Innen – Aussen
Jenny Keller
22. juin 2017
Seifenblasen am 75-Jahre-Jubiläum des VSI.ASAI – oder die Grenze zwischen Innen und Aussen sollte zerplatzen. Bild: Marcel Baechler
Wo verläuft die Grenze zwischen Innenarchitektur und Architektur? Und wird sie jemals (wieder) überwunden werden? Einige Überlegungen zu den beiden Disziplinen, die ja eigentlich eine ist, anlässlich des 75-Jahre-Jubiläums der Vereinigung Schweizer Innenarchitektinnen und -architekten VSI.ASAI.
Man sollte zwar keinen Artikel mit dem Zitat von anderen beginnen, aber die Zeitschrift Hochparterre schreibt auf den Titel ihrer aktuellen Ausgabe 6-7/17: «Architekten scheitern im Innenraum». Tatsächlich? Fest steht: Im Gegensatz zum angelsächsischen Raum, wo der oder die interior designer einen festen Stand und eine klare Aufgabe im Bauablauf hat, gibt es hierzulande ein Definitions- und Wahrnehmungsproblem. Man geht davon aus, dass sich der Architekt, die Architektin als Generalist auch um den Innenraum kümmern kann (wobei er oder sie scheitert?) – oder dass die Innenarchitekten zum Schluss der Bauaufgabe die Räume «verschönern». So fassen auf jeden Fall Iria Degen von Iria Degen Interiors und Carmen Gasser Derungs von Gasser Derungs Innenarchitekturen das Verhältnis zwischen Innenarchitektur und Architektur zusammen. Sie sassen zusammen mit Daniel Ménard von Mépp, Ménard Partner Projekte AG, und David Marquardt von MACH auf dem Podium anlässlich des 75-Jahre-Jubiläums der VSI.ASAI.
Iria Degen, Daniel Ménard, Carmen Gasser Derungs und David Marquardt auf dem Podium, das Monika Schärer moderierte (ganz links). Bild: Marcel Baechler
Perspektiven
Im erwähnten Hochparterre-Artikel wird dieses Verhältnis als «spannungsreich» beschrieben und: Innenarchitekten und Architektinnen hätten eine unterschiedliche Perspektive auf das Thema Raum. Das sollte nicht so sein! Sowohl Architekten wie auch Innenarchitektinnen bauen für Menschen – oder vielleicht für Elefanten im speziellen Fall, und auch dort wird immer ein Mensch den Raum mitbenutzen. Nutzungsabläufe, Funktionalität und Details sollten so beschaffen sein, dass der Raum sinnvoll und seiner Bestimmung gemäss genutzt werden kann und dass man sich darin wohlfühlt. Und vielleicht liegt genau hier das Problem in der Wahrnehmung von Architektur im Wirkungsbereich der Innenarchitektur: Weiche Faktoren wie Behaglichkeit, Stimmung oder, noch mystischer, die Aura eines Ortes passen nicht ins Image des Architekten, der seit der Moderne* «less is more» zu seinem Mantra gemacht hat und Innenarchitektur mit Dekoration und Duftkerzen verwechselt. Heute endet die Architektur von Architektinnen im Innenraum plakativ gesprochen beim immer gleichen Weissputz, und der Architekt hat im besten Fall Proportionen, Raumhöhe, Layout, Materialität oder Lichtführung mitgeplant, oder ist im schlechtesten Fall gescheitert an den hohen Anforderungen, die das Bauen in der Schweiz heutzutage stellt und hat den Menschen, der die Räume am Ende bewohnt und benutzt, vergessen. Dann wird, handelt es sich um ein gekauftes und nicht gemietetes Objekt, der Innenarchitekt herbeigezogen, damit er mit einem Anstrich oder schönen Vorhängen das Desaster zu vertuschen sucht. Dabei arbeiten auch Innenarchitektinnen strukturell und sind Teil des Bauablaufs – neben einer grossen Fülle an weiteren Spezialisten.
Zukunft
Gegen diese Wahrnehmung kämpft die VSI.ASAI und vertritt die Interessen des Berufsstands gegen aussen. Das Podium zum 75-Jahre-Jubiläum mit Thema «Herzblut Innenarchitektur» wurde mit einer Vorstellungsrunde gestartet, in der jeder Teilnehmer, jede Teilnehmerin, ein Bild zeigte, das seine oder ihre Herangehensweise ans Thema erläuterte: Iria Degen, studierte Juristin und Quereinsteigerin, begann die Runde mit einem Bild einer Materialzusammenstellung, wie man sie bei Innenarchitekturprojekten häufig sieht, bestehend aus Stoffmustern, Fliesen und Objekten in ruhigen Grün- und Petroltönen. Ihr gehe es um «Materialität», im Leben und im Beruf. Das sei ihr Herzblut und mache ihre Innenarchitektur aus. Daniel Ménard, der an der ETH studiert hat, stellte sich mit einem Bild aus Porto vor, das die Tennisanlage «Quinta da conceição» von Fernando Távora, beziehungsweise einen Portikus der Erweiterung von Alvaro Siza zeigt. Für Ménard steht das Werk Alvaro Sizas für die Überwindung der Unterscheidung zwischen Innenarchitektur und Architektur. «Er hat den Lebensraum gestaltet und sich nicht um innen und aussen geschert», sagte Ménard, und doch befänden wir uns in unseren Breitengraden zu 90 Prozent der Zeit in Innenräumen, weshalb der Gestaltung dieser eine grosse Bedeutung zukommen sollte. Das Bild aus Porto markiert denn auch einen Eingang, aber den Eingang von einem Aussenraum in den nächsten... Carmen Gasser Derungs sagte zu ihrem Bild des Innenraums der «Caplutta Sogn Benedetg» oberhalb von Sumvitg von Peter Zumthor, es sei ein Raum, in dem sie Gänsehaut verspürt hat, als sie die Kapelle während ihrer Lehre als Hochbauzeichnerin zum ersten Mal besucht habe. Ein Gefühl, das sich auch bei historischen Kirchen und Kapellen einstelle, und das die Wirkung der Innenarchitektur ausmache. David Marquardt, auch an der ETH ausgebildet, war der letzte in der Reihe. Er zeigte den Modulor von Le Corbusier und wollte damit verdeutlichen, dass es bei der Innenarchitektur um Massstäbe gehe, und dass sie immer «von innen heraus gedacht» sei.
Das Podiumsgespräch war gut besucht und kurzweilig. Bild: Marcel Baechler
Marquardt war auch derjenige, der am Ende des Podiums ein positives Bild für die Innenarchitektur malte indem er davon sprach, dass die Innenarchitektur schon vor dem Raum beginne, zum Beispiel bei einer App für die Hotelbuchung, die es zu gestalten gebe. Und auch Iria Degen ist überzeugt, dass die Zukunft den Innenarchitektinnen gehört, denn die Welt sei gebaut, und bei nachhaltig sinnvolleren Umnutzungen entstünden neue Wirkungsräume für die Innenarchitekten. Carmen Gasser Derungs will das Verhältnis zwischen Innenarchitektur und Architektur bereits auf Stufe der Lehre verbessern, indem es einen Masterstudiengang gibt, wo Architekturstudierende zusammen mit Innenarchitekturstudierenden gemeinsam Module besuchen und so sich und der anderen Tätigkeit kennenlernen. Schnittstellen pflegen, dafür plädierte auch Daniel Ménard, und so ist zu hoffen, dass in Zukunft Innen wie Aussen gut gestaltet und die dafür zuständigen Personen genügend gewürdigt werden.
*Dabei entstand die VSI.ASAI. 1942 als Verfechterin der Moderne. Damals löste sich eine Gruppe ehemaliger Schüler der damaligen Kunstgewerbeschule wie Jacques Schader, Otto Glaus oder Willy Guhl als elitäres Grüppchen vom BSA und schloss sich zu einer Vereinigung zusammen, die sich gegen das leere Dekor und für die Nutzerbedürfnisse in der Innenarchitektur aussprach. Der VSI.ASAI. ist die Vereinigung der Innenarchitekten und Innenarchitektinnen der Schweiz.
Neuer Präsident der VSI.ASAI
An der Generalversammlung vom 09. Juni 2017 in Zürich haben die Mitglieder der
VSI.ASAI. den Innenarchitekten Remo Derungs zum neuen Präsidenten gewählt.
Er löst Thomas Wachter ab, der die Vereinigung Schweizer Innenarchitekten/-
architektinnen während acht Jahren erfolgreich führte. Der gebürtige Churer Remo Derungs ist diplomierter Innenarchitekt, Gestalter und Szenograf. Nach seiner Hochbauzeichnerlehre studierte er an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zürich Innenarchitektur und Produktgestaltung. Seit 2000 führt er zusammen mit Carmen Gasser Derungs die Ateliers für Innenarchitektur und Szenografie in Chur und Zürich.
Articles liés
-
Lebensqualität durch Innenarchitektur
on 26/01/2018
-
Innen – Aussen
on 22/06/2017