne der Frage nach dem rechten Mass sowohl im Bezug auf Selbstbegrenzung, Konsumverzicht oder sogar Askese, aber auch Entschleunigung und dem Abwerfen von Ballast gebraucht‘.
Bei Suffizienz geht es also tendenziell um weniger – oder gleich viel. In jedem Fall nicht um ein Mehr. Nun, für eine in Zeiten des (unbegrenzten) Wachstums heran gewachsenen und prinzipiell auf stetigen Fortschritt ausgerichteten Gesellschaft ist dies wohl eine nicht ganz einfache, zuweilen gar verunsichernde Herausforderung. Denn die Vorstellung von «Weniger» wird oft mit Verzicht assoziiert und kann entsprechend beängstigend sein. Doch davon später. Sinnbildlich veranschaulicht wird Suffizienz sinngemäss durch die vier «E’s» der Entrümpelung, der Entschleunigung, der Entflechtung und der Entkommerzialisierung.
Grenzen
Die Botschaft von den Grenzen des Wachstums jedoch ist nicht neu. Schon 1972 hatte der Club of Rome darauf hingewiesen. Doch sei damals das falsche Beispiel, das Öl, herangezogen worden, meinte Uwe Schneidewind vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie in seinem Referat. Noch heute, gut 40 Jahre später, würden aber weltweit reichlich Erdölquellen ausgeschöpft. Dennoch sei die Botschaft der Grenzen vom Wachtum richtig, damals wie heute. Konkret gehe es heute um die Grenzen der Aufnahmefähigkeit der ökologischen Systeme, die erreicht seien. Und die zusehends zu immer grösser werdenden Ungleichheiten in Gesellschaft und Wirtschaft führe.
Suffizienz entspricht dem dritten Schritt der Reihe: Effizienz, Konsistenz – Ersatz – und Suffizienz. Während auf der einen Seite etwas als effizient gilt, wenn ein möglichst geringer Aufwand ein Maximum generiert – wovon auch immer –, ist auf der anderen Seite die Frage relevant, ob ein spezifischer Aufwand überhaupt gerechtfertigt ist. Ob es also Sinn macht, aus etwas ein Maximum herauszuholen. Oder ob es nicht besser wäre, anstelles des Maximums das Notwendige zu investieren – und damit indirekt auch Ressourcen zu schonen. Schliesslich gilt ein Maximum grundsätzlich immer nur bezüglich eines Kriteriums – und lässt die anderen generell ausser Acht.
Sparen
Wenn ein Bauherr nun etwa anstelle einer Loggia eine Wohnküche mit verschiebbaren Glaswänden vorsieht, spart er Raum und damit Kosten. Die Wohnung wird günstiger. Jörg Koch von der Pensimo Managment AG hat das Bereitstellen preisgünstigen Wohnraums zu einem Geschäftszweig entwickelt, wohlverstanden zu einem gewinnbringenden. So kostet etwa eine 4½-Zimmer-Wohnung von 87 m2 in Winterthur-Dättnau 1813 Franken netto pro Monat. Koch nennt die Fläche als wichtigen Punkt, wo man sparen und damit den Mietzins günstig halten kann. Oder das Minimieren der Haustechnik: eben, Orientierung am Notwendigen. Oder den Verzicht auf Labels. Er meint: «Checklisten hemmen die Innovationsfreudigkeit».
Loggia wird Wohnküche mit grossflächiger Verglasung: Mehrfamilienhaus in Bern von Esch Sintzel Architekten; Bauherrschaft Pensimo Management AG. Bild: Tagungsunterlagen
Doch nicht nur als Immobilienentwickler oder Hauseigentümerin kann ich sparen. Duscht eine Wohnungsmieterin beispielsweise täglich eine Viertelstunde, so bezeichnet Katrin Pfäffli vom Architekturbüro H.R. Preisig dies als verschwenderisch. Reduziert die Mieterin ihre Dusche auf 4 Minuten, entspricht ihr Verbrauch dem Standard, bei 2½ Minuten jedoch ist ihr Verhalten suffizient. Fährt ein Büroangestellter stets mit dem Auto zur Arbeit, verhält er sich verschwenderisch, wechselt er ab und zu aufs Velo oder den öffentlichen Verkehr, ist dies typisch, steigt er aber ganz um, ist es suffizient.
Sharing (oder altdeutsch: Mehrfachnutzung)
Eine weitere Möglichkeit, Ressourcen zu schonen – welcher Art auch immer – ist das Teilen. Man denke etwa an Mobility, das Car-Sharing-Angebot. Doch sieht Karin Frick, Leiterin Forschung des Gottlieb Duttweiler Instituts, diesbezüglich noch viele weitere Möglichkeiten. So kann teures, selten gebrauchtes Werkzeug geteilt oder Wohnungen können weitervermietet werden, während man selbst auf Reisen geht. Res Keller von der Genossenschaft Kalkbreite aber, wo Suffizienzüberlegungen bei der Entwicklung ihrer derzeit in Bau befindlichen Siedlung in Zürich von Beginn weg eine zentrale Rolle spielten, spricht anstelle von suffizient lieber von «leichter leben».
Suffizienz klinge so rigide und schmecke eben stark nach Verzicht – doch gehe es letztlich darum, sich von überflüssigem Ballast zu befreien, um eben leichter leben zu können. Sicherlich eine atmosphärisch und emotional ganz andere Herangehensweise ans Sparen als die Vorstellung eines (ungewollten?, gar aufgezwungenen?) Verzichts. Weniger haben kann etwa heissen, weniger unterhalten zu müssen, oder aber: freier sein zu können. Auch vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeit ist das Fokussieren aufs Notwendige wohl grundsätzlich zukunftsfähiger als das Streben nach einem (ressourcenverschleissenden) Maximum.
Engagiert
Interessant war auch die zuweilen sehr emotional geführte Diskussion am Nachmittag, wo sich anschaulich zeigte, dass Verzicht mitunter Angst auslösen kann. So betonte Strategieberater und ehemaliger Direktor von Avenir Suisse Thomas Held, dass es sinngemäss nicht darum gehen könne, vor dem Hintergrund der Forderung nach Suffizienz neue Einschränkungen und Verbote zu erlassen. Während auf der anderen Seite der Journalist Marcel Hänggi gar ausdrücklich den Rückbau von Verkehrswegen verlangte und sagte: Er fordere mehr Mobilität – konkret freien Bewegungsraum beipielsweise für seine Jungs – auf Kosten des Verkehrs, der ja die Mobilität jener, die nicht im Auto sitzen, einschränke.
Es war ein anregender Tag, der – das muss klar festgehalten werden – das Thema ausschliesslich aus einer städtischen, einer urbanen Sicht anging. Fragen, wie etwa die Zukunft vorhandener, heute leer stehender Bausubstanz in Regionen, die von Abwanderung betroffen sind, suffizient angegangen werden könnte, fehlten. Es wird jedoch kaum die letzte Tagung zu diesem Thema gewesen sein …
Letztlich könnte man sinngemäss zusammenfassen, dass es jeder und jedem von uns freigestellt ist, die Frage nach dem Sinn eines Angebots und, in der Folge, eines (unterlassenen) Konsums oder eines vernünftigen, adäquaten Verbrauchs, als Einschränkung – oder aber als leichteres Leben zu betrachten.