Franks tierische Rebellion
Inge Beckel
21. janvier 2015
Dies vorneweg: Es geht im Folgenden nicht darum, das Ausgefallene zu hypen. Alltäglichkeit, Normalität, Gewöhnlichkeit rahmen den Alltag – und das ist gut so. Gleichzeitig aber braucht es Neues, Eigenständiges, Weises, Sperriges und Befreites!
Ja, just in einer Zeit, die im Namen des globalen Wettbewerbs in vielem stets gleichförmiger und eingepasster wird, braucht es auch Luft für Neues, Eigenständiges, ja schlicht für Freiheiten. Jenen, die diesen Drang verspüren, sei der folgende Pariser Kulturrundgang empfohlen, mit Ausstellungen zum Werk Frank Gehrys und Niki de Saint Phalles. Aber Achtung: nur noch sehr kurze Zeit!
Angewandte Kunst
Die Frank-Gehry-Ausstellung findet sich im Centre Pompidou (bis 26.1.15). Direkt beim Eingang trifft man auf ein einstündiges Interview mit dem 85-jährigen. Darin erzählt er, wie er als Junge lernte, mit wenig auszukommen. Sein Vater war Lastwagenfahrer. Die Familie kam aus Polen und landete, nach einigen Jahren in Kanada, in Kalifornien, weil der Arzt dem unter gesundheitlichen Problemen leidenden Vater empfohlen hatte, in ein wärmeres Klima zu ziehen. Weiter spricht der heutige Star-Architekt davon, wie er mit der klassischen Ausbildung zum Architekten Mühe hatte. Ihm gefiel nicht, was an den Hochschulen gelehrt wurde. Und J. L. Sert beispielsweise wollte den Jungen nicht in sein Atelier aufnehmen. Auch ausserhalb der Hochschule hatte Gehry seine Mühe mit der Architektur, missfiel ihm doch die Mehrheit des Gebauten. Wobei sich an dieser Haltung bis heute nicht viel geändert hat. So sagte er in einem Interview noch vor wenigen Monaten, 98 Prozent des Gebauten «has no Respect for Humanity»*.
Überhaupt spricht Gehry viel über das Humane, das die Menschen Betreffende, schliesslich sind sie – oder wir – die Adressaten des Gebauten. Architektur nicht als «l'art pour l'art», sondern als angewandte Kunst. Auch als direkte, unmittelbare, ja praktische und alltagstaugliche künstlerische Arbeit. In gewissem Sinne könnte man seine Bauten als «brut», roh im Sinne des Brutalismus der 1960er- und 1970er-Jahre bezeichnen. Denkt man an frühe Realisierungen, etwa an sein eigenes Haus in Santa Monica (1977/78 und 1991–94), so hatte er zu Beginn mehr oder weniger mit dem gebaut, was er fand. Oder günstig kaufen konnte: Stücke von Wellblech, Gitter, Holzteile. Fast könnte man sich ihn beim Sammeln auf Mulden oder Bauschutthalden vorstellen … Jedenfalls sind seine Gebäude mehr Bricolage, also Basteleien, denn aus «einem Guss». Nicht naht- oder fugenlos aus nur einem Material geschaffen.
Eigenständig und zeichenhaft
Als Vorbilder nennt Gehry Frank Lloyd Wright, Greene & Greene oder Bernard Maybeck, kalifornische Vorgänger. Sich vorstellen könnte man auch Gaudí. Natürlich sind es zudem Künstler, die sein Werk beeinflussten, etwa Claes Oldenburg, den Massstabsverzerrer. Ansonsten habe er damit angefangen, sich seine Projekte zwischen den Bauten vorzustellen, in den Zwischenräumen. Denn die klassische Orthogonalität widerspricht ihm, wie gesagt. Dass seine Unikate, die seine Bauten anfänglich in jedem Fall waren, den Unternehmern ins Auge stachen, verwundert nicht. In Zeiten des Branding, des Sich-aus-der-Masse-Hebens, trafen Gehrys Zeichen den Nerv der Zeit. Wer hätte sich in den frühen 1990er-Jahren einen Fisch als Kunstmuseum vorstellen können?** Nun, Wrights Guggenheim-Spirale in Manhattan hat ja, genau genommen, auch etwas Animalisches, windet sie sich doch als Schnecke vom Boden in die Höhe. Da passt Gehrys Flosse in Bilbao, die sich ennet der Strassenbrücke Platz verschafft, ganz gut in die Reihe.
Niki in Aktion bei einem ihrer Schiess-Bilder. Bild: Ausstellungsplakat
Eigenständig ist auch das Werk Niki de Saint Phalles, das noch eine Woche länger, bis zum 2. Februar im Grand Palais zu sehen ist. Von Niki kennt man eigentlich vor allem ihre Nanas, die kommerziell sehr erfolgreich sind. Doch wenn man durch die Ausstellungen sowohl Gehrys als auch de Saint Phalles läuft, so hat man bei beiden nicht den Eindruck, dass sie aus kommerziellem Antrieb handelten. Eigentlich spürt man vielmehr den Trotz, das Rebellische, den Widerstand gegen eine in vielem allzu reglementierte Welt. Es ist ja nicht nur das technisch Normative, das uns im Alltag oft einschränkt, sondern die sozialen «Knigges», die «do's» und «dont's» der (guten?) Gesellschaft. Gerade Niki widersetzte sich der so genannt guten Gesellschaft, der sie abstammte. So sieht man im ersten Teil der Pariser Schau viele blasse weisse Bräute. Denn als Tochter aus gutem Hause seien junge Mädchen damals primär und vor allem dazu erzogen worden zu heiraten! Und dies möglichst früh!
Befreiend, spielerisch, lustvoll
Vor diesem Hintergrund sind die Nanas – wovon es eine bekanntlich in die Zürcher Bahnhofshalle geschafft hat – eine klare Gegenwelt zu den frühen jungen Bräuten der Künstlerin. Sie sind nicht weiss, schmal, züchtig und scheu. Nein, sie sind bunt, schrill, körperhaft, eigenständig und weise. Sie stehen auf eigenen Füssen. Machen, was sie wollen. Und provozierten. Etwa die Riesennana mit Namen Hon, eine Figur von 27m Länge, 9m Breite und 6m Höhe. Diese baute Niki, zusammen mit Jean Tinguely – der für die Expo64 seinerseits eine begehbare Skulptur entworfen hatte – und dem Museumsdirektor Pontus Hulten, 1966 im Moderna Museet in Stockholm. Die Figur war ein organischer Raum, den man durch die Vagina betreten konnte. Ob und allenfalls wo sich heute diese eindrückliche Nana wieder aufbauen liesse?
In jedem Fall passt die umfangreiche Werkschau inhaltlich und parziell auch formal gut zu jener des Architekten Gehry, obwohl dies von den Machern wohl eher nicht so gedacht war …
Als Abschluss dieses Kulturrundgangs sei die Fondation Louis Vuitton empfohlen, die Gehry erst vor wenigen Monaten fertiggestellt hat. Kommt man von der nahen Metrostation von hinten auf den Bau zu, sitzt er fast wie eine Henne am Rande des Bois de Boulogne, unmittelbar nebem dem Zoo. Liebt doch Gehry generell das Tierische. Im erwähnten Interview sagt er auch, dass er sich – weil er mit dem in der tradierten Architekturgeschichte Vorgefundenen eben so unzufrieden war – fürs Prähistorische zu interessieren begann. Und da finden sich nun mal Fossilien!
Also für Kurzentschlossene: Noch bis zum nächsten Montag, 26.1., ist in Paris das facettenreiche Werk Frank Gehrys zu sehen, wobei die Ausstellung von den frühen Anfängen bis zu unfertigen Bauten reicht. Und eben, auch jenes von Niki de Saint Phalle ist empfehlenswert. Übrigens: Billets online reservieren. Das verkürzt die Wartezeit. Und für alle Anderen sei der geraffte Kulturrundgang ein kleiner Ersatz, oder jedenfalls eine kleine Anregung.
Anmerkungen
*Vgl. etwa: Frank Gehry Is Right: 98% Of Architecture Today 'Has No Respect For Humanity', auf: Archinect News vom 4. Dezember 2014, hier.
**Vgl. dazu: Video: Frank Gehry and the fish, hier.