Ein alter Stadtbaustein in neuem Gewand

atelier ww Architekten SIA AG
13. octobre 2022
Blick auf die Eingangsfassade des Warenhauses an der Uraniastrasse (Foto: Peter Schäublin)
Herr Frey, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Mit Sicherheit in der Einzigartigkeit der Aufgabe und des Objekts selbst. Vor allem die Überlagerung aussergewöhnlicher Gegebenheiten machte für uns den Reiz aus: Der Bestandsbau hat eine exponierte Stellung im Stadtraum, er erhielt über die Jahrzehnte immer wieder ein neues Erscheinungsbild, und es galt, das Programm eines Flagship-Stores umzusetzen. Hinzu kam die planerische und baulogistische Herausforderung, eine möglichst kurze Bauphase zu erreichen, obschon der Bauplatz im Stadtzentrum räumlich stark eingeschränkt ist. Besonders war ferner auch, dass wir unser Projekt, nachdem wir uns mit ihm im Studienauftragsverfahren durchgesetzt hatten, in intensiver Zusammenarbeit und im Dialog mit der Stadt Zürich, genauer mit dem Baukollegium, weiterentwickelten.

Die Grundsubstanz des Gebäudes stammt aus dem Jahr 1884. Sein Volumen wurde über die Jahrhunderte aufgestockt und verändert. Im Zuge der Totalsanierung hat das Bauwerk nun präzise gesetzte Fassadenöffnungen und ein neues Fassadenmaterial erhalten. Die Gebäudeaussenwände wurden im Laufe der Zeit immer wieder gemäss den inneren Nutzungen und den äusseren Gestaltungsmoden mit neuen Fensteröffnungen «durchbohrt». Dies hinterliess einen «vernarbten» und statisch strapazierten Rohbaukörper aus überputzten Sandsteinen aus dem 19. Jahrhundert mit Geschossdecken aus Stahlträgern und Stahlstützen im Erdgeschoss.   

Das Ineinandergreifen all dieser verschiedenen Anforderungen und Herausforderungen machte diese Aufgabe für uns schlussendlich so einzigartig und spannend.

Ansicht von der Löwenstrasse (Foto: atelier ww)
Rückansicht des Gebäudes an der Uraniastrasse (Foto: atelier ww)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?


Die Inspiration zu dem Projekt kam sicherlich direkt aus dem zentralen, urbanen und vom Konsum geprägten Umfeld, dem Ort und auch der Aufgabe selbst. Die herausgehobene Stellung des Gebäudes im Stadtraum war der Ausgangspunkt für das Herausarbeiten des gestalterischen Leitmotivs in Form eines homogenen Setzkastens, der als Schaufenster-Komposition von allen Seiten immer wieder aufs Neue gelesen und eingesehen werden kann. Die Ausfachungen dieses Setzkastens erfolgen geschlossen oder eben transparent. Das Bild eines neuen Gewands, einer neuen «Haut» für ein Unternehmen, dass Bekleidung verkauft, haben wir bis ins Detail entwickelt. So sind die ebenerdigen Tafeln mit einem rautenförmigen Relief in Analogie zu textilen Strukturen versehen. Der Dialog mit den Passanten erfolgt so ebenfalls subtil in Form der Oberflächenhaptik.

Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?


Primär im Vordergrund stand vor allem die einzigartige und herausgehobene Setzung des Gebäudes im Stadtkörper. Als freistehender Solitär bricht das Warenhaus die geschlossenen Blockrandstrukturen der Nachbarschaft auf. Als «Stadtbaustein» gleicht es einem Monolithen. Seine Fassaden lassen sich aus diversen Perspektiven immer wieder neu erleben. Die schmale Stirnseite an der Uraniastrasse bildet einen markanten Kopfbau aus – mit einer klaren Adressbildung Richtung Bahnhofstrasse.

Der neue Flagship-Store befindet sich zudem in einer Nachbarschaft, die der Allgemeinheit für ihre berühmten Warenhäuser und eindrucksvollen Schaufenstergestaltungen bekannt ist. Mit fein akzentuierten Gesimsen wird der Baukörper in Erdgeschoss, Beletage und Dach gegliedert. Diese kontextuellen Wechselwirkungen machen mit Sicherheit den Reiz des Ortes aus.

Nahaufnahme der neuen Fassade (Foto: atelier ww)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?


Unser Ziel war es, unter Wahrung der strukturell wichtigsten Elemente des Bestandsbaus eine flexibel möblierbare Gewerbefläche und freie Grundrissstrukturen zu schaffen. Darum haben wir in den Verkaufsetagen die dienenden Nutzungen und Funktionen so weit wie möglich reduziert. Sie wurden stattdessen im Unter- und Dachgeschoss positioniert. Zudem sollte die so maximierte Verkaufsfläche schon vom Strassenraum aus transparent, offen und einladend wirken.

Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?


Das erwähnte Leitmotiv des Setzkastens lag bereits dem frühesten Entwurf zugrunde. Ursprünglich war die Fassade jedoch mit einem wesentlich höheren Glasanteil versehen, denn uns schwebte ein weitaus transparenteres Gebäude vor. Jedoch mussten wir abwägen, wie sich das Gebäude nach der Umgestaltung am besten in den Kontext der «City» einfügen würde, deren Bauten grossteils mineralisch geprägte Fassaden aufweisen. In einem fruchtbaren Dialog mit dem Baukollegium der Stadt Zürich wurde der Entwurf hinsichtlich seiner Fassadengliederung und Tektonik, aber auch der Materialisierung überarbeitet und weiterentwickelt. Das vielleicht wichtigste Ergebnis dieser Debatte war, dass wir eine klassische Fassadengliederung mit Sockel, Beletage und Dach entwickelten, uns auf einen grösseren Anteil geschlossener Elemente festlegten und uns für mineralische Glasfaserbeton-Elemente entschieden.

Die Haptik der Fassadenelemente im Erdgeschoss erinnert an Textilien, an Bekleidung wie sie C&A verkauft. (Foto: Peter Schäublin)
Im Inneren wird immer wieder der Blick in den umliegenden Stadtraum freigegeben. (Foto: Peter Schäublin)
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten Ihres Büros ein?


Aufgrund der eingangs angesprochenen «Einzigartigkeit» der Bauaufgabe und der besonderen Position im Stadtkörper sticht dieses Gebäude mit Sicherheit in der Reihe der bestehenden Bauten unseres Büros hervor. Generell glauben wir, dass jedes Bauwerk immer wieder ein Pilotprojekt ist und jede Aufgabe einzigartig. Darum muss jedes Projekt mit einem neuen, frischen Blick angegangen werden. Von dem Versuch, den eigenen Bauten eine wiedererkennbare Handschrift überzustülpen, halten wir wenig. Insofern ist der Umbau typisch für uns, eben gerade weil er sich von den anderen Projekten, die wir realisieren durften, unterscheidet.

Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?


In einer Totalsanierung wurde das Warenhaus auf die ursprünglich bestehende Gebäudestruktur zurückgebaut, die wesentlichen strukturellen Elemente wurden jedoch weitestgehend erhalten. So befinden sich immer noch Träger und Stützen aus Gusseisen im Gebäude. Anstelle eines Ersatzneubaus sind im Rahmen der aufwendigen Sanierung ebenfalls Themen des «Reuse» und «Upcycling» aufgekommen, die einen wichtigen Stellenwert in der gegenwärtigen Diskussion über Nachhaltigkeit im Bauen einnehmen.

Schwarzplan
Situation
Grundriss des Erdgeschosses mit abzubrechenden und neu zu errichtenden Bauteilen
Grundriss Erdgeschoss
Grundriss Regelgeschoss
Längsschnitt
Querschnitt
Bauwerk
Umbau Warenhaus C&A
 
Standort
Gerbergasse 2, 8001 Zürich
 
Nutzung
Warenhaus, Flagship-Store
 
Auftragsart
Studienauftrag, 1. Rang
 
Bauherrschaft
Redevco (Suisse) SA, Zürich
 
Architektur
atelier ww Architekten SIA AG, Zürich
Tobias Auch, Michael Frey, Peter Epprecht (Projektleiter) und Martin Pellkofer
 
Fachplaner
Fassadenplaner: Neuschwander + Morf AG, Basel
Bauingenieur: Henauer Gugler AG, Zürich
Haustechnik: Tri Air Consulting AG, Zürich
Elektroplanung: Bhend Elektroplan GmbH, Suhr
Bauphysik: EK Energiekonzepte AG, Zürich
Brandschutz: Hautle Anderegg + Partner AG, Bern
 
Bauleitung 
Generalunternehmer: Eiffage Suisse AG, Glattbrugg
 
Jahr der Fertigstellung
2020
 
Gebäudevolumen
16955 m3 (gemäss SIA 116)
 
Energiestandard 
BREAM Exzellent
 
Massgeblich beteiligte Unternehmer
Allega, Fassadenproduzenten, Niederglatt
 
Auszeichnung
Best Architects 22 Award
 
Fotos
Peter Schäublin und atelier ww

Mittlerweile haben Tobias Auch, Axel Beck und Michael Frey die Leitung des Zürcher Traditionsbüros atelier ww übernommen. Mit uns sprachen sie über ihre Haltung und Arbeitsweise.

Tobias Auch über Elektromobilität und die Mobilitätskonzepte der Zukunft.

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