Umbau Dachwohnung Seefeld
Volver a la lista de Proyectos- Ubicación
- Zürich
- Año
- 2014
- Cliente
- Privat
Text Christoph Schläppi
Eine Dachwohnung in Zürich
"Das moderne Wohnhaus entstammt dem Bohèmeatelier im Mansardedach. Dieses von Behörden und modernen Architekten als unbewohnbar und unhygienisch verpönte Dachgeschoß, das die Bauspekulation dem widerstrebenden Gesetz mit Mühe entreißen muß, das aus Zufällen aufgebaut ist, enthält das, was wir in den darunterliegenden, planvoll und rationell eingerichteten Wohnungen vergeblich suchen: Leben."
Josef Frank, Das Haus als Weg und Platz, zitiert nach:
Mikael Bergquist, Olof Michélsen (Hg.)
Josef Frank Architektur, Basel: Birkhäuser Verlag 1995, S.120
Als wir Kinder waren, dachten wir uns kleine Welten aus, über die sich entlegene Schluchten und Bergtäler, hohe Gipfel, Waldsenken, in denen kühl der Nebel lag, liebliche Landschaften mit Hügeln, Strassen, Bauernhöfen, Dörfern und Städten und vieles mehr erstreckten. Mag sein, dass es irgendwo auch unwirtliche Gegenden, von der Sonne versengte Wüsten, in der Kälte erstarrte Polkappen gab. Solche Vorstellungen bildeten keine tatsächlichen Gegenden ab, sondern waren Produkte der Phantasie. Man braucht nicht weit zu suchen, um zu begreifen, dass jemand, der die Karte einer solchen kleinen Welt in der Hand halten würde, damit gleichsam ein Bild der Befindlichkeit, ja der Seele dessen besässe, der sich das Ganze ausgedacht hat. Freilich wäre dabei zu akzeptieren, dass es sich um flüchtige, wandelbare Situationen handelt, in denen ganze Gegenden flugs umgebaut werden oder neu entstehen können, zu neuen Orten verfliessen oder auch einmal dem Vergessen anheimfallen. Man könnte von Tagträumen sprechen, die dem Versonnenen die Möglichkeit geben, die 5 Orte seiner Sehnsucht aufzusuchen.
Solche Phantasien existieren auch von Häusern. Welche Bilder allein wir aus der Lektüre von Kinderbüchern wie Pippi Langstrumpf oder den Turnachkindern mit uns herumtragen! In der literarischen Erwachsenenwelt gibt es nicht weniger Texte, in denen es die Schilderung von Orten, Häusern, Räumen ist, dank der wir Einblick ins Lebensgefühl der Protagonisten gewinnen. Oder die vielen Filme, in denen eigentlich das Set die Geschichte erzählt? Dass dabei das Unheimliche oft interessanter ist als das alltäglich-banale, liegt in der Natur der Sache. In der Kunst nimmt alles, was aus einer pragmatischen Sichtweise dem Überflüssigen zuzurechnen wäre, besondere Bedeutung an. Und nicht selten sind der Keller, die Rumpelkammer, die Garage, der Dachboden die Orte, wo sich die Wenden ereignen, die Handlungen zuspitzen.
Der Mainstream der modernen Architektur hat dergleichen gerne für obsolet erklärt. Le Corbusier beispielsweise ersetzte das Dach durch eine Terrasse, immerhin in fünfter Priorität seiner Cinq points de l’architecture moderne. Der grosse Poet war auch ein grosser Zauberkünstler, was erklären mag, weshalb niemand danach gefragt hat, was denn nun aus dem Dachboden werden solle. Zu verführerisch das Bild des neuen Menschen, der die Dachterrasse aufsucht, um dort seine Turnübungen zu machen! Ökonomie und Politik haben damals das Angebot der neuen Architektur dankbar angenommen und sich daran gemacht, die Massen zu behausen. Was damals aus der Kunst der Intérieurs geworden ist, deren Bogen sich vom barocken Schloss bis zum bürgerlichen Wohnhaus gespannt hatte, wissen wir — sie wurde den Dekorateuren und Ausstattern überlassen.
Freilich: was wäre der Mensch ohne alle jene vermeintlich überflüssigen Dinge, die nicht der täglichen Verrichtung und der produktiven Effizienz dienen? Zwar hatte Karl Kraus behauptet: Ich verlange von einer Stadt, in der ich leben soll: Asphalt, Straßenspülung, Haustorschlüssel, Luftheizung, Warmwasserleitung. Gemütlich bin ich selbst. Hätte nicht Adolf Loos in der Fabel vom armen reichen Manne das Dilemma des modernen Architekten geschildert, seiner Bauherrschaft ein gemütliches Zuhause zu bauen, das Problem wäre widerspruchslos unter den Teppich gekehrt worden. Dabei wissen wir von den Nachfahren Freuds — auch eines Wieners dieser Zeit, dass die Verhältnisse, was den Menschen anbelangt, nicht so einfach liegen. Wer sich mit Fragen der Psyche befasst, wird in ihr viel eher ein ungebärdiges Wesen als eine funktionierende Maschine erwarten. So hat der Dachboden gewissermassen als Abteilung der menschlichen Seele überlebt.
Das Eckhaus einer historistischen Randbebauung im Zürcher Seefeldquartier besitzt ein mit Lukarnen und Dachflächenfenstern besetztes Mansardendach, das wenig höher als eines der vier Vollgeschosse ist. Für einen zweigeschossigen Ausbau war somit mit engen Verhältnissen zu rechnen. Das Gebäude ist nicht geschützt, aber die Auflage der Denkmalpflege, gemäss den Bestimmungen der Quartiererhaltungszone das Äussere nicht zu verändern, machte die Aufgabe nicht leichter. Dennoch gab es gute Gründe, hier einen aufwendigen Um- und Ausbau zu wagen: Natürlich der privilegierte Standort im Seefeld. Dann der Hof mit seiner seeseitig aufgebrochenen Randbebauung, einem Hofhaus, einem Holzlager und schönen Bäumen — er ist nach einem Jahrhundert gelebter Nutzung mit einer schwer zu beschreibenden Wohnlichkeit aufgeladen. Schliesslich ein zauberhafter Ausblick auf den See vor der Kulisse des Üetlibergs, der zu entdecken und zugänglich zu machen war.
Wie über das Resultat des baulichen Eingriffs schreiben, ohne zunächst auf sorgfältig gemachte, viele Details hinzuweisen? Die in hoher Qualität ausgeführten Handwerkerarbeiten, die entwerferisch mit Gelassenheit und Beharrlichkeit durchdekliniert sind, erzeugen eine gepflegte Grundstimmung. Küche und Bäder wurden auf Wunsch der Bauherrschaft von renommierten internationalen Produzenten bezogen. Ein wichtiger Teil der architektonischen Arbeit war es, den gestalterischen Zusammenhang des vielfältigen Ganzen herzustellen. Dies geschah hauptsächlich mit Schreinerdetails und Farben. Auf dieser Ebene wurden auch viele praktische und technische Anforderungen gelöst, beispielsweise mit den entlang der Kniestöcke verlaufenden Lamberien, welche Stauraum, Medienstränge und Beleuchtung aufnehmen. Seine besondere Faszination und Eigenart entfaltet das Projekt in der ureigensten Domäne der Architektur: Raum und Licht. Dem Wunsch der Bauherrschaft nach viel natürlichem Licht standen die Schutzauflagen für das Dach entgegen. Der hofseitige, als Dachterrasse genutzte Dacheinschnitt (die «Loggia») und das im Bereich der internen Treppe ins OG ausgeschnittene Atrium (der «Gartenhof») bringen nebst ihrer Funktion vor allem auch Licht in den zentralen Bereich der Wohnung. Mit der internen Treppe sind diese beiden Ausschnitte zu einer eigentlichen Raumskulptur verknüpft. Oblichter über Treppe und Bad ergänzen die Dachflächenfenster. Ein Teil des Zenitallichtes fällt durch eine Spiegelwand auch in den Gymnastikraum. Während sich das Tageslicht im Hauptgeschoss an den Seitenwänden der Mansarden streut, optimieren im Schlafgeschoss die ausgeschrägten Gewände der Dachflächenfenster die Lichtausbeute. Mit den in satten Farben gehaltenen Wänden, weissen Decken und dunklen Riemenböden herrscht im Wohngeschoss eine Lichtstimmung, deren überraschende Heiterkeit wohl auch dem Umstand geschuldet ist, dass man sich weit oben befindet. Der private Charakter des darüber liegenden Schlafgeschosses wird von den daselbst verwendeten Pastellfarben suggestiv gesteigert. Von der ursprünglichen, verhältnismässig rigiden kleinteiligen Zellenstruktur des alten Grundrisses blieb vor allem die ostseitige Korridorwand und die zugehörige Zimmerfolge erhalten. Dieser Abschnitt bietet gegenüber dem westseitigen Essbereich und dem Wohnbereich am nördlichen Kopf einen Art Rückzugsbereich besonders für abendliche und winterliche Tätigkeiten.
Die Wohnung bietet eine stupende Vielfalt von Atmosphären, deren Abfolge besondere narrative Qualität entfaltet. Dieses Narrativ steigert sich bis zum Schlafbereich der Eltern, der mit corbusianisch inspiriertem Bad und Dampfbad oder mit dem Cheminée im Schlafzimmer von den Lustbarkeiten des Privatisierens erzählt. Wenn der Wohnungseingang auf das Treppenpodest hinunter verlegt ist (per Lift ist das Wohngeschoss auch direkt zugänglich), wird damit das Raumgefüge der dreidimensional verschlungenen Wege und Beziehungen librettohaft antizipiert. Die Unmittelbarkeit, mit der der Bereich von Essraum, Loggia und Küche dem Eingang folgt, erinnert überraschenderweise an die Organisation vernakulärer Bauernhäuser, sodass selbst die Marchi-Küche im Landhaussstil keiner weiteren Rechtfertigung bedarf. Im zurückgezogeneren Wohnteil sind die Zimmerzellen mit einer Enfilade verbunden, was dem kleinteiligen Bereich gleichzeitig Noblesse, Übersichtlichkeit und Wohnlichkeit verschafft. Die Treppe zum Schlafgeschoss hinauf bildet eine Art Schleuse, die wohl das Licht von oben herunter dringen lässt, nach oben hingegen den Durchblick verwehrt. Gleichsam als Antithese zur Klarheit des Wohngeschosses bietet das Schlafgeschoss ein verspieltes System von Ein- und Durchblicken bis hin zum halbtransparenten Spiegel des Gymnastikraums und zum Dachfenster auf der offenen Terrasse. Die narrative Struktur findet auf der Dachterrasse, von der aus eine eindrückliche Rundsicht über die Dächer von Zürich herrscht, Höhepunkt und Ende, gleichsam ihren dritten Akt.
Hätten die oben zitierten Wiener Protagonisten gewusst, dass sich im Zürich des frühen 21. Jahrhunderts ein Architekturbüro anschicken würde, solche Themen erneut zu studieren — ob sie wohl erstaunt gewesen wären? Kaum ob der Selbstverständlichkeit, mit der zwei Dachgeschosse, darüber eine Dachterrasse, als Wohnung hergerichtet worden sind, die sich stellenweise wie einer der eingangs beschwörten Tagträume anfühlt. Wohl eher darüber, dass hier eine Synthese zwischen bürgerlicher Wohnkultur, modernem Raumgefühl und Ausstattungsdetails möglich war, die angesichts vieler gescheiterter Beispiele offenbar nur mit Schwierigkeiten auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen sind. In der Tat ist diese Wohnung zu einer Recherche Patiente über Lichtführung und Raum, über Materialien und Oberflächen, über Kontrolle und Freiheit, über Pluralität und Einheit oder noch grundlegender über architektonische Identität und den gegenseitigen Respekt zwischen Bauherrschaft und Architektin geworden. Wollen wir es mit dem eingangs zitierten Josef Frank halten, so hat im Seefeld das moderne Wohnhaus zu seinen Anfängen zurück gefunden.